Kapitel 1: Was sie damals war
WARNUNG: Abgesehen von der leidenschaftlichen Szene, erwähnt dieses Kapitel, das Sie gleich lesen werden, Selbstmord in einer sehr leichten Weise - wie als Rose beschloss, vom Heck der Titanic zu springen. Wenn solche Szenen Sie triggern, lesen Sie bitte mit Vorsicht.
Ihr Name war Jenny Duff und ihre Eltern und ihr Zwillingsbruder Jacob starben vor sechs Monaten. Sie fuhren Jacob von einer Party nach Hause, als das Auto auf der Black Hollow Brücke ins Schleudern geriet und sie in das pechschwarze Wasser stürzten.
Sie war in ihrem Zimmer, als ihre Tante Silva und ihr Onkel Benjie sie einige Stunden später weckten. Tante Silva weinte und beschrieb, was ihren Eltern und ihrem Zwillingsbruder passiert war, und sagte ihr, dass sie plötzlich allein war.
Das konnte nicht richtig sein. Warum oder wie war ich am Leben, aber meine Eltern und Jacob nicht?, dachte sie und weinte stundenlang danach.
Nach der Beerdigung ihrer Eltern und ihres Bruders wollte Jenny nur noch eines: ihnen ins Jenseits folgen. Sie war sich damals nicht sicher, ob das Jenseits wirklich existierte, aber nach ihrem Verlust wollte sie nur, dass es wahr war. Dann, als sie 16 wurde, durchströmte sie der Mut. Eines Nachts, als Tante Silva und Onkel Benjie zu erschöpft waren, um nach ihr zu sehen, nachdem sie fast eine Stunde laut und heftig Sex gehabt hatten, schlich sie sich aus dem Haus und fuhr zur Black Hollow Brücke.
Als sie an der Brücke ankam, tobte bereits ein Sturm. Und in wenigen Sekunden war sie völlig durchnässt. Als sie zum Geländer kam, versuchte sie, die Tränen aus ihren Augen zu wischen, aber es machte keinen großen Unterschied, da sie bereits vom Regen durchnässt war.
Jennys Herz pochte in ihrer Brust, als ein Blitz den Himmel erhellte, gefolgt von einem lauten Knall. Sie hatte Angst, aber sie hatte noch mehr Angst davor, ohne ihre Familie zu leben – die einzige Welt, die sie je gekannt hatte, waren sie.
Dann sprang sie.
Der Schrecken und Schmerz des Wassers, das ihre Lungen füllte, sowie das Trauma, das ihr Körper in dieser Nacht erlebte, waren noch frisch in ihrem Gedächtnis. Sie dachte, sie würde endlich Frieden finden. Aber sie irrte sich, denn es war erst der Anfang...
Ihr Herz raste in ihrer Brust, als sie ihren Geist dem Tod hingab. Dann verwandelte sich das Nichts in einen Traum. Dies war die erste von vielen Visionen, die sie von ihnen haben würde.
Dunkelheit begann, sich um Jenny zu winden, bis sie sich an einem Ort wiederfand, den sie sich nicht erinnern konnte, jemals besucht zu haben. Ein träumerischer, dunkler Halbmond leuchtete und lag friedlich in den Betten aus flauschiger Zuckerwatte in der Ferne, während unheimliche Wolken an ihr vorbeizogen und ein Stern knapp außerhalb ihrer Reichweite schwang.
Alles war düster und traumhaft.
Während sie versuchte zu verstehen, was vor sich ging, pulsierte die Dunkelheit um sie herum und plötzlich fiel sie auf die kalte Erde. Sie wand sich und drehte sich, versuchte, einen bequemen Platz zu finden. Sie schnappte nach Luft. Sie schrie, und alles kam abrupt zum Stillstand. Sie sah sich um und entdeckte sich in einem alten, riesigen Haus. Wahrscheinlich ein Herrenhaus.
Ist das alles? Bin ich tot? Sie schloss die Augen, und als sie sie wieder öffnete, rannte sie bereits, ihre Sicht verschwommen von heißen Tränen der Angst.
Was geht hier vor?
Sie drehte sich um, um hinter sich zu schauen, aber sobald ihr Blick auf ein Paar scharfer, bernsteinfarbener Augen im Schatten fiel, drehte sie sich schnell um und zwang sich, ein wenig schneller zu laufen. Sie unterdrückte ein Wimmern und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen.
Ein junger Junge, der etwa in ihrem Alter oder älter zu sein schien, verfolgte sie. Und je mehr sie kämpfte, desto mehr schien er es zu genießen, sie zu jagen. Er war auch unbestreitbar attraktiv. Mädchen würden sich zweifellos um ihn scharen, aber sein verführerisches, teuflisches Aussehen machte ihr Angst.
Wie konnte jemand so viel Schönheit besitzen dürfen?
Jennys feuerrotes Haar wehte heftig im stürmischen Wind, während sie weiterlief, bis ihre Brust sich schmerzhaft zusammenzog und ihre Beine brannten. Dann warf sie sich gegen eine Tür und schlug sie zu. Sie lehnte sich erschöpft dagegen, atmete große, zitternde Atemzüge und Schluchzen durchbrachen ihr unregelmäßiges Atmen.
Plötzlich erschien ein Raum vor ihr.
Sie wischte sich die Tränen mit ihrem Ärmel weg, suchte nach dem Knauf und öffnete die Tür. Der Raum war still, und ein Schauer lief ihr den Rücken hinauf. Als sie vorsichtig einen Schritt nach vorne machte, schüttelte sie den Gedanken ab, was auch immer sich in den dunklen Ecken verstecken könnte.
Nachdem sie den steifen Lichtschalter gedrückt hatte, flackerte das Licht leicht über ihr. Plötzlich war der ganze Raum in helles Licht getaucht. Sie atmete tief ein und schluckte schwer.
Als sie weiter hineinging, war etwas unheimlich Ruhiges im Raum, das fast ihre Ohren schmerzte; das einzige Geräusch, das sie hören konnte, war der donnernde Puls in ihrer Brust.
Als sie sein Lachen hörte, rannte sie zu den Regalen und versuchte, so gut wie möglich verborgen zu bleiben. Doch als sie aufsah, fühlte sie, wie ihr Blut gefror. Ihre Eltern und Jacob waren aus ihren Gedanken verschwunden. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Hallo da.“ Der schwarzhaarige Junge erschien, als er langsam auf sie zuging. Seine bernsteinfarbenen Augen verwandelten sich in ein Paar glühender roter Kugeln.
Als er auf sie zukam, schluckte sie erneut schwer und machte einen Schritt zurück, um jeden seiner Schritte auszugleichen. „Wer bist du?“ fragte sie. Ihr Rücken prallte gegen eine Wand. Sie hatte keine Zeit zu blinzeln, bis er über ihr aufragte, seine Hände auf beiden Seiten ihres Kopfes an die Wand gestützt. Sie machte eine schwache Bewegung gegen seine Brust.
Mit einem eisigen Unterton auf seinen Lippen grinste der schwarzhaarige Junge. Bevor sie ihn bitten konnte, sie loszulassen, zog er sie zu sich und küsste ihren Hals mit leichten Schmetterlingsküssen. „Ich bin sicher, du hättest nichts dagegen, wenn ich einen Vorgeschmack auf das nehme, was mir gehört.“
„Einen Vorgeschmack? Was meinst du da―?“ Seine Fangzähne gruben sich direkt über ihrem Schlüsselbein ein, was sie zum Keuchen brachte, bevor sie ihre Frage beenden konnte. Ihre Augen weiteten sich, dann verschwamm ihre Sicht, und sie verlor sich plötzlich in der Dunkelheit.
Und dann war Jenny zurück in ihrer eigenen deprimierenden und herzzerreißenden Realität―kaum atmend.
Der Regen prasselte bereits in Strömen nieder, und der Wind heulte. Die Nacht war bitterkalt, sodass das Blut in den Adern eines jeden Menschen gefrieren würde. Derjenige, der sie rettete, war jedoch kein Mensch, denn um sie herum strahlte der Mann eine solche Wärme aus.
Sie war für ein paar Sekunden erstarrt und bewusstlos, bis sie aus der Ferne Menschen schreien hörte. Dann rief jemand im tosenden Wind, wie blau ihre Finger aussahen und wie steif ihre Zehen waren, als würden sie sich nie wieder bewegen. Ihr Kopf rollte von einer Seite zur anderen.
Jenny war sich nicht sicher, ob sie noch lebte, aber sie war sicher, dass sie starb.
„Wir werden sie nach Hause bringen und sie säubern“, sagte jemand.
Sie wollte sie anschreien, ihnen sagen, wer auch immer sie waren, sie in Ruhe zu lassen. Doch angesichts ihrer gegenwärtigen Situation und des erbärmlichen Zustands ihres Körpers konnte sie nur stöhnen.
„Was hast du mir diesmal gebracht, Randall?“ hörte sie plötzlich eine Frau fragen. Plötzlich konnte sie nur noch Wärme spüren und das Geräusch des Windes war gedämpft. „Oh, meine Mondgöttin! Du hast mir ein Menschenmädchen gebracht! Und sie ist verletzt! Wo hast du sie gefunden?“
„Die Jäger haben sie im Hollows River treiben sehen“, antwortete der Mann, von dem Jenny glaubte, dass er sie trug. Bald hörte sie Wasser laufen, und sie wurde plötzlich auf etwas gelegt, das sich wie ein Sofa anfühlte. Dann hörte sie einen Lastwagen starten.
„Was hat sie mitten in der Nacht, inmitten dieses Sturms, dort draußen gemacht?“
„Ich weiß es nicht. Wie schnell denkst du, dass Dr. Ryan hier sein kann? Sie ist weiß wie ein Geist. Sie ist verletzt und ich glaube, sie hat viel Blut verloren.“
„Es wird wahrscheinlich eine Stunde dauern. Bei dem Wetter draußen bin ich mir nicht sicher, ob er überhaupt in Betracht ziehen würde, einen Menschen zu untersuchen.“
„Wenn dieser Idiot nicht auftaucht, wird der Alpha davon erfahren.“
„Randall, bist du verrückt? Dem Alpha wäre das egal. Das ist ein Menschenmädchen. Nicht eine von uns“, argumentierte die Frau.
„Alpha Callum ist ein vernünftiger Anführer und ein gütiger Mann, Celeste“, antwortete Randall. „Die Wanne ist fast voll. Kannst du das Wasser abstellen und es abkühlen lassen? Ich werde in Selenes Kleiderschrank nach etwas suchen, das dieses Kind gebrauchen könnte.“
„Was hast du vor? Willst du sie behalten? Wir können keine Menschen als Haustiere haben. Das weißt du“, entgegnete Celeste.
Sie hatte recht. Menschen als Haustiere zu halten, war seit dem Friedensvertrag, der von den ersten Anführern der drei dominanten Stämme – Vampire, Gestaltwandler und Menschen – unterzeichnet wurde, lange verboten und ungesetzlich. Diese Tatsache gab Jenny irgendwie Erleichterung, da es schrecklicher sein könnte, ein Haustier dieser Kreaturen zu sein, als der Tod selbst.
„Dieses Mädchen hatte Glück, dass unsere Jäger sie gefunden haben, bevor diese verdammten, beschissenen Verweser es taten“, sprach Randall erneut. „Hast du etwas über ein vermisstes Mädchen gehört?“
„Nein. Kein vermisstes Menschenmädchen.“
Jennys Lippen öffneten sich. Sie war verzweifelt, ihnen zu sagen, dass sie nicht verschwunden war. Sie war geflohen in der Hoffnung, dass Tante Silva und Onkel Benjie sie nie wieder finden würden. Nach dieser Nacht gab es einfach kein Zurück mehr. Sie würde entweder sterben oder verschwinden. Sie konnte nicht in ihr früheres Leben zurückkehren. Es gab einfach zu viele Erinnerungen und zu viel Schmerz zu ertragen.
Sie blinzelte benommen und zwang ihre Augen, für mindestens ein paar Sekunden offen zu bleiben. Und da sah sie ihn – hochgewachsen in einer Ecke stehend.
Der schwarzhaarige Junge.
Seine Augen bohrten sich in ihre.
Alles um sie herum wurde danach dunkel. Dann folgte eine ohrenbetäubende Stille.



































