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Es war Donnerstagabend und Charlie verdrehte die Augen über Tina, die vor Aufregung kicherte, während sie sich im Spiegel hinter der Bar prüfte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Frisur und ihr Make-up perfekt waren, hüpfte sie in das Hinterzimmer in „Die rote Dame“.
„Die rote Dame“ war eine überdurchschnittlich gute Bar, obwohl sie sich in einem der zwielichtigeren Gegenden der Stadt befand. Das Interieur bestand komplett aus dunklem Holz, edlen Stoffen in gedeckten Farben und Messingdetails. Es war der Inbegriff der romantisierten Vorstellung einer Flüsterkneipe. Und hier arbeitete Charlie, jedenfalls vorerst. Es war meistens ein guter Arbeitsplatz. Jenni Termane, die Besitzerin, sorgte dafür, dass die Mädels, die in der Bar arbeiteten, von den Kunden nicht angemacht wurden. Es sei denn, sie wollten es. Sie zahlte einen anständigen Stundenlohn, und das Trinkgeld, das man an den meisten Abenden verdiente, konnte mit dem einer Managerposition konkurrieren.
Die Uniformen waren, obwohl sexy und etwas knapp geschnitten, nicht so schlimm wie an manchen anderen Orten. Eine kurzärmelige Seidenbluse mit Puffärmeln hätte elegant ausgesehen, wäre da nicht der tiefe Ausschnitt gewesen, der mehr von Charlies Dekolleté zeigte als jedes andere Kleidungsstück, das sie besaß. Der kleine schwarze Bleistiftrock war kurz, bedeckte aber ihren Hintern, es sei denn, sie beugte sich in der Hüfte. Die dünnen, schwarzen Nylons und schwarzen Pumps rundeten das Ganze ab. Sexy, aber stilvoll.
Der Grund, warum Tina in das Hinterzimmer hüpfte, war das regelmäßige Donnerstagstreffen, das gerade begann. Eine Gruppe von Männern, alle heiß und umwerfend, traf sich jeden Donnerstag im Hinterzimmer. Das Gerücht ging, sie seien Mafia-Mitglieder, die sich auf neutralem Boden trafen. Andere sagten, sie seien Spione, die Geheimnisse austauschten. Wer auch immer sie waren, das Mädel, das sie bediente, bekam immer ein großzügiges Trinkgeld. Das führte dazu, dass alle Mädels darum kämpften, wer die Glückliche sein würde. Da die Männer offensichtlich Geld hatten, war das sekundäre Ziel der Mädels, einen von ihnen als Freund oder Sugar Daddy zu angeln.
Charlie wollte nichts mit dem Donnerstag-Club zu tun haben. Sie brauchte keine Gruppe von düsteren und grüblerischen Männern in ihrem Leben. Sie wollte definitiv nicht in irgendeinen illegalen Scheiß verwickelt werden. Charlie war mehr als glücklich gewesen, Tina ohne Widerstand bedienen zu lassen. Währenddessen kümmerte sich Charlie um die anderen Kunden.
Donnerstage waren keine geschäftigen Abende, es gab ein paar Stammgäste und ein oder zwei Neuankömmlinge. Charlie half Jenni, die hinter der Bar stand. Sie räumte saubere Gläser weg, als Tina herausgerannt kam, Tränen liefen ihr über das Gesicht und ruinierten das perfekte Make-up. Sie schluchzte, und sowohl Charlie als auch Jenni eilten zu ihr und bugsierten sie hinter die Bar.
„Was ist passiert? Was haben sie dir angetan?“ fragte Jenni und musterte die weinende Tina, um nach Verletzungen zu suchen.
„Ich hasse ihn. Ich kann nicht zurückgehen, zwingt mich nicht“, schluchzte Tina.
„Wer? Hat er dich angefasst? Wenn ja, hole ich Robert, damit der sich um ihn kümmert“, sagte Jenni mit düsterer Stimme. Robert war der Türsteher an diesem Abend. Er war der klassische Rausschmeißer, ein Schrank von einem Kerl, mit Muskeln, die sein viel zu kleines Hemd zu sprengen drohten. Er hatte immer einen finsteren Blick drauf und zusammen mit einer hässlich aussehenden Narbe, die sich über die rechte Seite seines Gesichts zog, sah er einschüchternd aus. In Wahrheit war er ein freundlicher Mann, aber er sprach nicht viel. Wenn er es tat, war es entweder, um einem der Gäste mitzuteilen, dass sie Ärger hatten, oder um etwas Nettes zu einem der Mädels zu sagen, die dort arbeiteten. Charlie fühlte sich immer sicher an den Abenden, an denen Robert arbeitete.
„Nein“, wimmerte Tina. „Er sagte, ich hätte dicke Oberschenkel und solle nicht flirten, da ich wie ein Schwein mit Verstopfung aussehen würde“, weinte sie. Charlie seufzte und reichte Tina eines der sauberen Tücher, damit sie sich das Gesicht abwischen konnte. Jenni schenkte ihr einen zwei Finger breiten Tequila ein und zwang sie, ihn zu trinken.
„Du musst dir ein dickeres Fell zulegen, Süße“, sagte Jenni zu Tina. „Geh, wasch dir das Gesicht und reiß dich zusammen, dann kannst du mir hier helfen. Ich weiß, Charlie, dass du nicht daran interessiert bist, im Hinterzimmer zu arbeiten, aber Pech gehabt. Tina, hast du wenigstens die Getränkebestellungen aufgenommen?“
Tina nickte und übergab ihr Notizbuch, bevor sie ins Badezimmer flüchtete.
„Tut mir leid“, sagte Jenni zu Charlie.
Charlie zuckte nur mit den Schultern. Sie konnte es für eine Nacht durchstehen, besonders wenn das Trinkgeld so gut war, wie alle sagten.
Jenni begann ein Tablett basierend auf den Kritzeleien in Tinas Notizbuch zu füllen, und bevor Charlie es wusste, war sie auf dem Weg in das Hinterzimmer.
Der Raum war schwach beleuchtet. An dem runden Tisch in der Mitte des Raumes saßen sechs Männer und spielten Karten. Sie alle blickten auf, als sie eintrat, die meisten mit einem Grinsen.
Charlie erkannte, dass sie wussten, dass sie Tina vertrieben hatten, und sie vermutete, dass sie nun versuchen würden, dasselbe mit ihr zu tun.
Nun, sie konnten es versuchen, aber sie würden scheitern.
Sie sah auf die Getränke auf ihrem Tablett und dann auf die Männer um den Tisch. Sie war ziemlich gut darin geworden, abzuleiten, wer was an der Bar trinken würde.
Die drei Whiskeys konnten problemlos vor drei der Männer platziert werden, ebenso wie das Bier. Niemand widersprach.
Sie blickte auf ihr Tablett und fand einen Old Fashioned und, sie hielt inne, war das ein Cosmopolitan? Hatte Jenni einen Fehler gemacht?
Sie sah die beiden verbliebenen Männer an. Ein braunhaariger Mann, ungefähr in ihrem Alter, gutaussehend, mit einem hämischen Grinsen im Gesicht. Sie konnte sich vorstellen, dass er den Old Fashioned bestellte, um andere zu beeindrucken.
Sie richtete ihren Blick auf den letzten Mann und ihr Magen zog sich zusammen. Verdammt, er war heiß. Sein blondes Haar war so lässig gestylt, dass es aussah, als hätte er keinen Gedanken daran verschwendet; seine eisblauen Augen beobachteten sie eindringlich. So, wie der dunkle Anzug sich an seinen Körper schmiegte, vermutete sie, dass er durchtrainiert sein würde, sollte er ihn ablegen. Niemals würde ein Mann wie er einen Cosmopolitan bestellen.
Sie stellte das rosafarbene Getränk vor dem braunhaarigen Mann ab und dann das letzte Getränk vor Mr. Eisblau-Augen.
„Möchten die Herren noch etwas? Vielleicht etwas zu essen?“ fragte sie.
„Was ist mit deiner hübschen kleinen Freundin passiert? Ich mochte sie“, sagte Mr. Cosmopolitan. Charlie wusste sofort, dass er derjenige war, der Tina zum Weinen gebracht hatte.
„Ich habe sie gebeten zu wechseln“, sagte Charlie und behielt ihr professionelles Lächeln bei; es war ihr bei der Arbeit zur zweiten Natur geworden, immer zu lächeln.
„Ich glaube nicht, dass ich dich schon einmal gesehen habe, Püppchen. Bist du neu?“ fragte ein Mann, der alt genug war, um ihr Vater zu sein, und schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
„Nein, ich hatte nur bisher nicht das Vergnügen, Sie an Donnerstagabenden zu bedienen. Deshalb habe ich meine Freundin gebeten, zu wechseln“, erklärte Charlie ihnen.
„Ich bin froh, dass du das getan hast, es wird gut sein, etwas so Köstliches zu haben, um meine Augen während des Abends auszuruhen“, sagte der Mann. Charlie konnte nicht verhindern, dass eine ihrer Augenbrauen hochschnellte. Was dachte der Mann, dass sie noch in den Fünfzigern lebten?
„Das ist süß“, sagte sie und drehte sich um, um zu gehen.
„Geh noch nicht. Komm und setz dich auf meinen Schoß und bring mir Glück“, rief eine Stimme. Es war eine himmlische Stimme, stark und dunkel und voll, mit einem Hauch von Rauheit. Sie tat Dinge mit Charlie, die keine Stimme tun sollte. Sie drehte sich um und sah das Grinsen auf dem Gesicht von Mr. Eisblaue-Augen.
„Bist du sicher, dass ich dir Glück bringe?“ fragte sie.
„Hab Mitleid mit unserem Freund. Vidar verliert den ganzen Abend. Es ist nicht so, dass du es schlimmer machen könntest“, sagte Mr. Cosmopolitan. Charlie hatte keinen höflichen Ausweg. Sie stellte sicher, dass ihr Lächeln an Ort und Stelle war, als sie auf Vidar zuging. Seltsamer Name, dachte sie, als er sie packte und auf seinen Schoß zog. Er roch wunderbar, dachte Charlie, bevor sie sich stoppen konnte. Sie musste ihren Kopf wieder klarkriegen.
„Wie heißt du? Oder soll ich dich einfach Kellnerin nennen?“ fragte Vidar.
„Du könntest, aber es ist viel wahrscheinlicher, dass du meine Aufmerksamkeit bekommst, wenn du mich Charlie nennst“, sagte sie zu ihm. Sie dachte, sie sah seine Lippen zucken, als ob er lächeln wollte. Aber stattdessen grunzte er. Sein Arm war um ihre Taille gelegt, um sie an Ort und Stelle zu halten, während er mit einer Hand Karten spielte. Charlie hatte das Spiel noch nie zuvor gesehen und verstand die Regeln nicht.
„Ist Charlie nicht ein Jungenname?“ fragte Mr. Fünfziger.
„Es ist mein Name, und ich bin kein Junge“, sagte Charlie. Es gab ein rundum Kichern am Tisch.
„Das kannst du laut sagen“, sagte der Mann neben Vidar. Er musterte ihren Körper und seine Augen blieben an ihren Brüsten hängen. Charlie wollte die Augen verdrehen, entschied sich aber dafür, ihn zu ignorieren. Das Spiel ging weiter. Charlie verstand die Regeln nicht, aber es schien, als würden sie in zwei Teams spielen, jeweils drei Personen. Und es sah so aus, als würde Vidars Team gewinnen. Nach drei Siegen in Folge lachten Vidar und seine Teamkollegen und verspotteten die anderen am Tisch.
„Sieht so aus, als wärst du ein Glücksbringer, Charlie. Komm, setz dich auf meinen Schoß“, sagte Mr. Cosmopolitan und klopfte aufs Bein, als wäre sie ein verdammter Hund. Vidars Hand verstärkte vorübergehend ihren Griff an ihrer Hüfte, ließ sie dann aber los.
„Es wäre eine Erleichterung. Sie mag Glück bringen, aber sie ist nicht gerade ein Leichtgewicht“, sagte Vidar zu den anderen und es gab eine Runde Gelächter.
Verdammter Idiot, dachte Charlie. Sie ging absichtlich mit betontem Hüftschwung um den Tisch. Wenn er sich über sie lustig machen und versuchen würde, ihr ein schlechtes Gefühl zu geben, konnte sie ihm zeigen, was er verpasste.
„Bevor wir die nächste Runde beginnen, möchte ich ein neues Getränk“, fügte Vidar hinzu.
Charlie blieb stehen, kurz bevor sie sich auf den Schoß des anderen Mannes setzen wollte. Ihre Haut kribbelte bei der bloßen Vorstellung, in seinem Schoß zu sitzen, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Aber jetzt hatte sie eine Ausrede, es nicht zu tun.
„Natürlich, dasselben wie vorher?“ fragte sie.
„Ja.“
„Und die anderen Herren?“ fragte Charlie.
Sie bestellten alle eine weitere Runde der gleichen Getränke, und Charlie machte sich auf den Weg zur Bar. Jenni sah sie an, als sie auf sie zukam.
„Läuft alles okay?“ fragte Jenni. Charlie zuckte mit den Schultern.
„Sie sind alle Arschlöcher, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich bin nicht ihre verdammte Mutter“, sagte sie.
Sie nutzte den Moment, den Jenni brauchte, um die Getränke zu mixen, um zu atmen und sich zu entspannen. Sie sagte sich, sie solle sich darauf konzentrieren, nicht die Beherrschung zu verlieren. Es war schlecht, einen Kunden zu belehren oder anzuschreien, und es würde sie höchstwahrscheinlich ihren Job kosten. Wenn sie das bei einem Raum voller Mafiosi täte, müsste sie um ihr Leben bangen.
„Tina hat sich beruhigt. Willst du, dass ich sie reinschicke?“ fragte Jenni.
„Nein. Aber danke für das Angebot. Ich schaffe das. Es ist eine Nacht in meinem Leben. Das stecke ich schon weg“, sagte Charlie mit einem Lächeln und zwinkerte Jenni sogar zu, als sie mit einem Tablett voller Getränke zurück in das Hinterzimmer ging. Sie verteilte sie mit ruhiger Hand und hoffte, dass alle vergessen hatten, dass sie sich auf Mr. Cosmopolitans Schoß setzen sollte.