Kapitel 1 Die trotzige Braut

In der feierlichen Kathedrale stand die Braut in einem Hochzeitskleid vor dem Priester und hielt einen Blumenstrauß in den Händen.

Sonnenlicht strömte durch die Buntglasfenster und beleuchtete das Gesicht der Braut, doch es brachte ihr keine Wärme.

Diese Hochzeit war etwas seltsam, da kein Bräutigam neben ihr stand – nur ein Stuhl mit einem darauf platzierten Smartphone.

Die Kathedrale blieb unheimlich still; die Gäste flüsterten kaum, aus Angst, jedes Geräusch vom Telefon zu übertönen.

Der Priester sah Olivia Smith mit ernstem Blick an. "Frau Smith, nehmen Sie Herrn Howard zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann?"

Olivias Gesicht blieb ruhig, aber als ihr Blick über die Gäste schweifte, blitzte Hass in ihren Augen auf.

"Ja, ich will."

Die drei Personen, die sie gerade angesehen hatte – Nathan Smith, Seraphina Smith und Aurora Smith – senkten beschämt die Köpfe und vermieden ihren durchdringenden Blick.

‚Nathan, Seraphina, Aurora, ich werde diese Demütigung niemals vergessen.‘

Nathan war Olivias Vater, Seraphina ihre Stiefmutter und Aurora ihre Stiefschwester. Olivia nahm nur an dieser bizarren Hochzeit teil, weil ihre Familie Geld brauchte, und sie war das Opferlamm geworden.

Die Gäste flüsterten untereinander.

"Ich dachte, wir würden den mysteriösen Erben der Howard-Familie tatsächlich sehen. Warum nur ein Telefon? Ich war neugierig, wie er aussieht."

"Man sagt, er sei schrecklich entstellt. Keine Frau würde ihn freiwillig heiraten. Nathans Firma steht kurz vor dem Bankrott und braucht dringend Investitionen – das ist der einzige Grund, warum er seine Tochter an so ein Monster verheiratet."

"Die Howard-Familie ist eine sehr angesehene Familie, doch nicht nur der Bräutigam ist nicht erschienen, sondern auch seine Eltern nicht – sie haben nur einen Butler geschickt. Sie halten offensichtlich nicht viel von dieser Braut."

"Armes Mädchen. Ihre Eltern haben zwei Töchter, und doch ist sie diejenige, die an einen Freak verheiratet wird. Offensichtlich bevorzugen ihre Eltern die andere Tochter."

Obwohl die Gäste leise sprachen, war die Kathedrale so still, dass Olivia Bruchstücke ihrer Gespräche auffing.

‚Mama, kannst du das vom Himmel aus sehen? Deine Tochter wird verspottet. All das ist durch den Mann verursacht, den du einst so sehr geliebt hast.‘

Olivias Blick schweifte erneut mit tiefer Verachtung über Nathan.

Nathan vermied ihren Blick und ballte die Fäuste auf seinem Schoß. Als er die Flüstereien um sich herum hörte, wollte er nichts lieber, als sofort zu verschwinden.

Seraphina konnte es nicht mehr ertragen. Sie stand auf und fuhr die Gäste an: "Haltet eure Münder! Olivia heiratet in die Howard-Familie, um ein privilegiertes Leben zu führen! Wisst ihr, wie prestigeträchtig es ist, Frau Howard zu sein?"

Die Gäste verstummten schnell.

Olivia verdrehte die Augen und lachte bitter in sich hinein.

‚Privileg? Möchtest du dieses "Privileg" für dich selbst oder deine Tochter? Der Bräutigam und seine Familie konnten sich nicht einmal die Mühe machen, zu erscheinen. Ich kann mir nicht vorstellen, was mich in der Howard-Familie erwartet.‘

Nathans Gesicht verfinsterte sich, als er Seraphina herunterzog und zischte: "Was tust du? Matthew hat sein Gelübde noch nicht gegeben. Willst du die Zeremonie stören?"

Seraphinas Gesicht wurde blass, als sie instinktiv ihren Mund bedeckte und ängstlich zum Telefon auf dem Stuhl blickte.

Das Telefon blieb stumm.

Seraphina wurde ängstlich, besorgt, dass Matthew wegen ihres Ausbruchs wütend war.

Nathan, Seraphina und Aurora starrten nervös auf das Telefon.

"Ich will. Lassen Sie sie den Vertrag unterschreiben," kam die Stimme aus dem Telefon, bevor der Anruf endete.

Olivia warf einen Blick auf den Bildschirm, der nun "Anruf beendet" anzeigte.

Die Howard-Familie war die angesehenste jahrhundertealte Familie in der Gegend, die mehrere Konglomerate besaß und deren Investitionen in Unternehmen alle Fortune-500-Firmen waren.

Doch eine so angesehene reiche Familie hatte einen bekannten Makel.

Der Erbe der Howard-Familie, Matthew Howard, war ein unattraktiver Mann, der daher selten in der Öffentlichkeit auftrat.

Zudem kursierten Gerüchte, dass Matthew einen physiologischen Defekt hatte und sich nicht traute, Frauen zu nahen. Obwohl die Familie Howard einen erstklassigen Ruf genoss, erwähnte sie ihren Erben selten in der Öffentlichkeit.

Damon Cooper, der still in der Kathedrale gestanden hatte, trat mit einem Dokument in der Hand heran.

"Frau Smith, sobald Sie dieses Dokument unterschreiben, werden Sie Frau Howard. Ihre Familie wird Investitionen von der Familie Howard erhalten, und Ihr Bruder wird die beste medizinische Versorgung bekommen."

Olivia starrte auf den Vertrag, und Hass blitzte in ihren Augen auf.

'Für dieses Stück Papier wird meine Würde mit Füßen getreten. Und diese drei warten nur darauf, dass ich unterschreibe.'

"Olivia, worauf wartest du? Unterschreib jetzt," drängte Nathan, als er näher kam. Seraphina und Aurora folgten ihm, ihre Augen fest auf den Vertrag gerichtet.

Olivia nahm den Stift in die Hand, hielt dann inne. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie den Vertrag Damon zurückgab.

"Herr Cooper, könnte ich bitte ein paar Minuten alleine mit meiner Familie haben? Ich möchte ihnen etwas sagen."

Damon runzelte leicht die Stirn, nickte aber. "In Ordnung, ich komme in zehn Minuten zurück."

Er drehte sich um und verließ die Kathedrale, und die eingeladenen Gäste folgten ihm.

Bald blieben nur noch Olivia und ihre Familie zurück.

"Olivia, was willst du uns sagen? Unterschreib einfach das Papier. Ich habe geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen," sagte Nathan und sah seine Tochter nicht wie ein Vater an, sondern als wäre sie ein ungehorsamer Hund.

"Ja, Olivia, verschwende nicht die Zeit von uns allen. Ich habe heute Nachmittag ein Date," drängte Aurora ungeduldig und warf einen Blick auf das Jade-Armband an ihrem Handgelenk.

Sie war etwa in Olivias Alter und ebenso schön, obwohl ihre Züge mehr den exotischen Look von Seraphina aufwiesen.

Olivias Blick verweilte auf Auroras Armband, und ein Schmerz durchzog ihr Herz. Es war ein wunderschönes Stück – Nathans Geburtstagsgeschenk an Aurora dieses Jahr. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte Olivia kein einziges Geschenk erhalten.

Aurora schwenkte ihr Handgelenk selbstgefällig vor Olivia hin und her und ignorierte den Schmerz in Olivias Augen völlig.

Als Nathan Olivias Mutter, Juniper Evans, geheiratet hatte, hatte er versprochen, sie für immer zu lieben. Gemeinsam hatten sie eine Firma aufgebaut, deren Wert durch Junipers außergewöhnliches Geschäftstalent stetig stieg. Doch Überarbeitung hatte zu einem Autounfall geführt.

Während Olivia um den kritischen Zustand ihrer Mutter trauerte, hatte Nathan den größten Teil von Junipers Macht in der Firma an sich gerissen und eine Frau und ihre Tochter nach Hause gebracht – Seraphina und Aurora, seine Geliebte und sein uneheliches Kind.

An diesem Tag hatte Olivia endlich die wahre Natur ihres Vaters erkannt.

Er war ein Monster. Allein Auroras Alter bewies, dass er Juniper von Anfang an ihrer Ehe betrogen hatte.

Nathan bemerkte Olivias starren Blick und fühlte einen Anflug von Schuld. Er versuchte, es mit Aggression zu überspielen. "Vergiss nicht, nur das Krankenhaus der Familie Howard, das Evergreen Hospital, kann die Krankheit deines Bruders behandeln. Wenn du nicht unterschreibst, werden sie ihn entlassen, und er wird sterben."

"Dad, vielen Dank, dass du Jasper die Chance gibst, zu leben," antwortete Olivia sarkastisch.

Jasper Smith war ein Kind, das Juniper aus einem Waisenhaus adoptiert hatte. Nach Junipers Tod hatte Nathan Jasper hinausgeworfen und ihn beinahe auf der Straße erfrieren lassen.

Olivia hatte Jasper aufgenommen, und er war zu Nathans Druckmittel gegen sie geworden.

"Dad, Tante Seraphina, Aurora, danke, dass ihr mir diese Gelegenheit gebt, in eine so angesehene Familie einzuheiraten. Ich sollte meine Dankbarkeit ausdrücken."

"Kein Dank nötig. Du hast uns bereits genug Vorteile verschafft. Verdammt, was machst du da?" Nathans Augen weiteten sich, als Olivia eine doppelläufige Schrotflinte aus einem nahegelegenen Schrank zog. Ihre Gesichter erbleichten vor Angst.

"Was wäre eine Hochzeit ohne Feuerwerk? Das ist mein Geschenk an euch," sagte Olivia mit einem unheimlichen Lächeln, während sie die Waffe durchlud.

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