Kapitel 6 Du verdienst es nicht zu sitzen

„Vielleicht habe ich es verschmiert, als ich Wasser getrunken habe.“

Instinktiv presste Sophia ihre Lippen zusammen, dann vermied sie seinen Blick und kramte in ihrer Handtasche nach einem Spiegel und Lippenstift. „Ich werde es nachbessern.“

Trotz ihres Versuchs, Fassung zu bewahren, entging Oliver der Hauch von Panik in Sophias Augen nicht.

Sein Blick wurde kalt, fixierte sich auf den Mundwinkel von Sophia, und seine Stimme konnte seine Wut kaum verbergen. „Erzähl mir nichts von Wasser trinken! Dieser Lippenstift ist so gleichmäßig verschmiert; das ist eindeutig von einem Kuss!“

Seine Stimme wurde lauter, seine Augen nahmen einen unbeschreiblichen Wahnsinn an. „Sag mir, wen genau hast du gerade getroffen?“

„Oliver, was ist das, ein Verhör?“ Sophia zuckte zusammen, als sein Griff um ihr Handgelenk fester wurde. Sie runzelte die Stirn, riss ihre Hand mit Gewalt zurück, und als sie aufsah, lag ein kalter Ausdruck in ihren Augen. „Glaub es oder nicht, es war vom Wasser trinken. Wenn du mir nicht glaubst, schau dir die Sicherheitsaufnahmen an.“

Ein spöttisches Lächeln spielte um ihre Lippen.

Die Leute bei dieser Auktion waren entweder reich oder mächtig. Mit Olivers Status würde er wahrscheinlich rausgeworfen werden, bevor er überhaupt den Sicherheitsraum erreicht.

Oliver war sich dessen offensichtlich auch bewusst und war einen Moment lang sprachlos.

Als sie sein finsteres Gesicht sah, konnte Sophia nicht anders, als innerlich die Augen zu verdrehen.

„Wenn du fertig bist, dann geh. Großvater wartet auf uns.“

Damit trat Sophia vor und ging zum Ausgang.

Oliver beobachtete ihre sich entfernende Gestalt, seine Wut intensivierte sich, sein Gesicht verzerrte sich vor Zorn.

Er trat vor, ignorierte Sophias Widerstand und packte erneut ihr Handgelenk, diesmal mit noch mehr Kraft, als wolle er ihre Knochen zerquetschen.

„Glaubst du, ich werde das glauben?“

Sein Blick glitt über Sophias Körper und blieb an ihrem leicht geöffneten Kragen hängen. „Du hast deinen Kragen so ordentlich arrangiert. Versteckst du vielleicht irgendwelche unaussprechlichen Male an deinem Körper, die du mir nicht zeigen willst?“

Sophia wurde von seinen Worten übel, sie kämpfte heftig. „Oliver, lass mich los! Hast du den Verstand verloren?“

„Ich sage dir, Sophia, egal was du denkst, solange du noch meine Frau bist, benimm dich gefälligst!“

Er beugte sich näher, seine Stimme sank zu einem bedrohlichen Flüstern. „Wir sind verheiratet – das ist eine unbestreitbare Tatsache. Wenn du es wagst, mich zu betrügen, wirst du teuer dafür bezahlen!“

Bevor Olivers Hand ihren Kragen berühren konnte, ballte Sophia die Faust und schlug mit aller Kraft in sein Gesicht.

Ein dumpfer Schlag hallte wider, als Oliver zur Seite geschlagen wurde, seine Wange schwoll schnell an.

Er hatte nicht erwartet, dass Sophia ihn schlagen würde. Nach einem Moment des ungläubigen Schweigens wurden seine Augen bösartig. „Du wagst es, mich zu schlagen?“

Sophia nutzte seinen gelockerten Griff und zog ihr Handgelenk frei.

Sie schüttelte ihre taube Hand und funkelte ihn an. „Jetzt erinnerst du dich, dass wir verheiratet sind? Als du an unserem Hochzeitstag mit deiner Geliebten ins Ausland gegangen bist, warum hast du da nicht erwähnt, dass wir verheiratet sind?!“

Damit rieb sich Sophia ihr schmerzendes Handgelenk und wandte sich ab, zu müde, um weiter mit Oliver zu streiten.

Sie ging direkt auf das Auto zu, das am Straßenrand geparkt war. Gerade als sie die Tür öffnen wollte, fegte ein Windstoß an ihr vorbei, und im nächsten Moment war Oliver neben ihr, schubste sie zur Seite und stieg selbst auf den Rücksitz.

Bevor Sophia reagieren konnte, schlug die Autotür zu.

„Fahr!“ bellte Oliver den Fahrer an.

Sophia stolperte von seinem Stoß, und nachdem sie sich gefangen hatte, runzelte sie tief die Stirn. „Oliver, was soll das bedeuten?“

Sie hatte nicht erwartet, dass Oliver so rücksichtslos sein würde. Instinktiv klopfte sie an das Autofenster. „Bist du überhaupt ein Mensch? Es ist so weit von hier bis zum Miller-Anwesen – wie soll ich zurückkommen?“

„Du verdienst es nicht, in diesem Auto zu sitzen! Fahr nach Hause, jetzt!“ sagte Oliver kalt.

Als er das Zögern des Fahrers sah, schrie er erneut: „Fahr sofort weg! Wenn du es wagst, anzuhalten, brauchst du morgen nicht zur Arbeit zu kommen, und dein Neffe, der in der Miller-Fabrik arbeitet, auch nicht!“

Bei diesen Worten richtete sich der Fahrer in seinem Sitz auf.

Er ließ das Fenster herunter und warf der schockierten Sophia einen entschuldigenden Blick zu. „Mrs. Miller, es tut mir leid.“

Kaum hatte er ausgesprochen, setzte sich das Auto in Bewegung und verschwand schnell aus Sophias Sicht.

Als sie das Auto davonfahren sah, ballte Sophia die Fäuste.

Der Abendwind frischte auf und ließ sie frösteln.

Wenn sie nicht bald losging, würde sie sich eine Erkältung einfangen.

Mit diesem Gedanken zog sie ihr Handy heraus und öffnete eine Mitfahr-App, durchstöberte mehrere Seiten.

Aber diese Gegend war voller Privatclubs und ziemlich abgelegen. Das Signal war schwach, und der Bildschirm ihres Handys blieb auf der Ladeanzeige hängen.

Die meisten Leute von der Auktion waren inzwischen gegangen, und keine Taxis fuhren durch diese Gegend.

Nach weiteren fünf Minuten des Versuchs nahm immer noch kein Fahrer ihre Anfrage an.

Sophia fühlte sich niedergeschlagen. Sie blickte zu den entfernten Gebäuden auf und fühlte sich etwas hilflos.

Hätte sie gewusst, dass Oliver diesen Streich spielen würde, hätte sie selbst hierherfahren sollen.

Jetzt war sie mitten im Nirgendwo und hatte keine Möglichkeit, zurückzukommen.

Der Wind wurde stärker, und sie zog instinktiv ihren Mantel fester um sich.

Gerade als Sophia losgehen wollte, um ein besseres Signal zu finden, blendete ein Scheinwerferlicht hinter ihr auf.

Sie trat instinktiv zur Seite, und im nächsten Moment hielt ein schwarzer Rolls-Royce langsam vor ihr.

Das Fenster rollte langsam herunter und enthüllte Henrys Profil.

„Steig ein.“

Seine Worte waren kurz und direkt, sein Blick fiel auf ihr gerötetes Handgelenk, bevor er innehielt. „Es ist schwer, hier ein Taxi zu bekommen.“

Sophia war verblüfft. Sie schaute auf das offensichtlich teure Auto, dann auf Henry am Steuer und fragte: „Ist das... das Auto dieses reichen Jungen?“

Als Henry dies nicht bestritt, wurde sie noch verwirrter. „Du hast sein Auto genommen – weiß er das? Wenn er es herausfindet, wird er mit seinem schlechten Temperament sicher wütend, oder?“

Als Henry Sophias vorsichtigen und besorgten Ausdruck sah, blitzte ein Hauch von Amüsement in seinen Augen auf.

Doch sein Ton blieb ruhig. „Er wird nicht wütend sein.“

Er erklärte nicht weiter, sondern neigte den Kopf und deutete ihr, einzusteigen. „Komm schon, du kannst hier nicht im Wind stehen bleiben.“

Sophia sah auf seinen selbstbewussten Ausdruck, dann auf die leere Umgebung. Der Abendwind machte ihr kalt, und ihr Knöchel begann zu schmerzen.

Nach ein paar Sekunden des Zögerns öffnete sie schließlich die Beifahrertür.

„Danke dafür.“ sagte sie leise.

In dem Moment, als die Autotür sich schloss, schien die Stille im Fahrzeug verstärkt.

Das Auto setzte sich wieder in Bewegung, und keiner von beiden sprach zuerst.

Sophia presste die Lippen zusammen, ihr Geist spielte unwillkürlich den Kuss im Hain ab.

Sie waren vor wenigen Tagen noch intime Bettpartner gewesen, doch jetzt, allein mit ihm, fühlte sich sogar das Atmen unangenehm an.

Bald hielt das Auto sanft vor dem Miller-Anwesen.

Sophia atmete erleichtert auf und wollte gerade ihren Sicherheitsgurt lösen, als Henry sich plötzlich zu ihr umdrehte.

Bevor Sophia sich bedanken konnte, hörte sie ihn in einem beiläufigen Ton fragen: „Wir sind da. Planst du nicht, mich auf einen Drink einzuladen?“

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