Kapitel 4

Bianca hatte mit dieser Flut von Fragen nicht gerechnet und war für einen Moment fassungslos. Dann änderte sie schnell ihren Gesichtsausdruck, heuchelte Mitleid und klagte an: „Amelia, du kannst mich hassen, so viel du willst, aber du kannst nicht die Familie Martinez verleumden. Selbst der Fahrer der Familie repräsentiert unsere Ehre. Wie könnte er nur auf die Idee kommen, etwas zu stehlen?“

Bianca fuhr fort: „Vielleicht hast du gesehen, wie wertvoll sie war, und sie selbst verkauft, und jetzt versuchst du, es dem Fahrer in die Schuhe zu schieben? Amelia, sei einfach ehrlich. Selbst wenn das der Fall ist, ist es in Ordnung. Jeder weiß, dass du eine schwere Vergangenheit hattest, und wird dafür Verständnis haben.“

Amelia war verblüfft. Kein Wunder, dass Bianca es geschafft hatte, in der Familie Martinez zu bleiben, selbst nachdem herauskam, dass sie nicht blutsverwandt war. Sie hatte ein Talent dafür, die Wahrheit zu verdrehen. Amelia hätte beinahe von ihr lernen wollen.

Die Mienen der anderen veränderten sich, und die Bediensteten der Familie Martinez starrten Amelia unzufrieden an.

Die Gäste beobachteten Amelia mit einer Mischung aus Sorge und Neugier.

Für einen Moment fühlte es sich für Amelia so an, als stünde sie gegen die gesamte Gesellschaft.

Bianca hielt Mabels Hand, verspottete Amelia selbstgefällig und dachte sich: Sieh es ein, du wirst hier niemals hingehören!

Sie war schadenfroh. Sie hatte den Fahrer bereits bestochen. Mal sehen, was Amelia jetzt noch sagen konnte!

Amelia ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, zog dann ihr Handy heraus und wählte vor allen Anwesenden den Notruf, den sie auf Lautsprecher stellte.

„Notrufzentrale, was ist Ihr Notfall …“

Bevor die Stimme aussprechen konnte, schritt Mabel heran, riss ihr das Handy aus der Hand und legte wütend auf. „Das ist ja lächerlich! Willst du die Familie Martinez blamieren?!“

Amelia wich Mabels Hand aus, zuckte mit den Schultern und sagte: „Ups, eine Falschmeldung ist eine Straftat, wissen Sie.“

Sie zeigte weder Angst noch Reue.

Mabel zitterte vor Wut und schrie: „Du! Du hast keinerlei Manieren! Du bist wirklich ein wildes Kind, das draußen aufgewachsen ist, hat dir das niemand beigebracht?!“

Amelias Blick verfinsterte sich, als sie Mabel anstarrte. Niemand hatte je Evelyn, die Frau, die sie großgezogen hatte, vor ihren Augen beleidigt.

Ihre Fäuste ballten sich, aber sie erinnerte sich an Evelyns Rat: „Benutze nicht deine Fäuste. Benimm dich, wenn du dort ankommst.“

Die Familie Martinez schien Ärger zu bedeuten. Wenn Evelyn da hineingezogen würde, wäre das schlecht.

Amelia atmete tief durch und sah Mabel direkt in die Augen. „Ich habe die Kette nie bekommen. Ob Ihre Leute sie gestohlen haben oder Ihre kostbare Enkelin lügt, das ist Ihr Problem. Aber wenn sie weiterhin solchen Unsinn von sich gibt, wird sie die Konsequenzen tragen müssen.“

Alle waren schockiert.

War diese neue Amelia wirklich so unbarmherzig?

Die Anspannung war zum Greifen nah. Jeder fragte sich, wie das wohl enden würde.

Bianca, die die mitleidige und reuevolle Rolle spielte, trat leise näher. „Amelia, sei nicht böse. Ich habe falsch geraten. Oma möchte nur, dass du präsentabel aussiehst.“

Plötzlich streckte sie die Hand aus, um Amelias Kette zu nehmen, und sagte: „Dieser kleine Ramsch passt nicht zu dir. Du kannst meine tragen. Sie steht dir ohnehin zu.“

Als Bianca die Hand ausstreckte, wich Amelia schnell aus und schlug sie weg. „Was tust du da?!“

Der Schlag war hart und hinterließ einen roten Abdruck auf Biancas verwöhnter Hand.

Tränen stiegen Bianca in die Augen, als sie wimmerte: „Amelia, ich wollte doch nur, dass du hübsch aussiehst.“

Bei Biancas geheuchelter Sorge drehte sich Amelia der Magen um. Sie warnte scharf: „Wenn du kein blaues Auge willst, dann lass die Finger von meiner Kette!“

Biancas Tränen fielen wie Perlen und ließen sie bemitleidenswert aussehen.

Mabel war außer sich und schalt Amelia: „Bianca wollte dir nur helfen, und du bedrohst sie wegen diesem Stück Ramsch? Wie kannst du es wagen!“

Sie ignorierten Amelias Warnung und nannten ihre Kette weiterhin „Ramsch“, was Amelia an ihre Grenzen brachte.

Ihre Finger zitterten, als sie sich an Evelyns Rat erinnerte: „Benutze nicht deine Fäuste. Wir leben jetzt in einer rechtsstaatlichen Gesellschaft.“

Amelia hielt sich zurück. Sie hatte gedacht, die Familie Martinez wäre als angesehene Familie würdevoller und würde sie nicht zur Gewalt treiben.

Aber sie hatte sich getäuscht. Die Familie Martinez hatte nicht die Absicht, ihr das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.

„Oma, sei nicht böse. Amelia ist auf dem Land aufgewachsen. Ihre Adoptivfamilie war wahrscheinlich ungebildet. Es ist normal, dass sie einen schlechten Geschmack hat und stur ist“, sagte Bianca mit einem Gefühl des Triumphs.

Mabel, die stets auf den Schein bedacht war, sah Amelia verächtlich an. „Du bist wirklich unkultiviert. Du hast noch viel zu lernen. Brich den Kontakt zu deiner ländlichen Adoptivfamilie ab.“

Amelia starrte Mabel wütend an. Sie beleidigten sie und Evelyn und verboten ihr nun auch noch, Evelyn in Ehren zu halten?

Mabel spottete: „Leg diese Kette ab und lass uns mit der Feier beginnen. Das ist einfach nur peinlich.“

Bianca, die Mabel unbedingt gefallen wollte, trat vor, um zu helfen.

Ein Schrei hallte durch den Raum. Biancas Gesicht verzog sich vor Entsetzen, als sie sich an den Hals fasste, während Blut durch ihre Finger sickerte.

Amelia stand regungslos da und hielt eine zerbrochene Perlenkette in der Hand, die sie Bianca vom Hals gerissen hatte. Perlen verstreuten sich auf dem Boden, ein dünner Faden hing von ihren Fingern.

Die Gäste gerieten in Panik, und die Familie Martinez erstarrte vor Schock.

Bianca kreischte: „Was tust du da?!“

Ihre vorherige Verstellung war verschwunden.

Amelia grinste. „Hast du nicht gesagt, ich soll deine Kette tragen, um präsentabel auszusehen? Ich habe dir die Mühe erspart. Bist du nicht dankbar?“

Mabel kam wieder zu sich und schrie: „Holt einen Arzt! Sofort!“

Die Leute eilten herbei, um Bianca wegzutragen.

Sogar Ava, die bisher geschwiegen hatte, runzelte die Stirn. „Amelia, das war zu viel!“

Mabel schrie wütend: „Schafft sie raus! Die Familie Martinez wird eine solche Enkelin nicht akzeptieren!“

Amelias scharfer Blick wanderte über sie. „Ist es, weil ich keine Kette habe, dass ihr euch schämt? Biancas ist ruiniert. Ich sehe, deine sieht hübsch aus.“

Drohend musterte sie Mabels Halskette.

Mabel war sowohl wütend als auch verängstigt. „Das würdest du nicht wagen!“

Amelia stürzte sich auf sie.

Alles, was man sah, war eine verschwommene Bewegung, gefolgt von Mabels entsetztem Schrei. Eine dünne Blutlinie erschien auf ihrem Hals, und ihre Kette baumelte in Amelias Hand.

Mabel zeigte mit zitterndem Finger auf Amelia. „Du … du …“

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