Kapitel 9
Scarlett hatte kaum die Seymour Villa betreten, als sie von einer schrillen Stimme in ihren Schritten gestoppt wurde.
„Halt!“
Brianna tauchte aus dem Nichts auf und versperrte die Treppe, ihre Augen quollen vor Wut, als sie Scarlett anstarrte. „Du kleine Schlampe! Neun Leben, was?“
Sie stürzte vor und griff Scarletts Arm, ihre scharfen Nägel gruben sich in das Fleisch. „Mr. Campbell liegt wegen dir im Krankenhaus – seine Nase ist gebrochen! Dafür wirst du bezahlen!“
Scarlett versuchte sich trotz des Schmerzes loszureißen, doch Brianna verstärkte nur ihren Griff und spuckte ihre giftigen Worte aus. „Denk nicht, dass du etwas Besonderes bist, nur weil Sebastian dich gerettet hat! Er war nur zufällig in der Nähe. Sobald er und Edith verlobt sind und sie seine rechtmäßige Frau wird, wer wird dich dann beschützen? Ich möchte sehen, wie du dann überlebst!“
Scarlett erstarrte, einen Moment lang fassungslos. Sie hätte nie gedacht, dass Brianna wissen würde, dass Sebastian sie gerettet hatte.
„Lass mich los!“ Scarlett kam endlich wieder zu sich und riss ihren Arm frei, hinterließ dabei mehrere blutige Kratzer.
Sie trat zurück und musterte die fast hysterische Brianna mit kaum unterdrückter Wut. „Du weißt genau, wie dein Mr. Campbell im Krankenhaus gelandet ist. Du hast mich persönlich in sein Zimmer gebracht und mich betäubt. Brianna, du hast wirklich Nerven.“
Von der Wahrheit getroffen, wurde Briannas Gesicht bleich, bevor es wieder rot anlief. „Was für einen Unsinn erzählst du da? Ich habe es nur zu deinem Besten getan! Du undankbare Göre – du hast versucht, Mr. Campbell zu verführen und ihn dann angegriffen, als er dich abwies!“
„Zu meinem Besten?“ Scarlett lachte, ein Laut voller eisiger Verachtung. „Mich den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, ist also zu meinem Besten? Brianna, du solltest besser aufpassen.“
Sie trat näher, ihre Augen kalt wie Eis, jedes Wort präzise und abgemessen, „Lass mich nicht erwischen, wie du einen Fehler machst. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, das du in den dunklen Raum einsperren konntest. Treib es zu weit, und ich werde alles tun, was nötig ist. Ich habe nichts zu verlieren – mal sehen, wie die Seymour-Familie mit dem Skandal umgeht.“
Sie sprach die letzte Drohung fast direkt an Briannas Ohr, ihre Stimme leise, aber mit der Kraft von jemandem, der bereit ist, alles niederzubrennen.
Brianna zuckte zusammen und trat unwillkürlich zurück.
Sie hatte Scarlett immer als fügsame Kreatur betrachtet, die gelegentlich ihre Krallen zeigte, aber nie wirklichen Schaden anrichten konnte. Doch in diesem Moment sah sie in diesen schönen Augen eine Bereitschaft zur gegenseitigen Zerstörung.
„Was... was hast du vor?“ Briannas Stimme wackelte trotz ihres Versuchs, autoritär zu klingen. „Das ist die Seymour Villa! Du hast kein Recht!“
„Mama, warum verschwendest du deine Energie mit ihr? Reg dich nicht auf.“
Edith kam die Treppe herunter, ihr Haar locker hochgesteckt, als wäre sie gerade aufgewacht, obwohl ihre Augen unverhohlene Verachtung verrieten.
Sie stellte sich neben Brianna und tätschelte sanft ihren Rücken. „Es lohnt sich nicht, sich über jemanden wie sie aufzuregen.“
Dann wandte sie sich Scarlett zu. Ihr Blick verweilte kurz auf den blutigen Kratzern an Scarletts Arm, bevor ein schwaches Lächeln ihre Lippen berührte, das jedoch nie ihre Augen erreichte.
Edith trat näher, bis sie nur noch zwei Fuß von Scarlett entfernt stand.
Sie senkte leicht den Kopf und sprach in einer Lautstärke, die nur Scarlett hören konnte, jedes Wort betonend, „Seb hat mir letzte Nacht gesagt, dass er dich nur gerettet hat, um zu verhindern, dass du Ärger machst und die Seymour-Familie blamierst. Schließlich bist du immer noch technisch gesehen eine von uns.“
Sie hielt inne und beobachtete, wie sich Scarletts Gesicht verspannte, während ein giftiger Triumph in ihren Augen aufblitzte, als sie ihre Stimme weiter senkte, „Er hat auch gesagt, dass dein Typ ihn am meisten anwidert.“
Sie betonte das Wort „ekelhaft“ mit besonderem Gift, wie eine vergiftete Nadel, die genau Scarlets Herz traf.
Scarlett riss den Kopf hoch, ihre Brust von einer unsichtbaren Hand gepackt, die das Atmen erschwerte. Sie starrte in Ediths Augen, suchte verzweifelt nach einem Zeichen von Täuschung, fand aber nur selbstgefälligen Triumph und das Hohnlachen einer Siegerin.
Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Wie konnte Sebastian solche Dinge sagen? Fünf Jahre Verstrickung, diese Mitternachtsumarmungen, diese leidenschaftlichen Momente, diese scheinbar beiläufigen Schutzakte – waren sie wirklich nur ihre eigenen Illusionen?
Scarlett ballte die Fäuste, ihre Nägel gruben sich so tief in ihre Handflächen, dass sie bluteten, doch sie bemerkte es nicht.
Ursprünglich hatte sie Sebastian angesprochen, um ihn zu benutzen. Aber nach fünf Jahren zusammen war die bittere Erkenntnis, dass sie ihm nichts bedeutete, unerträglich grausam.
Diese Information konnte nur direkt von Sebastian stammen – wie sonst hätten sie von seinen Bewegungen wissen können?
Ihr Hals fühlte sich zugeschnürt an, unfähig, Worte zu formen. Alle ihre Widerlegungen, alle ihre Fragen blieben in ihrer Brust gefangen und verwandelten sich in ein dichtes Netz aus Schmerz.
Edith, zufrieden mit Scarlets zerstörtem Ausdruck, zog ihre Lippen zustimmend nach oben. Genau diesen Effekt wollte sie erzielen – Scarlett klarmachen, dass sie in Sebastians Herz nichts war.
„Scarlett“, sagte Edith und richtete sich auf, ihre Stimme leicht erhoben, „bleib von jetzt an in deiner Bahn. Hör auf, nach Dingen zu greifen, die dir nicht gehören. Erspare dir die Peinlichkeit.“
Damit drehte sie sich um, ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen, und hakte sich liebevoll bei Brianna ein, als sie die Treppe hinuntergingen. „Mama, ich habe in der Küche etwas Toniksuppe vorbereiten lassen. Lass uns etwas davon nehmen.“
Brianna, die sich noch von dem vorherigen Schock erholte, kam erst zu sich, als ihre Tochter sie mit sich zog. Bevor sie ging, warf sie Scarlett einen letzten Blick zu, der nun einen Hauch von Vorsicht enthielt.
Die Treppe fiel schließlich in Stille. Scarlett blieb mit erhobenem Kopf stehen, starrte auf die Stelle, wo Edith verschwunden war, ihre Augen von roten Rändern umgeben.
Langsam drehte sie sich um und ging auf den Dachboden zu, jeder Schritt fühlte sich an, als würde sie auf Watte laufen, unsicher und fern. Als sie die Dachbodentür aufstieß, begrüßte sie ein schwacher Modergeruch.
Sie machte kein Licht an, ließ sich einfach gegen die Tür gleiten, bis sie auf dem Boden saß.
Ihre Brust schmerzte vor Bitterkeit. Ein Teil von ihr konnte es nicht akzeptieren – konnte nicht akzeptieren, dass sie nach fünf Jahren nur Zerstörung vorzuweisen hatte.
Nach einiger Zeit leuchtete der Bildschirm ihres Handys mit einer Nachricht von Chris auf: [Bist du sicher nach Hause gekommen? Hat Brianna dir Schwierigkeiten gemacht?]
Scarlett starrte auf den Text, kam genug zu sich, um zu antworten: [Mir geht es gut.]
Nachdem sie die Nachricht gesendet hatte, schaltete sie den Bildschirm aus und stand wieder auf, ihr Gesicht nun ausdruckslos.
In der Zwischenzeit waren in Sebastians Büro die Jalousien fest geschlossen.
Durch den Telefonhörer drohte Georges wütende Stimme, sein Trommelfell zu zerschmettern: „Die Verlobungsfotos nächsten Mittwoch WERDEN stattfinden! Ich habe bereits die formelle Kleidung zur Seymour Villa liefern lassen, maßgeschneidert nach Ediths Maßen. Wenn du zu spät kommst, nenn mich nicht mehr Großvater!“
Sebastians Knöchel waren weiß um das Telefon, die Adern auf dem Handrücken sichtbar pulsierend.
Er hörte schweigend zu, bis die Stimme am anderen Ende eine Pause zum Atmen machte, dann antwortete er flach: „Verstanden.“


















































































