Kapitel 6 KAPITEL 006
Perspektive von Lauren
Piep. Piep. Piep.
Das war das erste Geräusch, das ich hörte, als ich langsam wieder zu Bewusstsein kam. Für einen Moment konnte ich es nicht zuordnen. Ich konnte gar nichts zuordnen. Mein Verstand war benebelt und schwebte irgendwo zwischen Verwirrung und Panik. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war, und mein Körper fühlte sich schwer an, als wäre er in Zement getaucht worden.
Als meine Lider aufzuckten, stach mir ein grelles, weißes Licht in die Augen. Ich zuckte zusammen und drehte instinktiv mein Gesicht zur Seite. In diesem Moment stieg mir der Geruch in die Nase – antiseptisch, stechend und steril, vermischt mit einem schwachen Hauch von etwas Metallischem. Das Piepen neben mir wurde nun gleichmäßiger und passte sich dem Rhythmus meines unruhigen Herzens an.
Dann traf es mich wie ein Schlag.
Ich war in einem Krankenhaus.
Sobald diese Erkenntnis bei mir ankam, setzte ich mich ruckartig auf – doch ich bereute es sofort. Ein scharfer, stechender Schmerz schoss mir durch den Kopf und zwang mir ein Keuchen über die Lippen. Meine Hände flogen zu meinen Schläfen, während ich mich nach vorne beugte und versuchte, die Schmerzwelle auszuhalten. Es fühlte sich an, als würde mein Schädel von innen nach außen aufgesprengt werden.
Ich blieb ein paar lange Sekunden so sitzen, die Augen fest zusammengekniffen, bis der Schmerz nachließ. Endlich erlaubte ich mir zu atmen. Als ich meine Augen wieder öffnete, stach das Licht nicht mehr so stark, und meine Sicht – obwohl immer noch leicht verschwommen – begann sich zu normalisieren.
Alles um mich herum war weiß oder hellgrau. Die Deckenplatten, die Laken, sogar die Wände. Der Monitor neben mir blinkte langsam im Takt des Piepens, das ich nun als Herzmonitor erkannte. Ich sah an mir herunter – eine Infusionsnadel war an meinem Arm festgeklebt, ein Krankenhaushemd lag locker über meinem Körper. Mein Mund fühlte sich trocken an, als hätte ich tagelang geschlafen.
Wo … Was ist passiert?
Ich durchforstete mein Gedächtnis und versuchte, die letzten Stunden zusammenzusetzen. Dann knarrte die Tür auf, und eine Krankenschwester in hellblauen Kitteln betrat das Zimmer. Sie blickte auf ihr Klemmbrett, bevor sie zu mir aufsah.
„Lauren? Lauren Black?“, fragte sie sanft, als wäre sie unsicher, ob ich überhaupt bei Bewusstsein war.
Ich starrte sie einen Moment lang orientierungslos an.
„… Ja“, antwortete ich mit rauer Stimme. Sie klang nicht einmal wie meine eigene. „Warum bin ich hier?“, fügte ich kaum hörbar hinzu.
Die Krankenschwester kam näher und überprüfte den Monitor neben mir. „Sie sind aufgrund eines extrem hohen Stresslevels ohnmächtig geworden. Laut den Ärzten hat der Stress etwas in Ihrem Gehirn ausgelöst, was zum Kollaps führte. Sie haben Glück, dass Sie jemand rechtzeitig gefunden hat.“
Ihre Worte hingen einen Moment lang in der Luft. Dann, wie ein brechender Damm, schoss alles zurück in mein Gedächtnis.
Ich war zu Fuß unterwegs. So viel wusste ich noch. Der Bürgersteig unter meinen Füßen, die Last des Tages, die schwer auf meinen Schultern lag. Dann – Schwindel. Meine Schritte wurden unsicher, und ich lehnte mich vielleicht gegen etwas? Und kurz bevor die Welt vor meinen Augen verschwamm, fing mich jemand auf.
Ein Mann.
Ja, da war definitiv jemand. Ich konnte immer noch die Kraft seiner Arme spüren, wie er mich hochhob und hielt, als würde ich nichts wiegen. Aber sein Gesicht … es war verschwommen. Die Sonne stand so grell hinter ihm, dass sie seine Züge völlig auslöschte. Ich konnte nicht sagen, ob er jung oder alt, vertraut oder ein Fremder war.
Also … hat er mich hierhergebracht?
Ich ließ meinen Blick erneut durch den Raum schweifen, diesmal aufmerksamer. Niemand saß auf dem Besucherstuhl. Es gab keine persönlichen Gegenstände, keine halb leeren Kaffeebecher oder Jacken auf der Lehne. Kein Anzeichen dafür, dass jemand hier auf mich gewartet hatte.
„Mich hat jemand hergebracht, oder?“, fragte ich vorsichtig und wandte mich an die Krankenschwester.
Sie nickte. „Ja, das hat er.“
Eine Welle der Erleichterung durchströmte mich. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Ich war nicht dabei, verrückt zu werden. In letzter Zeit hatte sich die Welt um mich herum angefühlt, als würde sie zur Seite kippen, als würde nichts mehr einen Sinn ergeben. Wenigstens diese eine Sache war real.
„Und wo ist er jetzt?“, fragte ich.
Die Krankenschwester sah mich an und legte den Kopf neugierig schief. „Er hat Sie hergebracht, gewartet, während Sie aufgenommen wurden, Ihre Krankenhausrechnung bezahlt … und ist dann gegangen.“
„Moment – er hat für mich bezahlt?“, blinzelte ich und versuchte, das zu verarbeiten.
Sie nickte erneut. „Alles. Und er hat keinen Namen hinterlassen, zumindest nicht bei uns.“
Ich starrte sie fassungslos an. „Er hat Ihnen nicht gesagt, wer er ist?“
„Ich nahm an, Sie würden es uns sagen, Ma’am“, sagte sie sanft und ihr Ton war nicht unfreundlich.
Großartig, also bringt mich diese Person hierher, bezahlt meine Krankenhausrechnung und haut ab, ohne auch nur eine Nachricht zu hinterlassen, wer er ist?
Trotz allem, was er getan hat, ist das immer noch sehr unhöflich. Er hätte wenigstens warten sollen, bis ich aufwache, damit ich es ihm zurückzahlen kann, dachte ich bei mir.
Ich blickte auf meine Hand hinunter und bemerkte den durchsichtigen Schlauch, der mit meinem Handrücken verbunden war und sich zu dem Infusionsbeutel schlängelte, der neben dem Bett hing.
„Sie sagten, ich sei wegen Stress ohnmächtig geworden … ist das also wirklich nötig?“, fragte ich, hob meine Hand leicht an und deutete auf die Infusion.
„Ja, Ma’am. Das sind Schmerzmittel – gegen die Kopfschmerzen“, erwiderte die Krankenschwester ruhig, während sie etwas auf dem Klemmbrett notierte, das sie hielt.
Ich starrte wieder auf die Infusion und beobachtete den langsamen Rhythmus jedes fallenden Tropfens. Es fühlte sich surreal an, hier an Schläuche angeschlossen zu liegen, als wäre ich aus Glas und würde kaum zusammenhalten. Aber vielleicht war ich das ja auch.
Die Krankenschwester blickte wieder auf. „Da Sie den barmherzigen Samariter, der Sie hergebracht hat, nicht kennen, gibt es jemanden, den wir für Sie anrufen können? Einen geliebten Menschen … ein Familienmitglied?“
Mein Blick wanderte instinktiv durch den Raum. Da sah ich meine Handtasche auf dem Sofa neben dem Fenster liegen.
„Ja, den gibt es. Können Sie mir bitte meine Handtasche geben?“, fragte ich und versuchte, mich gerader aufzusetzen.
Sie nickte, durchquerte den Raum, nahm die Tasche behutsam auf und reichte sie mir. Ich hielt sie auf meinem Schoß und öffnete langsam den Reißverschluss, meine Finger fummelten, als ob diese einfache Bewegung große Anstrengung erforderte. Ich zog mein Handy heraus, dessen Bildschirm sofort aufleuchtete, als ich es entsperrte und zu meiner Kontaktliste scrollte.
Mein Finger schwebte über einem Namen – Ethan.
Ich wollte gerade darauf tippen, als alles von vorhin wie ein Schlag ins Gesicht auf mich einstürzte.
Das Büro.
Die Stille.
Der Verrat.
Er hatte mich nicht nur abgewiesen, mich weggestoßen, als wäre ich nichts, sondern er hatte mich auch betrogen. Er hatte eine andere Frau gewählt. Und nicht nur das – er hatte sie geschwängert.
Ein bitterer Geschmack stieg mir in den Hals, als sich mein Griff um das Handy verstärkte. Empfand er nicht einmal einen Funken Scham? Dachte er, ich würde es nicht herausfinden? Was genau sollte ich Elena sagen? Dass ihr Vater mit jemand anderem weitergemacht und ihr über Nacht ein Geschwisterchen beschert hatte?
Mein Kiefer spannte sich an, als ich auf seinen Namen starrte, der auf dem Bildschirm leuchtete.
„Entschuldigen Sie, Ma’am“, sagte die Krankenschwester sanft und riss mich aus meinen Gedanken. Ihre Stimme holte mich in die Gegenwart zurück.
Ich blinzelte und bemerkte, dass meine Hand immer noch über der Anruftaste schwebte. Ein leiser Seufzer entfuhr mir. So sehr ich ihn auch nicht anrufen wollte, er musste trotzdem wissen, dass ich im Krankenhaus war.
Er hatte doch immer noch das Recht, es zu erfahren, oder?
Ich drückte die Anruftaste. Das Telefon klingelte einmal … zweimal …
Keine Antwort.
Ich räusperte mich und versuchte es erneut, während ich das beklemmende Gefühl in meiner Brust unterdrückte.
Diesmal klingelte es länger. Dennoch dasselbe Ergebnis.
Keine Antwort.
Ich wollte ihm nicht die Genugtuung geben, ihm hinterherzulaufen, aber ich wählte trotzdem ein drittes Mal. In Gedanken flehte ich ihn praktisch an, abzuheben.
Immer noch nichts.
Jeder unbeantwortete Anruf fühlte sich wie eine weitere Wunde an, tiefer als die letzte.
Warum ging er nicht ran? Ich musste nicht raten. Er war wahrscheinlich bei ihr – bei Sofia Crane. Natürlich würde er nicht rangehen. Er war zu sehr damit beschäftigt, mit der Frau, die mein Leben zerstört hatte, heile Welt zu spielen.
