Sechs

Das Krankenhauszimmer war schwach beleuchtet, als ich endlich zu Opa durfte. Das sanfte Licht einer einzigen Deckenlampe erhellte seine schwache Gestalt, die unter den strahlend weißen Laken lag. Das Piepen des Herzmonitors war stetig, aber leise, fast so, als würde es den langsamen Rhythmus seines Atems nachahmen. Mein Herz sank, als ich mich dem Bett näherte, meine Schritte gedämpft auf den sterilen Fliesen. Er sah irgendwie älter aus, noch zerbrechlicher als am Tag zuvor. Es war, als hätte der Stress der letzten Tage ihm die letzte Lebensenergie geraubt.

„Opa“, flüsterte ich und zog einen Stuhl näher an sein Bett. Seine Augen öffneten sich bei dem Klang meiner Stimme, und für einen Moment erkannte er mich. Er drückte schwach meine Hand, als ich sie in meine nahm, und die Wärme dieser kleinen Geste brachte mir Tränen in die Augen.

Er bewegte seine freie Hand in Richtung der Sauerstoffmaske auf seinem Gesicht und versuchte, sie abzuziehen. Die Krankenschwester, die in der Ecke des Zimmers stand, griff sanft ein. „Sie müssen die Maske aufbehalten, Herr Montrose“, sagte sie leise und führte seine Hand zurück aufs Bett.

Ich wusste, was er wollte. Er wollte sprechen, etwas Wichtiges sagen, aber die Maske und sein Zustand ließen es nicht zu. Ich beugte mich näher zu ihm, drückte seine Hand fest. „Es ist in Ordnung, Opa“, sagte ich, meine Stimme zitternd, aber fest genug, um Zuversicht zu vermitteln. „Du musst nichts sagen. Ich weiß es.“

Seine Augen suchten meine, voller Fragen, Angst und der unverkennbaren Hoffnung, die nur aus Liebe entstehen kann. Ich spürte, wie sich meine Brust zusammenzog, als ich ihn ansah. Ich wusste genau, worüber er sich Sorgen machte.

„Was auch immer du in den Nachrichten über Theo gesehen hast, es stimmt nicht“, sagte ich bestimmt. „Es ist alles nur ein großes Missverständnis. Ich arbeite daran, es zu klären. Theo würde so etwas niemals tun. Du kennst ihn – er ist dein Enkel. Der Theo, den wir kennen, würde nie stehlen.“

Eine Träne lief aus dem Augenwinkel, und ich hob die Hand, um sie sanft wegzuwischen. „Wir werden das durchstehen, Opa“, fuhr ich fort. „Theo wird in Ordnung sein, und du auch. Du wirst ihn bald sehen, das verspreche ich dir.“

Seine Lippen zuckten zu einem schwachen Lächeln unter der Sauerstoffmaske, und diese kleine Geste erfüllte mich mit einem bittersüßen Gefühl der Erleichterung. Ich beugte mich hinunter und küsste seine faltige Hand, hielt sie einen Moment lang nah an mein Herz. „Du konzentrierst dich einfach darauf, wieder gesund zu werden, okay? Den Rest überlasse mir.“

Margarete stand in der Nähe und beobachtete das Geschehen mit stiller Empathie. Nach einem Moment trat sie vor. „Er braucht jetzt Ruhe, Ella“, sagte sie sanft. „Es war ein stressiger Tag für euch beide.“

Ich nickte, ließ aber seine Hand nicht sofort los. „Ich bleibe heute Nacht bei ihm“, sagte ich zu ihr. „Du hast schon so viel getan. Geh nach Hause und ruhe dich aus – du kannst morgen früh wiederkommen.“

Sie zögerte, blickte zwischen mir und Opa hin und her. „Bist du sicher? Es macht mir nichts aus, zu bleiben.“

„Ich bin sicher“, sagte ich mit einem kleinen Lächeln. „Danke für alles. Wirklich. Aber ich fühle mich besser, wenn ich heute Nacht bei ihm bleibe.“

Sie gab mir eine warme, verständnisvolle Umarmung, bevor sie ging. „Ruf mich an, wenn sich etwas ändert, okay? Ich sehe euch beide morgen früh.“

Als die Tür sich hinter ihr schloss, fühlte sich der Raum stiller an, fast unheimlich. Ich setzte mich auf den Stuhl neben Opas Bett, meine Finger immer noch um seine Hand geschlungen. Er war eingeschlafen, sein Atem flach, aber gleichmäßig. Das sanfte Leuchten der Monitore warf Schatten auf sein Gesicht und hob die tiefen Furchen hervor, die das Alter und die Sorgen hinterlassen hatten.

Ich konnte die Welle der Emotionen, die mich überkam, nicht aufhalten. Schuld, Erschöpfung, Angst – sie alle wirbelten zusammen und drohten, mich zu überwältigen. Ich dachte an die Jahre, in denen Opa sich um uns gekümmert hatte, daran, wie er immer unser Anker war, egal welche Stürme wir durchlebten. Und jetzt lag er hier, zerbrechlich und kämpfend um jeden Atemzug, wegen des Chaos, das in unser Leben eingedrungen war.

Ich wollte stark für ihn sein, ihm zeigen, dass ich alles allein bewältigen konnte. Aber die Wahrheit war, dass ich mich unter der Last von allem zerbrochen fühlte. Theos Verhaftung, Opas Gesundheit, die sich stapelnden Rechnungen – es war zu viel. Und doch hatte ich keine andere Wahl, als weiterzumachen. Für ihn. Für Theo. Für unsere Familie.

Die Nacht zog sich hin, und das Krankenhaus schien mit jeder Stunde ruhiger zu werden. Ich legte meinen Kopf auf den Rand des Bettes, immer noch Opas Hand haltend. Das rhythmische Piepen des Herzmonitors wurde fast hypnotisch und versetzte mich in einen Zustand halben Bewusstseins.

Ab und zu warf ich einen Blick auf ihn, um sicherzustellen, dass er noch atmete, noch kämpfte. Sein Gesicht war im Schlaf so friedlich, ein krasser Gegensatz zu dem Aufruhr, den er im wachen Zustand fühlte. Ich wollte ihn vor allem beschützen, ihn vor den harten Realitäten abschirmen, die unser Leben überfallen hatten. Aber ich konnte es nicht. Alles, was ich tun konnte, war, irgendwie zu versuchen, die Dinge in Ordnung zu bringen.

Als die Dämmerung hereinbrach und ein sanftes rosa Licht den Raum erfüllte, erlaubte ich mir endlich, für einen Moment die Augen zu schließen. Doch bevor ich einschlafen konnte, spürte ich einen leichten Druck auf meiner Hand. Meine Augen öffneten sich schlagartig, und ich sah, wie Opas Augenlider zuckten.

„Guten Morgen“, sagte ich leise und lächelte ihn an. „Wie fühlst du dich?“

Er antwortete natürlich nicht – das konnte er nicht mit der Sauerstoffmaske –, aber seine Augen sagten genug. Ein schwaches Glimmen von Wärme war darin, ein stilles Anerkennen, dass er noch kämpfte. Ich strich eine lose Locke aus meinem Gesicht und lehnte mich näher zu ihm.

„Du wirst Theo bald sehen“, sagte ich, meine Stimme fest und zuversichtlich. „Konzentriere dich einfach darauf, gesund zu werden, okay? Wir brauchen dich hier, Opa. Ich brauche dich hier.“

Er gab das schwächste Nicken, seine Augenlider schlossen sich wieder, als die Erschöpfung ihn übermannte. Ich lehnte mich zurück und fühlte eine Mischung aus Erleichterung und Herzschmerz. Er war noch bei mir – vorerst. Und ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um das so zu halten.

Als das Morgenlicht den Raum erfüllte, machte ich mir ein stilles Versprechen. Egal wie schwierig es wurde, ich würde nicht aufgeben. Nicht auf Opa, nicht auf Theo und nicht auf das Leben, das wir zusammen aufgebaut hatten. Denn Familie war alles, was wir hatten, und das war es wert, dafür zu kämpfen.

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