Kapitel 1 Die letzte Nacht
„Müde?“
Henry Windsors raue Stimme, immer noch schwer von der verbleibenden Hitze, strich wie Samt an ihrem Ohr entlang.
Sophia Brown schaffte es kaum, ihre Wimpern zu heben. Ihr kastanienbraunes Haar, zerzaust wie zerknitterte Seide, breitete sich auf dem Seidenkissenbezug aus, einige Strähnen hafteten an der schweißfeuchten Kurve ihres Halses.
Als Henrys Handfläche gegen ihre Taille drückte, konnte sie nicht anders, als ihren Hals zu wölben, die anmutige Linie ihres Kiefers zu enthüllen, ein sanftes Seufzen entwich ihrer Kehle.
„Lass uns eine Pause machen“, murmelte sie, ihre Stimme ebenso heiser. Ihre Fingerspitzen strichen leicht über Henrys Brust, wo rote Spuren von ihrem früheren Kontrollverlust noch sichtbar waren. „Wenn wir so weitermachen, werde ich morgen nicht laufen können.“
Henry lachte leise, seine Finger spielten mit einer Strähne ihres Haares, sein Blick ruhte mit spielerischem Schalk auf ihrem geröteten Ohrläppchen. „Wer war es, der mich gerade noch atemlos angefleht hat, nicht aufzuhören? Und jetzt gibst du schon auf.“
Sophia warf ihm einen Blick zu, obwohl ihre Wangen heißer brannten.
Nach zwei Jahren dieser Vereinbarung hätte sie an seine Ausdauer gewöhnt sein sollen, doch er schaffte es immer wieder, sie völlig zu überwältigen.
Henry blickte auf sie herab, das Licht von oben warf Schatten auf seine ohnehin schon scharfen Gesichtszüge, wodurch er wie das wertvollste Werk eines Bildhauers aussah.
Gerade als sie eine Erwiderung aussprechen wollte, schrie ihr Telefon vom Nachttisch, das helle Display zeigte „Ehemann“ – wie ein Eimer Eiswasser, der ihr ins Gesicht geworfen wurde und die intime Atmosphäre sofort zerschmetterte.
Henrys Finger erstarrten, das Lächeln verschwand aus seinen Augen, als seine Stimme tiefer wurde. „Ist das der Grund, warum du heute Abend aufhören wolltest?“
„Nicht aufhören – diese Vereinbarung beenden“, korrigierte Sophia und setzte sich auf, um den Anruf stumm zu schalten, doch Henry ergriff sanft ihr Handgelenk.
Er übte keinen Druck aus, nur genug Wärme, damit sie die komplexen Emotionen in seinen Augen bemerkte – komplexer als gewöhnlich, etwas, das sie nicht ganz lesen konnte.
Bevor sie sich losreißen konnte, hatte Henry bereits den Anruf angenommen.
Oliver Millers ungeduldige Stimme erfüllte sofort den Raum. „Sophia, wo zur Hölle bist du? Großvater wartet immer noch, was zögerst du?“
Eine weichere weibliche Stimme mischte sich schnell aus dem Hintergrund ein – Clara Garcia. „Oliver, sei nicht so hart. Vielleicht hat Sophia einfach nur Verkehr.“
Nach einer Pause fuhr sie süßlich fort: „Sophia, Olivers Großvater möchte mit dir sprechen. Wenn du Zeit hast, solltest du bald nach Hause kommen – wir haben den ganzen Abend auf dich gewartet.“
Ihre Stimme war weich wie Baumwolle, aber mit einer versteckten Nadel darin. Dieser letzte Satz war eine deutliche Erinnerung daran, dass sie und Oliver derzeit in dem lebten, was einst Sophias eheliches Zuhause war.
Zwei Jahre später, und Claras Taktiken waren immer noch so erbärmlich.
Am Tag von Sophias und Olivers Hochzeit hatte Clara Oliver überzeugt, sie ins Ausland mitzunehmen. Sie waren zwei Jahre weg gewesen, hatten sich vergnügt, während sie völlig ignorierten, dass Olivers Großvater Gavin Miller wegen des Stresses ins Krankenhaus eingeliefert worden war und die Familie Miller zum Gespött der gehobenen Gesellschaft geworden war.
Für Sophia war diese Ehe ein Witz. Wenn es nicht wegen Gavin wäre, hätte sie nie wieder etwas mit Oliver zu tun haben wollen.
Sophias Fingerspitzen wurden kalt, aber ihre Stimme blieb fest. „Oliver, vor zwei Jahren habe ich bis Mitternacht auf unserer Hochzeit auf dich gewartet. Was ich stattdessen bekam, war die Nachricht, dass du Clara ins Ausland mitgenommen hattest. Lustig, wie du dir damals keine Sorgen gemacht hast, ob ich die Wartezeit ertragen könnte.“
„Sophia!“ Olivers Stimme explodierte. „Ich habe keine Zeit für deine kleinlichen Beschwerden! Geh sofort nach Hause – Großvater kann nicht mehr lange warten!“
Sophia runzelte die Stirn, ihre Aufmerksamkeit richtete sich vollständig auf Gavins Gesundheit. Sie bemerkte nicht, dass Henry ihr Handgelenk losgelassen hatte und seine Fingerspitzen nun sanft auf ihrem Rücken ruhten, um sie zu beruhigen.
Gavins Gesundheit hatte sich in letzter Zeit verschlechtert. Sie konnte den alten Mann nicht noch mehr Stress erleiden lassen – selbst wenn es bedeutete, sich Oliver und Clara zu stellen, musste sie gehen.
„Ich verstehe. Ich bin gleich da“, antwortete sie.
In dem Moment, in dem sie sprach, spürte sie warmen Atem an ihrem Hals – Henry hatte sich heruntergebeugt, seine Lippen berührten kaum ihr Ohr, als er heiß flüsterte: „Sag ihm, dass du nicht kommst.“
Sophia versteifte sich und drehte sich um, um ihn mit ihren Augen zu warnen.
Aber es war zu spät.
Olivers Stimme stieg eine Oktave höher und durchdrang den Lautsprecher. „Wessen Stimme war das gerade? Sophia! Ist ein Mann bei dir?“
„Du hast dich verhört.“ Sophia legte sofort auf, stellte ihr Telefon auf lautlos und warf es beiseite, ihre Brust war eng vor Frustration.
Sie hatte keine Angst davor, dass Oliver von Henry erfuhr – er hatte kein Recht, sie zu kontrollieren.
Aber sie konnte Gavin nicht ignorieren. Als die Familie Brown sie als Schachfigur benutzt hatte, war Gavin derjenige gewesen, der ihr wieder die Wärme einer Familie gegeben hatte.
Wenn Gavins Gesundheit sich nicht so schnell verschlechtern würde, hätte er nicht dringend Oliver zurückgerufen.
Sie wandte sich Henry zu. Er lehnte sich gegen das Kopfteil, das Laken war bis zu seiner Taille gefallen und enthüllte seine definierten Bauchmuskeln. Der spielerische Ausdruck war aus seinen Augen verschwunden, ersetzt durch einen intensiven Blick.
Sophia holte tief Luft, setzte sich auf seinen Schoß und legte ihre Finger leicht an seine Kehle, ihre Stimme trug hilflose Vorwürfe. „Hast du das absichtlich gemacht?“
Henrys Blick verdunkelte sich. Seine Stimme war tief und rau. „Ob ich es absichtlich gemacht habe oder nicht – weißt du das nicht schon längst?“
Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie leise: „Du hast eine Grenze überschritten. Wir...“
Henry wollte den Rest nicht hören. Er zog sie herunter und ergriff ihre Lippen mit seinen, als wolle er verhindern, dass sie noch mehr herzlose Worte sagte.
Sophia seufzte innerlich.
Gut. Ein letztes Mal.
Inzwischen starrte Oliver auf sein abgebrochenes Telefon, sein Gesicht war donnernd.
Clara saß neben ihm und bot ihm besorgt ein Glas Wasser an. „Oliver, denk nicht zu viel darüber nach. Vielleicht war es nur ein Kellner oder Fahrer? Es ist so spät – es kann nicht einfach für Sophia sein, eine Frau allein da draußen.“
„Nicht einfach?“ Oliver schlug das Glas nieder, Wasser spritzte überall. „Wenn sie es wirklich schwer hätte, wäre sie nicht so spät noch draußen! Ich habe diese Stimme klar gehört – es war ein Mann!“
Er stand auf und ging auf und ab, die Wut in seiner Brust brannte heißer. „Wenn sie es wagt, mich zu verraten, werde ich ihr das nie verzeihen!“
Oliver zwang das wachsende Gefühl der Angst in seinem Bauch hinunter.
Zurück im Hotelzimmer hing die Wärme ihrer Leidenschaft noch in der Luft.
Sophia lag gegen Henrys Brust, ihr Finger zeichnete Muster auf seiner Haut, ihre Stimme war von Erschöpfung getönt. „Ich muss gehen. Gavin wartet auf mich.“
Henry versuchte nicht, sie aufzuhalten. Er stand einfach schweigend auf, hob sie mit sanfter Autorität auf und trug sie ins Badezimmer.
Diese Routine hatte sich zwei Jahre lang wiederholt, so geübt wie ein Ritual.
Henry badete Sophia zärtlich, wickelte sie in ein flauschiges Handtuch und trug sie zurück ins Bett, bevor er sich selbst versorgte.
Aber als er herauskam, fand er Sophia, die ihm eine Bankkarte entgegenhielt.
„Hier endet es. Diese Karte ist deine Entschädigung.“
