Kapitel 5 Anhaltendes Verlangen

In dem Moment, als ihr Rücken den Baumstamm berührte, stellten sich alle Haare auf Sophias Körper auf.

Sie umklammerte ihre Handtasche fest und wollte gerade um Hilfe rufen, als sie aufblickte und in ein Paar vertrauter Augen sah.

Es war Henry. Die kalte, distanzierte Haltung, die er bei der Auktion gezeigt hatte, war etwas weicher geworden. Jetzt, wo er vor ihr stand, wirkte er mehr wie der lebendige Mann, den sie privat gekannt hatte.

Als sie erkannte, dass es Henry war, entspannten sich Sophias angespannte Nerven sofort, und ihre Panik ließ allmählich nach.

Sie räusperte sich und öffnete mit einiger Unbehaglichkeit den Mund. „Was ist los mit dir? Herumzuschleichen, ohne ein Geräusch zu machen? Du hast mich fast zu Tode erschreckt.“

Henry antwortete nicht, lehnte sich nur gegen den Baum und beobachtete sie.

Nach einem langen Moment streckte er die Hand aus und strich sanft eine Haarsträhne glatt, die der Wind aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatte. „Seit ich die Auktionshalle betreten habe, hast du immer wieder zu mir geschaut und bist dann so schnell hier rausgelaufen. Wenn du nicht hier bist, um mich zu suchen, jagst du dann Käufer Nummer 1 hinterher?“

Sein Ton war beiläufig, aber seine Augen brannten mit einem inneren Feuer.

Sophia spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, als er ins Schwarze traf, und wandte ihr Gesicht ab. „Ich habe nur einen Spaziergang gemacht.“

„Nur einen Spaziergang, und du bist zufällig beim Ausgang gelandet, den Käufer Nummer 1 benutzt hat?“

Henry lachte leise und sah sie amüsiert an. „Wirklich nichts? Oder hast du, nachdem du eine halbe Stunde mit ihm verbracht hast, gemerkt, dass du diesen alten Bekannten vermisst und unsere Vergangenheit wieder aufleben lassen willst?“

„Nein!“ Der Ausdruck „unsere Vergangenheit wieder aufleben lassen“ ließ Sophias Ohren glühen. Sie schüttelte sofort den Kopf und wies den Gedanken entschieden zurück.

Sie vermied Henrys Blick und zog eine Bankkarte aus ihrer kleinen Handtasche, die sie ihm ohne Umschweife in die Hand drückte.

„Red keinen Unsinn. Nimm das.“

Noch eine Karte.

Henrys Augen wurden sofort kalt. Er nahm sie nicht, sondern sah sie nur an.

„Versteh das nicht falsch; es ist keine Art von Bezahlung.“

Aus Angst, er könnte die falsche Vorstellung bekommen, erklärte Sophia schnell und ihr Ton wurde ernster. „Dieser reiche Junge hat offensichtlich ein Temperament. Wenn du wirklich als sein Leibwächter arbeitest, wer weiß, wann du in sein Kreuzfeuer gerätst. Auf dieser Karte ist nicht viel Geld, aber es reicht, um eine Weile über die Runden zu kommen.“

„Leibwächter...?“

Henrys Augenbraue hob sich bei Sophias Worten, und ein seltsames Gefühl breitete sich tief in seinem Herzen aus.

Als Sophia bemerkte, dass Henry erstarrte, dachte sie, sie hätte ihn verlegen gemacht, indem sie die Wahrheit enthüllte. Sie schob die Karte schnell weiter in seine Handfläche.

Mit einem aufrichtigen Ton sah sie Henry in die Augen. „Auch wenn unsere frühere Vereinbarung beendet ist, nach zwei gemeinsamen Jahren können wir uns nicht wirklich als Fremde bezeichnen. Betrachte es als Freundschaftsdienst.“

Nachdem sie ihre Worte beendet hatte, fügte sie hinzu, aus Angst, er könnte erneut ablehnen: „Wenn du es nicht annimmst, dann betrachtest du mich nicht als Freundin.“

Es war selten, dass Sophia so entschieden mit Henry sprach.

Schließlich war er zwei Jahre bei ihr gewesen. Selbst ohne andere Gefühle konnte sie es nicht ertragen, ihn leiden zu sehen.

Henry hielt die Bankkarte, sagte nichts, seine Augen waren unergründlich, was es unmöglich machte, seine Gedanken zu lesen.

Sophia fühlte sich unter seinem Blick unwohl und strich sich das Haar glatt. „Ich sollte gehen. Mein Mann wartet noch draußen.“

Sie drehte sich um zu gehen, aber ihr Handgelenk wurde von einem festen Griff erfasst.

Im nächsten Moment wurde sie in eine feste Umarmung gezogen.

Henrys Arm umschlang ihre Taille so fest, dass sie sich nicht befreien konnte.

Bevor sie ihn fragen konnte, bedeckte warmer Atem ihre Lippen.

Henry senkte seinen Kopf und küsste sie!

Sophias Augen weiteten sich, ihr Kopf summte, als sie instinktiv ihre Hände hob und gegen seine Brust drückte.

Die Muskeln des Mannes waren steinhart; egal wie sehr sie drückte, sie konnte ihn nicht bewegen.

„Nicht... so...“

Unzusammenhängende Worte entkamen ihren Lippen, aber bald wurde ihr Mund wieder beansprucht, sodass sie nur noch gedämpfte Geräusche von sich geben konnte.

Henrys Kuss-Technik war zu geschickt, begann kraftvoll, wurde aber allmählich zärtlicher.

Ihr Körper begann schwach zu werden.

Sophias Widerstand wurde immer schwächer, ihre Hände gegen seine Brust wurden schlaff.

Als Henry den Kuss vertiefte, neigte sie sogar instinktiv ihren Kopf leicht zurück.

Als ihr das bewusst wurde, wollte Sophia vor Scham im Boden versinken.

Zwei Jahre der Intimität hatten ihre Körper miteinander vertraut gemacht. Auch wenn ihr Geist sich sträubte, konnte ihr Körper nicht lügen.

Sophias halbherziger Widerstand entfachte nur noch mehr das Verlangen in Henrys Herz.

Sein Arm um ihre Taille zog sich enger, sein Kuss wurde tiefer und ließ sie fast atemlos zurück.

Sophias Bewusstsein wurde trübe, ihr ganzer Körper schmolz beinahe in Henrys Umarmung.

Plötzlich hallten Schritte von außerhalb des Wäldchens wider. „Sophia? Bist du da? Du bist schon so lange auf der Toilette.“

Es war Oliver!

Sophias ganzer Körper zuckte zusammen, ihre benommenen Augen wurden sofort klar.

Sie stieß Henry, dessen Arm noch um ihre Taille lag, energisch weg. Ihre Wangen waren immer noch gerötet, aber ihr Atem war dringend geworden.

„Mach keinen Mucks“, flüsterte Sophia Henry zu.

Wenn Oliver sie so erwischen würde, wären all ihre Jahre des Aufbaus ihrer Position in der Familie Miller ruiniert.

Olivers Schritte stoppten nur einen Schritt entfernt von ihrem Versteck im Gebüsch. Er sah sich um, seine Ungeduld war in seiner Stimme deutlich zu hören.

„So lange auf der Toilette? Will Sophia mich absichtlich ärgern?“

Olivers Stimme war so nah, dass Sophia den Atem anhielt, ihr Rücken fest gegen den Baum gepresst.

Henrys Arm umschlang sie immer noch.

Als er sah, wie nervös Sophia war, ließ er sie nicht nur nicht los, sondern lehnte sich absichtlich näher an ihr Ohr und flüsterte in einer Stimme, die nur sie hören konnten: „Was meinst du, wie würde sein Gesichtsausdruck aussehen, wenn er hereinkäme und uns so sehen würde?“

Sophia zitterte am ganzen Körper, hob ihre Hand und kniff ihm fest in die Taille, ihre Augen voller Warnung.

Die Schritte kamen näher, und ihr Herz schlug schneller.

Gerade als Sophia dachte, sie würde ersticken, klingelte Olivers Telefon.

„Was ist? Verstanden, ich komme sofort.“

Nachdem er aufgelegt hatte, zögerte Oliver einen Moment, wagte sich letztendlich aber nicht tiefer in das Wäldchen, sondern drehte sich schnell um und ging.

Erst als die Schritte vollständig verhallt waren, atmete Sophia tief aus, hob ihre Hand und schob Henry, der immer noch an sie gepresst war, weg.

Ihre Wangen waren so rot, dass sie Blut tropfen könnten, aber sie hatte keine Zeit, Henry anzuschauen, sondern senkte nur den Kopf, um ihre Kleidung zu richten.

„Ich gehe.“ Sophias Stimme war etwas heiser.

Ohne sich die Mühe zu machen, Henrys Gesichtsausdruck zu betrachten, drehte sie sich um und ging schnell aus dem Wäldchen.

Henry blieb stehen und sah in die Richtung, in die sie verschwunden war, seine Lippen langsam zu einem Lächeln des anhaltenden Verlangens gekrümmt.

Am Eingang des Festsaals stand Oliver am Fuß der Treppe am Telefon.

Als er sah, dass Sophia endlich herauskam, runzelte er die Stirn und legte auf. „Warum hast du so lange auf der Toilette gebraucht?“

Sophia ging auf ihn zu, ihr Ton distanziert. „Zu viele Leute drin. Musste anstehen.“

Sie versuchte, an ihm vorbeizugehen, aber Oliver packte plötzlich ihr Handgelenk.

Sein Blick fiel auf ihr Gesicht, sein Ton verwirrt. „Was ist mit deinem Mund passiert? Dein Lippenstift ist ganz verschmiert.“

Sophias Herz setzte einen Schlag aus.

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