Kapitel 4 Der wahre Grund, warum er sie gewählt hat

„Mr. Cavendish, geht es Ihnen gut?“ Naomi rieb William den Rücken, während sein Husten schlimmer wurde.

Plötzlich verstummte er und brach zusammen.

„Großvater!“ Jonathan drängte Naomi zur Seite, hob William in seine Arme und eilte die Treppe hinauf.

„Ruf den Arzt!“ rief er.

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, rannte jemand los, um den Anruf zu tätigen.

Besorgt um William eilte Naomi hinter ihnen her ins Schlafzimmer. Was sie dort sah, ließ sie erstarren.

Der Raum war mit allen erdenklichen medizinischen Geräten ausgestattet – Monitore, Infusionsständer, Sauerstoffflaschen. Mehrere Krankenschwestern schlossen William bereits an eine Infusion an.

Das war kein Schlafzimmer; es war praktisch eine Intensivstation.

Der Arzt stürmte nur wenige Augenblicke später herein. „Mr. Cavendish, ich muss Sie bitten, den Raum zu verlassen.“

„Rette ihn“, sagte Jonathan mit einer Stimme, die vor unterdrückter Emotion bebte.

Als er Naomi noch immer wie versteinert dastehen sah, packte Jonathan sie ungeduldig am Arm und zog sie hinaus.

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.

Naomi kam endlich wieder zu sich. „Was hat Mr. William Cavendish?“

„Endstadium Krebs.“ Jonathans Stimme war emotionslos, aber sein Griff um ihren Arm wurde fester.

„Sie tun mir weh“, sagte Naomi und verzog das Gesicht vor Schmerz.

Jonathan ließ los, sein Blick verweilte auf ihrem Gesicht. Die Worte hallten in seinem Kopf wider – sie hatte sie schon einmal gesagt, in jener Nacht. Ihre Stimme war damals weicher gewesen, fast zitternd: „Sie tun mir weh.“

Eine solche Zerbrechlichkeit… tief in ihm eingraviert, weigerte sich zu verblassen.

Er schaute weg und konzentrierte sich auf die Tür des Schlafzimmers.

Naomi faltete ihre Hände und betete still für Williams Genesung, obwohl sie wusste, dass Endstadium Krebs bedeutete, dass er nur noch auf den Tod wartete.

Während des Studiums, als ihre Familie ihr das Geld für die Studiengebühren gestrichen hatte, hatte sie als Krankenhaushelferin gearbeitet. Sie wusste, dass die letzten Tage von Krebspatienten qualvoll waren.

Geld machte am Ende keinen Unterschied – der Tod brachte allen das gleiche Leiden und die gleiche Verzweiflung.

Diese Erinnerung ließ ihre Brust sich zusammenziehen. Sie wollte gerade ans Ende des Flurs gehen, um etwas Luft zu schnappen, als Jonathan sprach, seine Stimme ohne jede Emotion.

„Ich brauche dich, um die Rolle meiner Frau zu spielen, während mein Großvater seine letzten Tage erlebt. Im Gegenzug gebe ich dir genug Geld, um den Rest deines Lebens komfortabel zu leben.“

Naomi blieb still stehen, dann nickte sie.

Natürlich. Das Märchen, in dem der reiche Erbe sich in jemanden wie sie verliebt, würde nie passieren.

Alles, was sie zu bieten hatte, war ihr einigermaßen hübsches Gesicht und ihre Arbeitsmoral – nichts, was jemanden wie Jonathan beeindruckte.

Er konnte jede schöne Frau haben, die er wollte, sogar gutaussehende Männer, wenn er das bevorzugte. Und fleißige Arbeiter? Cavendish Corporation war voll davon. Diejenigen, die nicht hart genug arbeiteten, wurden einfach ersetzt.

Warum also hatte Jonathan sich entschieden, sie zu heiraten?

Naomis Augen weiteten sich, als Szenen direkt aus Liebesromanen und melodramatischen Seifenopern vor ihrem inneren Auge aufblitzten. Die einzige Karte, die sie je hatte, war, dass sie in der Nacht, als sie das erste Mal miteinander schliefen, Jungfrau gewesen war.

Dann traf sie die Erkenntnis – das Cavendish-Blut war rein, und die Familie würde niemals zulassen, dass es „verunreinigt“ wurde.

War es das? War sie für Jonathan nichts weiter als ein Gefäß, um seinen Erben zu tragen?

Naomi blickte auf die Uhr. Mehr als vierundzwanzig Stunden waren seit jener Nacht mit Jonathan vergangen. Sie hatte nie mit Verhütung zu tun gehabt und hatte keine Ahnung, wie lange Notfallpillen noch wirken würden.

Ein krankmachender Gedanke drängte sich in ihren Kopf – was, wenn Jonathan kaltblütig genug war, um sie schwanger zu machen, nur damit William das Kind noch vor seinem Tod sehen konnte? Würde sie auf nichts weiter als ein Gefäß reduziert werden, das man wegwarf, sobald es seinen Zweck erfüllt hatte?

Das Bild, wie man sie zu einem frühen Kaiserschnitt zwang, nur um einen Neugeborenen in Williams schwache Arme zu legen, bevor das Ende kam, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Ihr Magen drehte sich um, und sie musste schwer schlucken, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken.

Wenn Jonathan etwas wollte, was konnte er nicht erreichen?

Naomi zog ihr Handy heraus und suchte schnell nach nahegelegenen Apotheken. Die nächste war Dutzende Meilen entfernt. Sie warf Jonathan einen Blick zu.

"Irgendetwas nicht in Ordnung?" fragte er kalt, als er ihren Blick auffing.

Naomi fragte unbeholfen: "Könnte Ihr Fahrer mich zuerst nach Hause bringen?"

Jonathan lachte innerlich.

Diese Frau hatte sich warmherzig mit seinem Großvater unterhalten, aber in dem Moment, in dem er zusammenbrach, zeigte sie ihr wahres Gesicht.

"Wenn du gehen willst, dann geh selbst," sagte er abweisend.

Naomi spürte Jonathans Wut und wagte es nicht, erneut zu fragen. Stattdessen begann sie hektisch zu suchen, ob die Notfallverhütung innerhalb von 72 Stunden noch wirksam wäre.

Jonathan bemerkte, wie sie ängstlich auf ihrem Handy tippte.

Er erinnerte sich daran, dass sie James' Freundin gewesen war, und wandte schnell den Blick ab.

Es spielte keine Rolle, wessen Freundin sie gewesen war, solange sein Großvater sie mochte.

Wenn sein Großvater starb, wäre es Zeit für sie zu gehen.

Nachdem Naomi bestätigt hatte, dass einige Notfallverhütungsmittel innerhalb von drei Tagen wirkten, entspannte sie sich endlich. Sie stand vor Williams Schlafzimmer und wartete darauf, dass der Notfall endete.

Eine halbe Stunde später trat der Arzt heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Mr. Cavendish, wir haben Ihren Großvater stabilisiert, aber er muss im Bett bleiben. Keine längeren Zeiten mehr im Sitzen."

Jonathan warf Naomi einen Blick zu, die ungläubig die Augen weitete.

Gab er ihr die Schuld? William hatte sie gebeten, Schach zu spielen – sie hatte nichts von seinem Zustand gewusst.

"Naomi?" rief Williams schwache Stimme von drinnen.

Naomi eilte hinein, kniete sich neben das Bett und nahm Williams Hand. "Ich bin hier, Mr. Cavendish. Geht es Ihnen gut? Tut etwas weh?"

Als sie William mit einer Sauerstoffmaske sah und seine flache Atmung hörte, füllten sich Naomis Augen mit Tränen.

"Nicht weinen, Naomi. Mir geht es gut," sagte William und tätschelte sanft ihre Hand. Naomi drehte sich weg, um ihre Tränen abzuwischen.

"Nicht weinen, Naomi... Mir geht es gut," murmelte William und gab ihrer Hand einen schwachen, beruhigenden Klaps. Sie wandte ihr Gesicht ab und tupfte schnell ihre Tränen weg.

Von der Tür aus beobachtete Jonathan sie, sein Ausdruck eiskalt.

'Für diese Vorstellung könnte sie einen Preis gewinnen,' dachte er. 'Was für eine Verschwendung, sich hinter einem Schreibtisch als Talentagentin zu verstecken.'

Die kleine Kraft, die William noch hatte, schwand dahin, und seine Augenlider flatterten erneut zu.

Naomi verweilte einen Moment, dann schlich sie lautlos aus dem Raum, die Luft hinter ihr schwer von unausgesprochenen Worten.

"Komm schon. Ich bringe dich nach Hause," sagte Jonathan und ging die Treppe hinunter, ohne sie anzusehen.

Naomi fühlte sich irritiert, erinnerte sich aber daran, dass sie ihn in ein paar Monaten scheiden lassen könnte. Bis dahin würde er als ihr Schutzschild gegen die Verkupplungsversuche ihrer Familie dienen. Der Gedanke verbesserte ihre Laune leicht.

Jonathan schwieg während der Fahrt, sein Ausdruck dunkel und bedrohlich.

Als sie sich ihrem Viertel näherten, sagte Naomi schnell: "Halten Sie hier bitte. Bei der Apotheke. Ich kann den Rest des Weges laufen."

Der Fahrer, Terry Perez, warf Jonathan einen Blick zu, der leicht nickte. Terry hielt an.

Naomi rannte praktisch zur Apotheke.

Terry bemerkte leise: "Ms. Kennedy sieht nicht gut aus. Glauben Sie, sie ist krank?"

Jonathan überlegte, dann öffnete er mit Verärgerung die Tür. Sein Großvater brauchte Naomi, um seine Stimmung aufrechtzuerhalten, also musste er sicherstellen, dass sie absolut gesund war. Nichts durfte die Behandlung seines Großvaters beeinträchtigen.

Inzwischen stürmte Naomi durch die Apothekentür, die Brust hob sich, und ging direkt zum Tresen.

"Haben Sie die Pille danach? Die, die innerhalb von 72 Stunden wirkt?" fragte sie hastig. "Etwas, das sicherstellt, dass ich nicht schwanger werde?"

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