ACHT. DER KALTE PROFESSOR

Cammila öffnete langsam die Augen und seufzte leise, als ihr klar wurde, dass das, was letzte Nacht passiert war, kein Traum gewesen war. Shane und seine Arschloch-Art waren bittere Realität. Cammila drückte die Decke fest an ihre Brust, um ihre Nacktheit zu verbergen. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie sich daran erinnerte, wie Shane sie verlassen hatte, nachdem er bekommen hatte, was er wollte. Die Blutflecken auf ihrem Laken waren der deutliche Beweis dafür, dass sie durch Shane ihre Jungfräulichkeit verloren hatte.

Cammila wusste nicht, warum sie so verletzt und traurig war. Dabei waren ihr die Konsequenzen doch bewusst gewesen, als sie Shane nachgelaufen war, der schon fast aus ihrem Zimmer war, und sich ihm dann wie eine Schlampe an den Hals geworfen hatte. Sie hatte Shane angefleht, sie zu berühren und zu beenden, was sie angefangen hatten.

Shane hatte nichts gesagt, war aber in ihr Zimmer zurückgekehrt und hatte die Tür mit der Ferse zugestoßen. Schnell hatte er sich wieder seiner Kleidung entledigt. Diesmal gab es kein Vorspiel, keine Worte. Shane hatte sie einfach aufs Bett gestoßen und sie gezwungen, die Beine zu spreizen. Das Nächste, woran Cammila sich erinnerte, war, dass sie laut aufgeschrien hatte, als Shane in sie eindrang und ihre einzige Barriere durchbrach. Shane hatte es sehr schnell und grob getan. Es lag keinerlei Zärtlichkeit darin, als er ein zweites Mal in sie stieß. Shanes Körper war auf ihrem zusammengebrochen, als er seine zweite Erlösung gefunden hatte.

Danach hatten sie sich einfach voneinander gelöst. Keine Worte, keine Küsse. Shane hatte sie in einem chaotischen Zustand auf dem Bett zurückgelassen. Sein Gesichtsausdruck war eiskalt gewesen, als er aus ihrem Zimmer getreten war. Shane sah anders aus als der Shane, der sie noch vor Kurzem geneckt hatte.

Cammilas Herz schmerzte bei der Erinnerung an Shanes Behandlung in der letzten Nacht. Sie fühlte sich wie eine Schlampe, die man einfach wegwirft, nachdem man sie benutzt hat. Obwohl Cammila tief im Inneren wusste, dass es nicht allein Shanes Schuld war. Sie war von Shane gekauft worden. Sie verdiente es, so behandelt zu werden. Sie war nur ein Werkzeug, um Shane im Bett zu dienen, und ein Werkzeug, um an das Erbe seines Großvaters zu gelangen.

Ihr Weinen wurde durch das Vibrieren ihres Handys auf dem Nachttisch unterbrochen. Cammila wischte sich hastig die Tränen ab und griff nach ihrem Handy. Fassungslos stellte sie fest, dass eine unbekannte Nummer sie seit letzter Nacht fünfmal angerufen hatte. Sie hatte ihr Handy vor dem Abendessen stumm geschaltet, aus Sorge, das Klingeln könnte das Essen mit Shanes Großvater stören. Sie hatte vergessen, den Klingelton wieder anzustellen, weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, mit Shane zu schlafen.

„Hallo?“

Cammila verzog leise das Gesicht, als es ihr nicht gelang, ihre Stimme fröhlicher klingen zu lassen. Sie war sehr heiser und es war offensichtlich, dass sie geweint hatte.

„Ms. Cammila Bennett?“

„Ja, die bin ich. Was ist passiert?“

„Wir sind vom Zentralkrankenhaus. Wir rufen an, um Sie über Ms. Avery zu informieren. Wir haben seit letzter Nacht versucht, Sie zu erreichen, aber Sie sind nicht rangegangen.“

„Was ist mit Avery passiert? Geht es ihr gut? Atmet sie noch?“

Cammilas Herz sank ihr in die Hose. Schuldgefühle überfluteten sie, weil sie ihre Schwester vernachlässigt hatte. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, mit Shane zu schlafen, dass sie vergessen hatte, dass Avery im Koma im Krankenhaus lag.

Das war kein Liebesspiel. Er hat mich letzte Nacht gefickt!

„Glücklicherweise konnte Ms. Avery letzte Nacht gerettet werden. Sie hatte einen Anfall und ihr Herzschlag verlangsamte sich. Das Ärzteteam hat sein Bestes getan, um sie zu retten. Wir haben Sie angerufen, um uns einige Maßnahmen bestätigen zu lassen, die im Zusammenhang mit ihrem Herzversagen bei Ms. Avery ergriffen werden müssen.“

„Entschuldigung, ich habe mein Handy nicht klingeln gehört. Ich werde sie heute Nachmittag besuchen.“

„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Ms. Averys Zustand ist jetzt ziemlich stabil. Wir hoffen, dass Sie die Behandlungskosten für Ms. Avery bald begleichen.“

„Ähm … ich werde das heute Nachmittag erledigen. Bitte geben Sie ihr die beste Behandlung.“

„Selbstverständlich. Vielen Dank und entschuldigen Sie die Störung.“

„Schon gut. Ich werde von nun an besser auf mein Handy achten. Lassen Sie es mich wissen, wenn irgendetwas mit Avery passiert.“

Cammila legte auf und drückte ihr Handy fest an die Brust. Sie fühlte sich wie eine schlechte Schwester, weil sie Avery ignoriert hatte. Alle möglichen Schreckensszenarien tanzten ihr durch den Kopf. Was, wenn Avery es nicht überlebt hätte, während sie letzte Nacht damit beschäftigt war, mit Shane zu schlafen? Was, wenn Avery nach dem Anfall von letzter Nacht nicht mehr aufgewacht wäre?

Du bist widerlich, Cammi!, schrie ihr Herz und verhöhnte sie selbst. Cammila hatte plötzlich das Gefühl, dass sie eine Strafe verdiente und dass sie es verdiente, von Shane fallen gelassen zu werden. Sie war nichts wert. Cammila wiederholte diese Worte immer wieder in ihrem Herzen, um sich selbst zu bestrafen.

„Bist du wach?“

Shanes Stimme riss Cammila jäh aus ihren Gedanken. Ihr Handy fiel aufs Bett, während sie hastig die Decke über ihren nackten Körper zog.

„Warum kommst du einfach so rein? Du hättest zuerst anklopfen sollen.“

„Habe ich. Du hast nicht reagiert.“

Shane warf einen kurzen Blick auf Cammilas Erscheinung. Sein Blick fiel ausdruckslos auf ihr zerwühltes Bett und die Blutflecken, die sich deutlich auf dem weißen Laken abzeichneten. Das war sein Werk. Shane hatte es letzte Nacht gesehen, bevor er aus dem Bett gestiegen und wie ein Idiot davongelaufen war.

„Du erinnerst dich an deine Pflichten heute Morgen, oder? Ich fahre in einer Stunde zum Campus. Du kannst mitkommen, wenn du willst.“

„Okay. In fünfzehn Minuten ist das Frühstück fertig. Bitte geh jetzt raus und schließ die Tür.“

Cammila atmete leise aus, nachdem Shane sie allein gelassen hatte. Sie zog sich eilig an und bezog ihr Bett mit frischer Wäsche. Außerdem wusch sie sich das Gesicht, um die Tränenspuren von ihren Wangen zu entfernen. Sie hoffte, Shane hätte sie nicht bemerkt, als er plötzlich in ihr Zimmer geplatzt war. Cammila wollte auf keinen Fall, dass Shane ihre erbärmliche, schwache Seite sah.

Fünf Minuten später kam Cammila aus ihrem Zimmer und eilte die Treppe hinunter. Sie betrat Shanes luxuriöse Küche und begann, Zutaten aus dem Kühlschrank zu holen. Sie würde Rührei, Würstchen und Toast zum Frühstück machen, da sie keine Zeit für etwas Kompliziertes hatte.

Etwa fünfzehn Minuten später erschien Shane, duftete frisch und maskulin und sah so perfekt aus wie immer. Eine maßgeschneiderte Hose, ein dunkelgraues Armani-Hemd und eine schlichte schwarze Krawatte.

„Morgen.“

„Hi, guten Morgen. Ich habe dir Kaffee gemacht, ihn aber noch nicht in eine Tasse gefüllt, weil ich nicht weiß, wie du ihn magst.“

„Nur schwarz. Ich mag keine süßen Sachen.“

„Okay. Ich hoffe, dir schmeckt dein Frühstück.“

Cammila stellte Shanes Frühstück auf den Tisch, bevor sie losflitzte, um Kaffee in eine Tasse zu gießen.

Shane runzelte die Stirn, als er außer seinem eigenen keinen weiteren Teller auf dem Tisch sah.

„Frühstückst du nicht?“

„Ich frühstücke in der Mensa. Ich will nicht, dass du zu spät kommst, weil du auf mich warten musst.“

Shane nickte langsam. Er zog seinen Teller zu sich heran und begann, schweigend zu frühstücken. Er bemerkte, dass Cammila recht geschickt in der Küche war. Das Essen war auch nicht schlecht. Für seinen Gaumen, der bei Essen sehr wählerisch war, war es durchaus annehmbar.

Als Cammila die Tasse Kaffee auf den Tisch stellte, packte Shane plötzlich ihr Handgelenk und hielt sie auf, bevor sie in ihr Zimmer gehen konnte.

„Benutz diese Karte, um alles zu kaufen, was du brauchst.“

Cammila blinzelte kaum, als Shane ihr eine glänzend schwarze Karte in die Handfläche legte. Bilder von Avery, die im Krankenhaus im Koma lag, tanzten vor ihrem inneren Auge. Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie, denn mit Shanes Kreditkarte konnte sie heute Nachmittag Averys Behandlung bezahlen.

„Kauf dir leckeres Essen und hab etwas Spaß.“

„Danke.“

„Du hast eine Belohnung verdient.“

Cammila zog steif ihre Hand zurück und umklammerte die Karte fest. Auch wenn Shanes Worte sie verletzten, konnte sie die Tatsache nicht leugnen, dass sie von Shane für sein persönliches Vergnügen gekauft worden war. Und sie tat es für Avery. Sie würde das Geld, das Shane ihr gab, für Averys Behandlungskosten verwenden.

„Cammila …“

Cammila blieb an der Verbindungstür stehen.

„Brauchst du noch etwas?“

„Nein.“ Shane sah Cammila zwei Sekunden lang an, bevor er etwas sagte, das sich für ihn selbst sehr seltsam anhörte.

„Wie geht es dir heute Morgen?“

„Ähm … mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen.“

„Letzte Nacht habe ich kein –“

„Keine Sorge. Ich nehme die Pille“, unterbrach Cammila ihn hastig. Sie wollte das Thema nicht weiter vertiefen und ihre Beziehung noch unangenehmer machen.

„Okay, sehr gut. Wenn du dir nicht sicher bist, geh zu einem Frauenarzt.“

„Mir wird nichts passieren. Ich verspreche, es wird keine Babys in dieser Ehe geben.“

Shane nickte erleichtert, bevor er sich wieder seinem Frühstück zuwandte.

Cammila ging in Richtung ihres Zimmers, während sich ein Schmerz in ihrem Herzen ausbreitete. Irgendwie war sie enttäuscht zu sehen, wie erleichtert Shane darüber war, dass sie kein Baby in dieser Ehe bekommen würden. Cammila verfluchte Shane dafür, dass er so ein Idiot und so unsensibel gegenüber ihren verletzlichen Gefühlen war.

„Aber immerhin hat er gefragt, wie es dir geht, Cammi. Sei dankbar dafür!“, murmelte sie sich selbst scharf zu.

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