Schmerz

Kapitel 1: Prolog

Talon und Avalyn dachten, sie könnten glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben, aber die Götter hatten einen anderen Plan.

Zwölf Jahre nach der Geburt ihrer Kinder brach plötzlich ein Krieg zwischen den Menschen und den Werwölfen aus.

Talons Familie zerbrach. Jedes Mitglied verstreute sich in eine Ecke der Erde, unbekannt den anderen.

Ein Feind, stärker als sie je erwartet hatten, war im Spiel.

Die Menschen fingen Avalyn durch List und stürzten die Lykaner. Talon verschwand spurlos.

Axel, ihr erstgeborener Sohn, fand sich in den Händen der Menschen gefangen, und seine Geschwister, Blade und Scarlet, wurden in ein unbekanntes Land verkauft, der eine als Kinderprostituierte, der andere als Dienstmädchen.

Ihr Lykaner-Wolf wurde durch Drogen gehemmt. Sie waren machtlos und ohne Hoffnung auf Überleben.

In einer kleinen Stadt, die von Menschen regiert wurde, arbeitete Axel unermüdlich im jungen Alter von zwölf Jahren. Ohne seine Eltern, die ihn retten konnten, kämpfte der Junge ums Überleben.

"Wie kannst du es wagen, den Stall offen zu lassen?" schrie sein Meister und ließ eine lange, verdrehte Peitsche auf die Haut des Jungen niederfahren.

"Verzeihung, Meister, ich habe es vergessen—" Das Geräusch der knallenden Peitsche verschlang seine Erklärungen, als sie die Luft küsste, bevor sie auf seinen vernarbten Körper traf.

Axel rollte sich zu einer Kugel zusammen, als die Peitsche überall auf seinem Körper landete.

"Du nutzloses Tier! Du bleibst hier draußen, bis ich dich wieder für würdig halte!" schrie der grausame Meister und peitschte ihn, bis Blut aus mehreren Stellen an Axels Körper strömte.

Dann packte er Axel an den Ohren und schleifte den Jungen bis zur Mitte des Bauernhofs.

Er kettete ihn an einen Pfahl auf der Plattform, wo Tiere getötet wurden, und ließ ihn in der Kälte sterben.

Axel weinte nicht und schrie nicht um Hilfe. Er hatte nur ein leicht zerrissenes Hemd, das ihn nicht vor der Kälte schützte. Sein Körper war an so vielen Stellen aufgeschnitten, dass er den Schmerz nicht mehr spürte.

Genau wie sein Vater hatte er sich vorgenommen, seinen Schmerz zu ertragen. Er wusste, dass dieses Leiden nicht ewig dauern würde.

Eines Tages würden die Lykaner wieder die Kontrolle übernehmen. Die Lykaner würden wieder die Erde beherrschen und die Menschen würden für alles bezahlen, was sie ihm und seiner Familie angetan hatten.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Axel einen Schatten, der sich ihm näherte. Es gab nur eine brennende Fackel am anderen Ende des Bauernhofs, direkt hinter dem Palast des menschlichen Königs. Aber es reichte nicht aus, um zu sehen, wer sich näherte. Er kniff die Augen zusammen und schaute geradeaus.

Er wollte nicht, dass sein Zustand ihn schwach erscheinen ließ. Er war ein Lykaner, er sollte immer wie einer handeln.

Aber als der Schatten aus der Dunkelheit trat und in das einzige Licht der flackernden Fackel in der kalten Nachtluft trat, erkannte Axel sie.

Es war Violet. Die menschliche Prinzessin schritt näher, ihre Hände gut unter ihrem Umhang verborgen.

"Axel, hast du Hunger?" fragte sie, ihre blauen Augen funkelten im Dunkeln.

"Nein, mir geht es gut," grunzte Axel und weigerte sich, Mitleid von denselben Leuten anzunehmen, die ihm alles genommen hatten.

Aber die siebenjährige Violet ließ sich nicht beirren. Sie kam näher zu dem Ort, an dem Axel angekettet war, und setzte sich.

Axel schnaubte. "Du solltest nicht hier sein. Es ist nicht sicher für dich."

"Aber du bist hier. Du wirst mich beschützen," antwortete sie mit einem Lächeln.

Axel fühlte einen tiefen Stich in seinem Herzen. Ihr Lächeln erinnerte ihn so sehr an seine Mutter. Es brachte ihm Frieden, aber selbst in seinem jungen Alter wusste er, dass dies nur eine Illusion war.

Violet war jetzt unschuldig, weil sie jung war, aber sobald sie älter wurde, würde sie genauso grausam werden wie ihre Eltern.

Violet zog ihre Hände aus ihrem Umhang und brachte ein Stück Brot hervor. "Ich habe das für dich vom Esstisch gerettet..."

Axel wollte das Essen ablehnen, aber sein Magen knurrte. Er brauchte das Essen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte.

Er machte Anstalten, das Brot zu nehmen, vergaß aber die Ketten um seine Arme.

"Oh, ich kann dich füttern..." sagte die kleine Violet, als sie das Hindernis bemerkte.

Axel runzelte die Stirn und der Lykaner-Geist in ihm kehrte zurück. Er sollte keine Gefälligkeiten von einem menschlichen Mädchen annehmen... schon gar nicht von der Prinzessin.

"Vergiss es. Geh nach Hause, bevor dir kalt wird," flüsterte er, während er das Brot in ihrer Hand anstarrte. Er hatte wirklich Hunger.

Violet schüttelte den Kopf und nahm die Sache selbst in die Hand. Sie rückte näher zu Axel und brach das Brot zwischen ihren weichen Händen. Dann brachte sie es an seine Lippen.

"Du solltest essen, damit du stark und hübsch wie ein Prinz wirst..." sagte sie mit einem breiten Lächeln auf ihrem Gesicht.

Axel weigerte sich, aber Violet war hartnäckig und entschlossen, und am Ende aß er aus ihren Händen.

Das war nicht das erste Mal, dass Violet ihm Essen brachte. Jedes Mal, wenn sie die Gelegenheit hatte, sparte sie ein Stück ihres Essens und brachte es ihm, wenn niemand hinsah.

Sie legte das Brot auf seinen Oberschenkel und stand auf. Sie löste ihren Umhang von ihren Schultern und wickelte ihn um ihn.

"Mutter sagt, es wird in der Nacht kälter. Du solltest ihn haben." Sie lächelte zufrieden mit ihrem Werk und setzte das Füttern fort.

Er schätzte ihre Freundlichkeit, aber er konnte es nicht wirklich annehmen, denn jedes Mal, wenn er sie ansah, erinnerte er sich daran, wie ihr Volk seine Mutter getäuscht und ihr Zuhause zerstört hatte.

"Du solltest nach Hause gehen," zischte er.

"Nicht, bevor du aufgegessen hast." Sie bestand darauf mit einem kleinen Stirnrunzeln.

Dieser Ausdruck passte nicht zu ihrem Gesicht. Sie war nicht dafür gemacht, so etwas wie einen Freon zu tragen.

"Hast du keine Angst vor mir?" flüsterte Axel.

Violet lächelte und sah ihm in die Augen. "Du bist ein Prinz. Ich kann keine Angst vor dir haben, weil ich weiß, dass du mir nichts tun wirst."

Ihre Antwort fügte Axels verhärtetem Herzen noch mehr Schmerz hinzu. Könnte Violet wirklich anders sein als ihresgleichen?

"Du da!" rief plötzlich ein Wächter und zeigte in ihre Richtung.

Violets Hand hielt mitten im Füttern inne, als sie sich umdrehte, um zu sehen, was los war.

Ein Wächter rannte auf sie zu und ihre Eltern waren hinter ihm.

Axel spuckte das Essen in seinem Mund aus und starrte den Wächter an, der auf ihn zukam.

Bevor der Wächter die Mitte erreichte, schlossen sich ihm weitere an und sie alle stürmten auf die Kinder zu.

"Bleib weg von ihr, du Tier!" spuckte der erste und zog Violet von Axels Seite weg.

Der König und die Königin kamen näher. Sie waren rot im Gesicht und die Königin eilte, um Violet vom Wächter zu übernehmen.

"Oh meine liebe Prinzessin, bist du verletzt? Hat er dich berührt? Geht es dir gut?" fragte sie. Sie drehte Violet hin und her und inspizierte jeden Zentimeter ihrer Haut im schwachen Licht.

Violets Augen flackerten verwirrt bei den Fragen, die ihre Mutter ihr stellte.

"Mir geht es gut, Mama, Axel hat mir nichts getan. Er kann mir nichts tun. Er ist mein Freund!" erklärte sie unschuldig.

Die Königin stieß ein leises Keuchen aus und wandte sich an ihren Mann. "Er hat mein Baby verzaubert!" wimmerte sie und drückte Violet an ihren großen Oberkörper.

Die Augen des Königs verengten sich und er verkürzte den Abstand zwischen sich und Axel. Er packte den angeketteten Jungen am Hals und hob ihn höher.

"Du wagst es, deine schmutzigen Hände an meine kostbare Tochter zu legen!" Er verpasste Axel zwei schwere Ohrfeigen, sein Körper zitterte vor Wut.

"Du Tier! Wachen, peitscht diesen Dummkopf, bis es in seinen Schädel eingraviert ist, sich nie wieder mit einer Prinzessin einzulassen!" Er spuckte Axel ins Gesicht und ließ ihn auf den kalten Boden fallen.

"Nein! Vater, nein! Schlagt ihn nicht! Er ist mein Freund. Er hat nichts falsch gemacht! Wir haben nur geredet!" versuchte Violet zu erklären, aber ihre Worte fielen auf taube Ohren.

Die Wachen, die es kaum erwarten konnten, den Lykaner-Jungen zu peitschen, hoben ihre Peitschen und führten ihren Befehl ohne Zögern aus.

Axel war schon oft ausgepeitscht worden, aber das, was er jetzt erlebte, war etwas, das er nie erwartet hatte. Zum ersten Mal schrie er vor Schmerz.

Aber der König und die Wachen lachten und genossen sein Leiden.

"Hört auf, ihn zu schlagen, er ist mein Freund! Hört auf, ihn zu schlagen!" Violet hatte Tränen in den Augen, als sie in den Armen ihrer Mutter kämpfte und sie anflehte, den armen Axel in Ruhe zu lassen, aber niemand hörte ihr zu.

"Bringt sie in ihr Zimmer! Ich will das sehen," sagte die Königin und ein Wächter trat zur Seite und zog Violet weg.

Sie schrie weiter, weinte und bettelte, dass sie Axel in Ruhe lassen sollten, aber der Wächter war nur darauf bedacht, sie wegzubringen.

"Das wird dir beibringen, deine schmierigen Finger bei dir zu behalten! Du kleiner Schädling!" kicherte die Königin, während sie zusah, wie Axel ausgepeitscht wurde.

Axel wurde so hart geschlagen, dass sein Körper taub wurde. Seine Augen waren geschwollen und seine Haut blutig, aber er hielt an seinem Bewusstsein fest.

Er wollte sich alle gut ansehen. Er wollte sich an sie erinnern, damit er, wenn die Göttin ihm wieder zulächelte, seine Rache haben würde.

Während die Peitsche auf seine Haut fiel, schwor er sich still, ihnen den gleichen Schmerz zuzufügen, den sie ihm bereitet hatten.

Auge um Auge.

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