


KAPITEL 4
ASHLEY
(ZWEI JAHRE SPÄTER)
Zwei Jahre.
So lange war es her, dass ich mein Leben in einen einzigen Koffer gepackt und einen Flug nach Deutschland bestiegen hatte. Zwei Jahre, seit ich die Asche eines Lebens zurückgelassen hatte, das ich nicht mehr ertragen konnte. Und jetzt war ich hier – zurück in New York, saß in Violets gemütlichem Wohnzimmer, der Duft von frischem Kaffee mischte sich mit dem leichten Geruch von Babypuder, der jede Ecke erfüllte.
Gegenüber von mir saß Violet und wiegte ihre neugeborene Tochter im Arm, ihre Augen leuchteten mit der sanften Erschöpfung, die nur eine neue Mutter tragen konnte.
„Du siehst aus wie die Hölle, Ash“, neckte Violet, ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
Ich schnaubte und nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee, den sie mir gereicht hatte. „Danke für den warmen Empfang. Genau das, was ich nach einem Nachtflug und null Schlaf gebraucht habe.“
„Hey, du hast es dir selbst eingebrockt“, erwiderte sie und richtete vorsichtig die rosa Decke des Babys. „Wer wartet zwei Jahre, um zu besuchen, und taucht dann unangekündigt auf?“
„Ich wollte das nicht verpassen“, sagte ich und nickte in Richtung des Babys, dessen winzige Fäuste aus der Decke hervorstachen.
Violets Gesicht wurde weicher, ihr Blick fiel auf ihre Tochter. „Sie ist die Reise wert, nicht wahr?“
„Sie ist perfekt“, gab ich zu und beugte mich vor, um die weiche Wange des Babys zu streicheln. „Wie heißt sie nochmal? Du hast mir eine SMS geschickt, aber ich war halb im Schlaf und…
„Lila Jenkins“, sagte Violet, ihre Stimme voller Stolz.
„Lila“, wiederholte ich und ließ den Namen auf meiner Zunge zergehen. „Wunderschön, genau wie ihre Mutter.“
Violet schmunzelte und wischte das Kompliment beiseite. „Schmeichelei wird dich nicht aus der Patsche helfen, weil du so lange weg warst.“
Ich verdrehte die Augen und lehnte mich in die weichen Kissen zurück. „Das habe ich verdient. Aber im Ernst, sobald du mir gesagt hast, dass du in den Wehen liegst, habe ich den ersten Flug aus Deutschland gebucht. Ich wollte nicht verpassen, Lila kennenzulernen.“
Ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie etwas sagen, aber der plötzliche Schimmer von Schalk in ihren Augen verriet mir, dass sie mich nicht so leicht davonkommen lassen würde. „Kannst du glauben, dass dieses Kind mich schon herumkommandiert? Sie ist noch nicht mal einen Monat alt, Ash!“
„Das hat sie von dir“, konterte ich mit einem Grinsen.
„Ach bitte. Ich bin entzückend“, erwiderte Violet und streckte mir die Zunge heraus. „Es ist Ryan, der der Bossy-Typ ist. Sie hat es wahrscheinlich schon im Mutterleib von ihm aufgeschnappt.“
„Klar, schieb es auf den Vater“, neckte ich und setzte mich neben sie auf die Couch. „Aber seien wir ehrlich – dieses Kind wird deine Einstellung, Ryans Sturheit und ein Leben voller Drama haben. Das arme Ding hatte keine Chance.“
„Unverschämt“, sagte Violet lachend, aber ihr Lächeln verblasste, als ihr Gesicht plötzlich blass wurde. Ihre Hand umklammerte Lila fester.
„Vi?“, sagte ich, mein Grinsen verschwand. „Alles okay?“
Sie nickte schnell, aber die Röte des Unbehagens in ihrem Gesicht entging mir nicht. „Mir geht’s gut… nur ein bisschen schwindelig. Wahrscheinlich holt mich der Schlafmangel ein.“
Ich runzelte die Stirn und beobachtete, wie ihr Griff um Lila sich leicht löste. Ohne einen zweiten Gedanken griff ich hinüber und nahm das Baby vorsichtig aus ihren Armen. „Hier, lass mich. Du musst dich ausruhen.“
„Nein, mir geht’s gut“, protestierte Violet schwach, aber ihre Stimme war zu leise, um jemanden zu überzeugen. Ihr Körper sank weiter in die Couch, und Panik durchflutete mich.
„Violet“, sagte ich, meine Stimme jetzt fest. „Du bist nicht okay. Wo ist Ryan?“
Bevor sie antworten konnte, öffnete sich die Haustür, und Ryan trat ein. Seine scharfen, dunklen Augen durchsuchten den Raum, bevor sie sich auf Violet richteten. Sein Ausdruck verdunkelte sich sofort.
„Was ist los?“ fragte er fordernd und überquerte den Raum mit langen Schritten.
„Ihr geht es nicht gut“, sagte ich schnell. „Ryan, ich glaube, irgendetwas stimmt nicht.“
„Ich bin nur müde“, murmelte Violet, aber ihre Worte waren undeutlich, und ihr Körper schwankte, als könnte sie sich nicht aufrecht halten.
Ryan hockte sich vor ihr hin, seine großen Hände umfassten ihr blasses Gesicht. „Violet, schau mich an. Bist du schwindelig? Hast du Schmerzen? Irgendetwas anderes?“
„Ich…“ Ihre Augenlider flatterten, und ihr Kopf sank leicht zur Seite. „Ich weiß nicht.“
Ryans Kiefermuskeln spannten sich an, seine Panik war kaum hinter der stoischen Maske verborgen, die er immer trug. „Ashley, nimm das Baby“, befahl er und hob Violet in seine Arme, bevor ich überhaupt begreifen konnte, was geschah.
Ich nahm Lila schnell an meine Brust, mein Herz raste, als Violet ein schwaches Stöhnen von sich gab.
„Wir fahren ins Krankenhaus“, sagte Ryan entschieden.
„Ich komme mit“, sagte ich ohne zu zögern und folgte ihm, als er Violet zur Tür trug.
—
Ein paar Minuten später waren wir im Krankenhaus. Violet war aufgenommen worden, und das Wartezimmer war unheimlich still, abgesehen vom gelegentlichen Rascheln von Papier oder den gedämpften Schritten der Krankenschwestern im Flur.
Ryan lief auf und ab, seine Hände zu Fäusten geballt. Er bewegte sich wie ein eingesperrter Tiger, seine scharfen Gesichtszüge vor Sorge angespannt. Hin und her, hin und her, als könnten seine Schritte allein die Zeit schneller vergehen lassen.
„Sie wird in Ordnung sein, Ryan“, murmelte ich.
Er antwortete nicht. Vielleicht hörte er mich nicht, oder vielleicht war er einfach nur Ryan.
Nicht überraschend. So war er schon immer gewesen. In der Highschool war er der Typ, der jeder sein wollte – oder mit dem jeder zusammen sein wollte. Traumhaft, berühmt und gerade arrogant genug, um es frustrierend zu machen. Jedes Mädchen vergötterte den Boden, auf dem er ging.
Es erstaunt mich immer noch, wie er bei Violet gelandet ist. Sie war sein völliges Gegenteil – nerdig, gelassen und vollkommen zufrieden damit, unter dem Radar zu fliegen. Wo Ryan scharf und intensiv war, war Violet sanft und beständig. Ihre Liebesgeschichte war wie aus einem Drama – Stiefgeschwister, die durch das Schicksal zusammengebracht wurden, Skandale, Urteile und eine Million Komplikationen überwanden, um schließlich zusammen zu sein. Sie waren mein Lieblingspaar. Sind es immer noch.
Ich seufzte, das Gewicht des Augenblicks drückte auf mich. Herumstehen tat nichts, um den Knoten in meinem Magen zu lösen. „Ich bin gleich zurück“, murmelte ich zu niemandem im Besonderen und trat in die kühle Nachtluft hinaus.
New York roch wie immer. Die Stadt lebte, selbst um diese Uhrzeit, Autos hupten und fernes Lachen hallte durch die Straßen. Aber alles fühlte sich gedämpft an, als hätte sich die Welt im Angesicht dessen, was im Krankenhaus geschah, verdunkelt.
Ich ging den Block hinunter, ließ die kühle Brise meine Haut küssen und meine Gedanken klären. Meine Hände steckten in den Manteltaschen, und meine Schritte waren ziellos, bis eine plötzliche Bewegung meine Aufmerksamkeit erregte.
Ein eleganter schwarzer Rolls-Royce Phantom fuhr auf den Parkplatz. Die Art von Auto, die die Leute zum Stehenbleiben und Starren bringt, aber das war nicht der Grund, warum mein Herz einen Schlag aussetzte.
Die Fahrertür öffnete sich, und ein Mann stieg aus. Seine große Gestalt war in einen maßgeschneiderten marineblauen Anzug gekleidet, sein dunkles Haar perfekt gestylt, und der scharfe Schnitt seiner Kinnlinie war genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Mein Ex-Mann.
Von allen Krankenhäusern, allen Nächten und allen verdammten Autos in New York, musste es ausgerechnet er sein.