Kapitel 12

„Ah!“ Ein schriller Schrei durchdrang die Ohren aller Anwesenden.

Im nächsten Moment riss sich Emily von Pipers Hand los und stürzte die Treppe hinunter.

Sie wäre fast mit Jeffrey zusammengestoßen, der mit einem Messer in der Hand die Treppe hinaufeilte, nachdem er den Lärm gehört hatte.

Als Jeffrey sich stabilisierte, um zu sehen, was los war, bemerkte er, dass sich alle zurückzogen, außer Charles, der langsam nach vorne ging.

„Charles! Bist du verrückt?“

Jeffrey und Gerald riefen im Chor.

Es war so offensichtlich, dass jeder sehen konnte, dass der Patient im Bett etwas mit Rachels Tod zu tun hatte!

Vielleicht war er derjenige, der Rachel getötet hatte!

Doch Charles ignorierte die beiden und ging direkt zum Bett, dann hockte er sich hin, um dem Patienten in die Augen zu sehen.

Die Augen des Patienten waren durch sein geschwollenes, fettleibiges Fleisch zu Schlitzen verengt, sodass es schwer zu sagen war, ob sie offen waren.

Charles senkte seinen Blick und beobachtete sorgfältig den Blutfleck am Mundwinkel des Patienten.

„Du bist kein Pflegefall, oder?“

Charles beugte sich vor und flüsterte dem Patienten ins Ohr.

„Wenn du es nicht bist, bewege deinen Finger.“

Aber der Patient reagierte nicht auf Charles' Befehl, sondern atmete schwer, das Geräusch übertönte fast den Herzmonitor.

„Hau ab.“

„Was?“

Charles runzelte die Stirn und versuchte, die Worte zu verstehen.

„Hau ab! Geh jetzt!“

Was bedeutete das? Wollte der Patient niemanden außer seiner Frau in der Nähe haben?

„Aber deine Frau hat uns gebeten, uns um dich zu kümmern und hat uns bezahlt. Wir können nicht einfach gehen.“

Charles richtete sich auf und gab Jeffrey ein Zeichen, das Essen des Patienten zu bringen.

Dann ging er mit Interesse um das Bett herum und beobachtete den unbeweglichen Patienten.

„Ich schätze, du bist nicht krank; du bist einfach zu fettleibig, um dich zu bewegen.“

In diesem Moment bemerkte Charles, dass die Gliedmaßen des Patienten gefesselt waren, aber das Fett hatte sich aus den Fesseln herausgequetscht und die Ketten verdeckt.

„Wenn ich dich losbinde, wirst du mir dann alles erzählen?“

Inzwischen hatte Jeffrey das Essen des Patienten gebracht, eine widerliche Pampe aus Fleisch und Wasser.

Charles nahm die Schüssel und rührte mit einem Löffel darin herum.

Der Patient wehrte sich deutlich gegen den Anblick des Essens und kämpfte vergeblich.

„Du willst nicht essen, oder?“

Charles schielte, ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf seinen Lippen.

„Was sollen wir tun? Deine Frau hat uns ausdrücklich angewiesen, dich jeden Tag zu füttern, mit extra Fleisch. Du machst es uns nicht leicht.“

Jeffrey und Gerald tauschten verwirrte Blicke aus, sie verstanden nicht, warum Charles das tat.

„Es sei denn, du beantwortest meine Frage. Du bist nicht wirklich krank, oder?“

Charles sagte, während er den Löffel mit der Fleischpampe näher an den Mund des Patienten brachte.

Der Patient drehte den Kopf weg und machte gedämpfte Protestlaute.

„Meine Bedingung ist einfach: Beantworte meine Frage, und ich kann dir helfen.“

Charles' Stimme war sanft, fast hypnotisch.

„Wir sind auf derselben Seite, vertrau mir.“

Er beugte sich vor und flüsterte dem Patienten etwas ins Ohr, das die anderen nicht hören konnten.

Doch als sie sahen, wie nah Charles dem riesigen Patienten war, fürchteten sie, der Patient könnte ein Monster sein und Charles den Kopf abbeißen.

Glücklicherweise hörte der Patient nach Charles' Worten auf zu kämpfen.

Charles runzelte die Stirn und reichte die Schale zurück an Jeffrey.

"Was meinst du?" fragte Jeffrey, die Schale haltend.

"Bring eine Schale Haferbrei, ohne Extras."

Obwohl verwirrt, gehorchte Jeffrey und ging.

Als er zurückkam, hatte er eine Schale Haferbrei, der mit Milch zubereitet war.

Charles fütterte den Patienten erneut mit einem Löffel.

Diesmal leistete der Patient keinen Widerstand.

Er trank gehorsam.

Alle waren von dieser Szene schockiert.

Warum wollte der Patient den Fleischbrei nicht trinken?

Aber die Ehefrau hatte ausdrücklich angeordnet, dass die Mahlzeit des Patienten jeden Tag Fleisch enthalten müsse!

Nachdem der Patient den Haferbrei aufgegessen hatte, verließen alle den Raum.

Bevor er ging, blickte Charles noch einmal zurück zum Patienten.

War es ein Lichtspiel, oder sah er Tränen in den Augen des Patienten?

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, näherte sich Jeffrey leise Charles.

"Charles, was hast du ihm gesagt?"

Charles schüttelte den Kopf.

"Ich kann es dir noch nicht sagen."

Dann blickte er sich um und fragte: "Wo ist Emily?"

Erst da bemerkten alle, dass Emily verschwunden war, nachdem sie die Treppe hinuntergerannt war!

"Emily!" riefen Piper und Madeline und öffneten Raum für Raum, um nach ihr zu suchen.

Aber nur Stille antwortete ihnen, eine endlose Stille.

Ein Gefühl der Vorahnung erfüllte alle Herzen.

Sie rannten alle die Treppe hinunter und durchsuchten das Erdgeschoss auf die gleiche Weise.

Aber es gab immer noch kein Zeichen von Emily.

Schließlich fanden sie Charles vor der offenen Tür stehen und nach draußen starren.

"Macht euch keine Mühe zu suchen," sagte Charles kalt. "Sie ist weggelaufen."

Piper hielt sich den Mund zu und weinte, zusammenbrechend an der Tür.

Draußen war eine pechschwarze Nacht, mit strömendem Regen, der ein ständiges Geräusch machte.

In diesem Moment erinnerten sich alle an John, der zu Beginn von Bord gesprungen und geflohen war.

Sie dachten an die abgetrennten Gliedmaßen und das Blut, das auf dem Wasser schwamm.

Ein Windstoß ließ alle erzittern.

Die Aufgabe war, den bettlägerigen Patienten vier Tage lang zu versorgen, aber es wurde nie gesagt, was passieren würde, wenn jemand mittendrin wegginge.

Niemand wagte daran zu denken.

Charles schlug die Tür zu, um sicherzustellen, dass kein Wind hereinkommen konnte.

Dann drehte er sich um, um zurück ins Wohnzimmer zu gehen, aber sein Blick fiel auf den Schuhschrank neben der Tür.

Er dachte an etwas und bückte sich, um darin zu suchen.

Aber als er den Schrank öffnete, war er leer.

Wie konnte das sein?

Jeffrey, besorgt, dass Charles nicht zurückgekommen war, ging zurück.

"Wonach suchst du?"

Ohne aufzusehen, seufzte Charles und sagte: "Nicht ein einziges Paar Schuhe. Wie kann es in einem Haus, in dem so viele Menschen leben, keine Schuhe geben?"

Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel