Sieben
Am nächsten Morgen wurde ich durch Margrets sanfte Stimme geweckt, die meinen Namen rief. Ich blinzelte ein paar Mal, desorientiert, bevor ich mich daran erinnerte, dass ich die Nacht im Krankenzimmer verbracht hatte. Mein Nacken schmerzte vom Schlafen im Stuhl, und das Sonnenlicht, das durch das Fenster strömte, war zu grell für meinen verschlafenen Zustand.
„Ella“, sagte sie leise und legte eine Hand auf meine Schulter. „Warum gehst du nicht für eine Weile nach Hause? Du musst duschen und dich ausruhen. Ich kümmere mich um ihn.“
Ich nickte und rieb mir den Schlaf aus den Augen. „Danke“, murmelte ich. „Ich gehe für eine Weile.“
Sie lächelte warm und reichte mir meine Tasche. „Mach dir keine Sorgen. Ich rufe dich an, wenn sich etwas ändert.“
Ich beugte mich vor, um Großvater einen Abschiedskuss auf die Stirn zu geben, und murmelte ein leises „Auf Wiedersehen“, bevor ich den Raum verließ. Mein Körper fühlte sich schwer an vor Erschöpfung und Sorge, als ich durch die Krankenhausflure ging. Es gab so viel zu tun – so viel, von dem ich nicht einmal wusste, wie ich es angehen sollte. Ich musste einen Rechtsanwalt aufsuchen und herausfinden, wie ich Theo aus diesem Schlamassel herausholen konnte. Und jetzt, mit Großvaters Krankenhausrechnungen, fühlte ich mich, als würde ich unter der Last von allem ersticken.
Als ich auf die Straße trat, riss mich die frische Morgenluft aus meiner Benommenheit. Meine Schuhe klickten auf dem Gehweg, während ich nach einer Bushaltestelle Ausschau hielt. Ein Taxi kam nicht in Frage – ich hatte kaum genug Geld, um die Krankenhausrechnung zu bezahlen, geschweige denn eine Fahrt.
Plötzlich hielt ein elegantes schwarzes Auto neben mir an. Es war die Art von Auto, die man nur in Filmen oder vor schicken Restaurants sieht. Die Fenster waren getönt, und ich zögerte, fühlte eine Welle des Unbehagens. Dann öffnete sich die Fahrertür, und ein Mann in einem scharfen Anzug und dunkler Brille stieg aus.
„Miss Montrose?“ fragte er, seine Stimme höflich, aber bestimmt.
Ich erstarrte und klammerte mich an meine Tasche. „Ja?“
Er lächelte leicht und rückte seine Brille zurecht. „Ich bin ein Vertreter der Firma, für die Ihr Bruder gearbeitet hat. Ich würde gerne mit Ihnen über seine aktuelle Situation sprechen.“
Die Firma? Mein Magen zog sich vor Misstrauen zusammen. „Was wollen Sie?“
„Nur reden“, antwortete er glatt und deutete auf das Auto. „Bitte, es dauert nicht lange.“
Ich zögerte und betrachtete das luxuriöse Fahrzeug. Alles daran fühlte sich falsch an, aber ich war zu neugierig – und zu verzweifelt – um ihn nicht anzuhören. Nach einem Moment nickte ich und trat auf das Auto zu.
Als ich auf dem Rücksitz Platz nahm, wurde mir bewusst, wie fehl am Platz ich mich fühlte. Die Ledersitze waren makellos, und der leichte Duft teuren Parfüms erfüllte die Luft. Ich rutschte unbehaglich hin und her und wurde mir plötzlich bewusst, dass ich weder meine Zähne geputzt noch geduscht hatte. Ich nahm mir vor, Abstand zu dem Mann zu halten, als er wieder auf den Fahrersitz stieg.
Die Fahrt war zunächst still. Ich starrte aus dem Fenster und sah die Stadt vorbeiziehen, während mein Kopf voller Fragen war. War dieser Mann Theos Chef? Er sah jedenfalls so aus. Und warum sagte er nichts?
Schließlich konnte ich die Stille nicht mehr ertragen. „Worum geht es?“ fragte ich und lehnte mich leicht nach vorne.
Der Mann warf mir im Rückspiegel einen Blick zu. „Wir besprechen alles, sobald wir angekommen sind“, sagte er, sein Tonfall gemessen.
Ich runzelte die Stirn, drängte aber nicht weiter. Irgendetwas an seiner Art zu sprechen machte klar, dass er nicht weiter ins Detail gehen würde. Stattdessen lehnte ich mich zurück und versuchte, das wachsende Unbehagen in meiner Brust zu unterdrücken.
Das Auto bog schließlich in die Einfahrt eines hoch aufragenden Glasgebäudes ein. Es war elegant und modern, ein Ort, der nach Geld schrie. Meine Angst stieg, als der Fahrer die Tür für mich öffnete.
„Hier entlang, Miss Montrose“, sagte er und deutete auf den Eingang.
Ich folgte ihm hinein, meine Schritte hallten auf den polierten Marmorböden wider. Die Lobby war weitläufig und einschüchternd, mit bodentiefen Fenstern und einem Empfangstresen, der mehr wie eine Skulptur als ein Möbelstück wirkte. Als wir am Empfangstresen vorbeigingen, drehte sich mein Magen, als ich die Frau erkannte, die dort saß. Dieselbe Empfangsdame, die mir vor ein paar Tagen den Zugang zu Theos Chef verweigert hatte. Jetzt schenkte sie mir kaum Beachtung, ihr Fokus lag ganz auf dem Bildschirm vor ihr.
Der Mann führte mich zu einem Aufzug, und wir fuhren schweigend nach oben. Die Aufzugsfahrt war still, abgesehen vom leisen Summen der Maschinen und dem Echo meines eigenen Herzschlags. Ich versuchte, nicht zu zappeln, und verschränkte meine Hände fest in meinem Schoß. Die Autofahrt zuvor war schon seltsam genug gewesen, aber jetzt, wo ich in dieses imposante Gebäude eskortiert wurde, drohten meine Nerven mich zu verraten. Ich warf einen Seitenblick auf den Anzugträger, der mich hierher gebracht hatte. Sein Gesichtsausdruck blieb unergründlich, eine Maske der Gleichgültigkeit, die nur zu meiner Angst beitrug.
Mit einem leisen Klingeln öffneten sich die Türen und gaben den Blick auf das oberste Stockwerk des Gebäudes frei. Die Luft schien hier anders zu sein – kühler, frischer und mit einem Hauch von poliertem Holz und Leder. Zögernd trat ich hinaus, meine Augen sofort von der Opulenz um mich herum angezogen. Glänzende schwarze Marmorböden reflektierten das sanfte Licht moderner Kronleuchter. Abstrakte Gemälde schmückten die Wände, und das leise Summen ferner Gespräche lag in der Luft.
Ich fühlte mich unendlich fehl am Platz. Mein abgenutzter Cardigan und meine abgewetzten Schuhe bildeten einen krassen Kontrast zur makellosen Eleganz dieser Welt.
Der Anzugträger führte mich einen Flur entlang, der von Glaswänden gesäumt war und Einblicke in elegante Büros und gut gekleidete Fachleute bot. Jeder Schritt schien schwerer als der letzte, während meine Gedanken rasten. Wer würde hinter diesen Türen auf mich warten? War es Theos Chef? Würde er mir zuhören? Würde er meinem Bruder helfen?
Schließlich blieben wir vor einem Paar riesiger Doppeltüren aus Glas stehen. Der Mann drehte sich zu mir und gestikulierte, dass ich eintreten sollte. „Gehen Sie ruhig rein“, sagte er einfach, sein Tonfall neutral.
Ich zögerte, meine Finger zuckten an meinen Seiten. „Sind Sie sicher, dass ich einfach... hineingehen kann?“ fragte ich, meine Stimme kleiner als beabsichtigt.
Er nickte leicht, sein Ausdruck wurde gerade so weich, dass ich sicher war, keinen Fehler zu machen. „Er erwartet Sie.“
Mit einem tiefen Atemzug stieß ich die Türen auf und trat ein.
Das Büro war riesig, seine Wände fast vollständig aus Glas, das einen Panoramablick auf die Stadt bot. Die Morgensonne tauchte den Raum in goldenes Licht und warf lange Schatten auf den flauschigen grauen Teppich. Ein schlanker schwarzer Schreibtisch stand nahe der Mitte, aber meine Augen wurden sofort von dem Mann angezogen, der am fernen Fenster stand, mit dem Rücken zu mir. Er war groß, blond, seine Haltung steif, und seine Hände waren hinter ihm verschränkt, während er auf die ausgedehnte Stadtlandschaft unter ihm hinausschaute.
Ich schluckte schwer, mein Hals plötzlich trocken. Vorsichtig machte ich einen Schritt nach vorne, meine Schuhe sanken in den weichen Teppich. Der Mann bewegte sich nicht, erkannte meine Anwesenheit nicht an. Einen Moment lang fragte ich mich, ob er mich überhaupt hatte eintreten hören.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich zögernd, meine Stimme zitterte leicht. „Ich bin hier, um über meinen Bruder zu sprechen...“
Der Mann am Fenster bewegte sich immer noch nicht, seine große Gestalt vom goldenen Licht der Stadt umrahmt. Die Stille im Raum war beunruhigend, nur unterbrochen vom leisen Summen der Klimaanlage.
Ich warf einen Blick über meine Schulter, halb erwartend, dass der Anzugträger, der mich hergebracht hatte, eine Erklärung abgeben würde, aber die Türen waren bereits hinter mir geschlossen. Ich war allein mit dem Mann, der mir den Rücken zugewandt hatte.
Schwer schluckend, machte ich einen weiteren zögerlichen Schritt nach vorne. „Entschuldigen Sie“, sagte ich leise, meine Stimme immer noch zitternd. „Ich... ich wollte Sie treffen, Herr, und—“
„Ella Montrose.“
Die Stimme unterbrach mich mitten im Satz. Tief und kalt, umschlang sie mich wie ein Schraubstock. Ich erstarrte, starrte auf die Gestalt, die regungslos blieb, den Rücken immer noch zu mir gewandt.
„Ja“, brachte ich heraus, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ich... das bin ich. Ich bin Theo Montroses Schwester.“
Der Mann drehte sich um.
Es fühlte sich an, als wäre die Luft aus dem Raum gesogen worden.
Mein Herz schlug heftig gegen meine Rippen, als meine Augen sich auf den Mann vor mir richteten. Mein Atem stockte, mein Verstand kämpfte, um zu verarbeiten, was ich sah.
Es war er.
James Lancaster.
