Kapitel 4 Dein Kind?
Clara war gerade dabei, in ihren Hausschuhen die Treppe hinunterzugehen, als sie, an Emilys Zimmer vorbeigehend, etwas Schimmerndes auf dem Teppich erblickte.
Neugierig ging sie hinüber und bückte sich, um es aufzuheben – eine Saphirkette mit einem altmodischen Design, das offensichtlich nicht viel wert war.
Doch Clara erkannte diese Kette. Sie hatte Emilys kränklicher Mutter Scarlett gehört. Emily hatte sie ständig getragen und wie ein unbezahlbares Erbstück gehütet.
Warum lag sie hier?
War Emily heute Morgen nach Hause zurückgekehrt?
Falls ja, könnte sie sie dabei belauscht haben, wie sie ihre Pläne besprachen, sie heute Abend zu Roy zu schicken?
Das konnte doch nicht so zufällig sein, oder?
Clara drehte die Kette zwischen ihren Fingern, ihre Augen voller Verachtung und Hass. „So eine eingebildete Schlampe. Anstatt Roy richtig Gesellschaft zu leisten, macht sie ein Theater wegen nichts!“
Plötzlich klingelte es an der Tür.
In der Annahme, dass Emily zurückgekehrt sein könnte, eilte Clara die Treppe hinunter.
Dieses Mal würde sie ihr nicht entkommen lassen. Heute Abend würde Emily definitiv Roy begleiten.
Lass sie mal schmecken, wie das ist...
Der Butler öffnete die Tür und kehrte bald darauf zurück, einen Mann im schwarzen Anzug mit scharfem, professionellem Auftreten führend. Der Mann ging direkt in die Mitte des Wohnzimmers, sein durchdringender Blick schweifte durch die Umgebung, bevor er schließlich auf Clara ruhte.
„Entschuldigen Sie, ist dies das Haus von Herrn Johnson? Ich bin Nathan, ein Assistent aus dem Vorstandsbüro der Windsor Group. Ich hätte da eine Frage.“
Die Windsor Group?
Claras Herz setzte einen Schlag aus. Wer in Emerald City kannte nicht den Einfluss der Windsor Group?
Warum kamen sie plötzlich hierher?
Könnte es mit den Ereignissen der letzten Nacht zusammenhängen?
Sie zwang sich zu einem geübten Lächeln. „Ja, ich bin seine Tochter, Clara. Womit kann ich Ihnen helfen?“
Nathans Blick verweilte ein paar Sekunden auf ihrem Gesicht und ihren Händen. Obwohl die verschwommene Figur aus den Sicherheitsaufnahmen der letzten Nacht nicht klar genug war, um sie zu identifizieren, schien der Körperbau der Frau vor ihm ähnlich zu sein.
Und sie hielt die Saphirkette, die Charles erwähnt hatte.
Er sprach beiläufig: „Hat jemand aus Ihrem Haushalt letzte Nacht den Privatraum im 28. Stock des Azure Palace Hotels besucht?“
Sechs Jahre später, Emerald City.
Draußen vor den bodentiefen Fenstern der VIP-Wartelounge brummten die Triebwerke einer Boeing 747 leise. Charles lehnte an einer Säule, seine Haltung so gerade wie ein Kiefernbaum, eine Aura ausstrahlend, die ihn unnahbar erscheinen ließ, als ob selbst die umgebende Luft aufgrund seiner Präsenz stagnieren würde.
„Charles, wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht mit diesem sauertöpfischen Gesicht herumlaufen sollst? Kein Wunder, dass du in deinem Alter immer noch keine Kinder hast!“ William Windsor klopfte mit seinem Stock auf den Boden, seine silbernen Augenbrauen hochgezogen, wie ein alter Löwe mit gesträubtem Fell.
Charles verdrehte innerlich die Augen, ohne ein Geräusch zu machen.
„Großvater, sie haben mit dem Boarding begonnen.“
„Wechsle nicht das Thema! Sechs Jahre! Clara ist seit sechs Jahren bei dir, aber sie ist immer noch nicht schwanger. Kannst du nicht, oder liegt es an ihr? Charles, wir dürfen uns nicht scheuen, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.“ William beugte sich plötzlich näher, senkte seine Stimme und stieß Charles mit der Spitze seines Stocks ins Bein.
Charles' Adamsapfel bewegte sich, aber er antwortete nicht.
„Es ist doch nicht wirklich so, dass du nicht kannst, oder?“ William nahm plötzlich einen schelmischen Ausdruck an und schaute sich um.
Gerade als er im Begriff war, Charles ein Krankenhaus zu empfehlen, wurde ihm ein Keks in den Mund gestopft. William kaute ein paar Mal. „Welcher Koch hat das gemacht? Feuert ihn sofort – es schmeckt schrecklich.“
„Clara hat diese zuckerfreien Kekse extra für dich gemacht.“
William wollte sich zwingen, sie zu schlucken, aber als er Claras Namen hörte, spuckte er sie sofort aus, ohne Rücksicht auf sein Erscheinungsbild.
„Ich esse nichts, was sie macht! Clara ist zu berechnend. Beim letzten Familienessen hat sie mir Suppe serviert, und ihre Hand ist ausgerutscht, sodass sie mir die Suppe auf die Hose geschüttet hat. Dann hat sie den Dienern gesagt, ich hätte sie selbst verschüttet, weil ich senil bin. Glaubt sie, meine alten Augen sehen das nicht? Ersetze sie! Finde jemanden Anständigen, der Kinder bekommen kann!“ Er gab Charles einen Klaps auf den Arm.
„Großvater, meine Angelegenheiten...“
„Deine Angelegenheiten sind meine Angelegenheiten!“ William erhob plötzlich seine Stimme, was die Blicke der nahegelegenen Mitarbeiter auf sich zog.
„Vor sechs Jahren, als du darauf bestanden hast, Clara nach Hause zu bringen, habe ich dir gesagt, dass man ihr nicht trauen kann, aber du hast mit mir gestritten! Sieh, wo du jetzt stehst. Nicht einmal ein einziges Kind!“
Er setzte sich auf das Sofa und begann plötzlich wie ein schmollendes Kind zu murmeln. „Toms Urenkel nebenan ist fast fünf Jahre alt. Vorgestern hat er meinen Hals umarmt und mich Urgroßvater genannt. Dieses Kind hat mir sogar Milchbonbons gegeben. Er ist viel süßer als dein eisiges Gesicht.“
Charles rieb sich die Nasenwurzel.
Sein Großvater, einst ein beeindruckender Geschäftsmann in seiner Jugend, war im Alter zu einem kompletten Kind geworden. William liebte Kinder wirklich und drängte ihn und Clara jedes Mal, wenn sie sich trafen, ein Baby zu bekommen.
Charles vermied diese Gespräche, wann immer es möglich war.
Diesmal war William von einem alten Freund eingeladen worden, sich in Lumaria zu erholen, und als sein Enkel hatte Charles keine andere Wahl, als William persönlich zum Flughafen zu bringen.
Charles war hilflos und wollte nicht reden; William war frustriert über seinen Enkel und hatte nichts mehr zu sagen.
Die beiden saßen schweigend da.
In diesem Moment kam ein Ruf von hinten.
„Mama! Mama! Warte auf mich!“
Die klare Stimme eines Kindes war wie ein kleiner Kieselstein, der in einen ruhigen See fiel.
Ein kleiner Junge in blauen Latzhosen stürmte wie eine kleine Kanonenkugel auf sie zu. Als er noch etwa zwei Schritte von William entfernt war, rutschten seine Füße weg und er fiel flach auf den Teppich. Das Spielzeug in seiner Hand rollte zu Charles' Füßen.
William sprang mit der Beweglichkeit eines jungen Mannes vom Sofa auf, hob das Kind in seine Arme, sein Gesicht voller Lächeln. „Pass auf! Wo hast du dich verletzt? Lass mich mal sehen!“
William war wirklich besorgt um das Kind; ein uninformierter Beobachter hätte denken können, er sei der Großvater des Jungen.
Der Junge rieb sich das Knie und schaute mit Tränen, die an seinen langen Wimpern hingen, zu William auf, seine Augen weit geöffnet.
Dieses erbärmliche kleine Gesicht schmolz Williams Herz sofort.
William hielt die Arme des Jungen hoch, untersuchte ihn von allen Seiten, und drehte sich dann plötzlich zu Charles um und rief: „Charles, komm her! Diese Nase! Dieser Mund! Es ist, als wären sie aus demselben Guss wie du, als du klein warst!“
Charles' Stirn runzelte sich fast unmerklich.
Der leichte Aufwärtsschwung an den Augenwinkeln des Kindes, die leichte Abwärtskurve seines Mundes, wenn er zusammengepresst war, sogar die flache Linie zwischen seinen Brauen, wenn er die Stirn runzelte, sie waren bemerkenswert ähnlich den Fotos von ihm selbst als Kind, die er in den Alben des alten Herrenhauses gesehen hatte.
Wenn er sich nicht klar daran erinnern würde, dass er in seinen über dreißig Jahren nur mit einer Frau, Clara, intim gewesen war und sie nie ein Kind gehabt hatte, hätte er vermutet, dass dieser Junge sein eigener leiblicher Sohn war.
Der Blick des Kindes war zu hell, wie polierter Obsidian. Obwohl er schüchtern wirkte, verbarg seine Augen eine Ruhe, die nicht zu seinem Alter passte.
Charles war fast sicher, dass dies eine sorgfältig geplante Täuschung war, möglicherweise ein neuer Trick von Konkurrenten.
William wurde immer erstaunter, je mehr er hinsah. Schließlich setzte er das Kind einfach auf das Sofa, stemmte die Hände in die Hüften und schaute Charles mit plötzlich scharfen Augen an, wie ein Verhörführer. „Charles, sag mir ehrlich, ist dieses Kind deins?“
Die Luft in der Wartehalle fror augenblicklich ein.
Sogar der kleine Junge, der sich das Knie gerieben hatte, hielt inne, blinzelte mit großen Augen und schaute von dem wütenden William zu dem ausdruckslosen Charles, sein kleines Gesicht voller Überraschung.
Charles bückte sich, um das Spielzeug aufzuheben, das zu seinen Füßen lag. „Großvater, was redest du da? Wie könnte das möglich sein?“
William glaubte ihm offensichtlich nicht und trat vor, seine Stimme erhob sich. „Warum nicht? Dieses Kind sieht genauso aus wie du, als du klein warst! Wenn er nicht deiner ist, wessen dann? Hast du vor ein paar Jahren mit irgendeiner Frau...“
Charles unterbrach ihn fest. „Nein. Ich habe keine Kinder.“












































































































