Kapitel 2

Die Welt war sehr anders, als Mia erwachte. Sie lag auf einer Art weichem Untergrund und eine Decke war über ihre Laufkleidung gelegt. Erleichterung durchströmte sie. Sie wusste nicht, wo sie war, aber sie war noch angezogen. Sie drehte den Kopf und sah sich um. Das Gebäude um sie herum war aus Zweigen gebaut, die Wände und das Dach bestanden aus gebündelten Stöcken, die mit Schnur zusammengehalten wurden. Durch die Schlitze waren grüne und braune Blitze zu sehen, und Mia fragte sich, ob sie irgendwo im Tal war. Das einzige Problem mit dieser Annahme war die Hitze. Eine drückende, fast erstickende Hitze, die ohne Anstrengung kleine Schweißperlen auf ihrer Haut bildete.

Das Geräusch von Stimmen brachte sie weiter in die Realität zurück und sie setzte sich auf. Sie war allein in der kleinen Hütte, aber es gab andere Betten, genau vier, und mindestens eine dieser Stimmen klang weiblich. Mia nahm sich einen Moment Zeit, um ihre Taschen zu überprüfen, aber ihr Handy war längst weg. Mist.

Was zum Teufel sollte sie jetzt tun? Die niederschmetternde Erkenntnis, dass sie entführt worden war, wollte sich nicht vollständig in ihren Gedanken festsetzen, fast so, als würde sie einen Film von außen betrachten. Sie fühlte sich taub, denn das konnte, konnte ihr nicht passiert sein.

Sie saß lange Zeit da. Nichts änderte sich. Sie wurde nicht magisch zurück zum Flussweg transportiert und die Hitze drückte immer noch auf sie ein. Draußen summten viele, viele Insekten um die Zweigwände. Einige hatten es auch nach drinnen geschafft und schwebten umher.

Schließlich konnte sie es nicht länger ertragen. Sie stand auf und ging zur Tür. Aus irgendeinem seltsamen Grund war diese solider als die Wände und lehnte gefährlich zur Seite. Die Dualität verwirrte sie. Sie hatte immer noch das Gefühl, nicht ganz klar denken zu können.

Mit einem Stöhnen vor Anstrengung zog sie die Tür zur Seite und trat hinaus.

Einen Moment lang vergaß sie zu atmen. Das war definitiv nicht das Flusstal und es sollte definitiv nicht möglich sein. Sie blinzelte mehrmals, aber es half nichts. Bäume umgaben sie, wie sie es in der Hütte gedacht hatte, aber es waren nicht die Bäume des Flusstals, in dem sie gelaufen war, noch waren es irgendwelche Bäume, mit denen sie jemals in Kontakt gekommen war. Sie war sich ziemlich sicher, dass die gesamte Erde keine Bäume mit tiefvioletter Rinde und Stämmen, die so groß wie Häuser waren, hatte. Unter den lebenden Riesen war die Flora etwas bekannter, aber nicht weniger beunruhigend. Sträucher mit schwarzen und fuchsiafarbenen Früchten übersäten das Unterholz und lange Ranken verbanden die Bäume wie wilde Stromleitungen.

"Du bist erwacht. Gut. Komm und iss, du wirst Energie für die lange Reise brauchen."

Mia drehte sich erschrocken um. Eine ganze Gruppe von Menschen war ihr entgangen, was nicht gut für ihren Geisteszustand war. Ebenso wenig half die Tatsache, dass er in einem Dialekt sprach, den sie noch nie gehört hatte, und dennoch verstand sie ihn klar und deutlich. Sie blinzelte den Sprecher an. Ein Mann... irgendwie. Breit und muskulös, trug er eine dunkle Weste und Hosen, die aus demselben Material zu bestehen schienen. Es sah biegsam genug aus, aber die Art, wie es das Licht einfing, war... falsch. Das war seltsam, aber Kleidung und Mode verwirrten sie leicht. Nicht, dass dies wie irgendeine Art von Mode aussah, es war eher wie eine Uniform. Etwas Nützliches. Was sie wirklich innehalten ließ, was ihr Gehirn stocken ließ, waren die Muster auf seiner Haut, gesprenkelte Flecken, die nur als wild beschrieben werden konnten. Wie etwas, das man bei einem wilden Tier sehen würde. Hatte er eine Wette mit Tätowierungen verloren? Aber nein, als ihr Blick nach oben wanderte und schließlich auf seinem Gesicht landete, erkannte sie, dass etwas wirklich sehr falsch war. Er war blond, mit kurz geschnittenem Haar, seine Gesichtszüge markant und männlich, besonders die leicht abgeflachte Nase und die verlängerten, fast katzenartigen Augen. Und die Reißzähne.

"Oh mein Gott," flüsterte sie und wich zurück, aber ihre Bewegung wurde durch das Gestrüpp unter ihren Füßen behindert. Lebhaft grüne Augen starrten sie an, prüfend, studierend, komplett mit geschlitzten Pupillen. Seine spitzen und leicht behaarten Ohren drehten sich aufmerksam in ihre Richtung.

Sie musste etwas Schlechtes gegessen haben. Jemand hatte ihr Essen mit Drogen versetzt und sie halluzinierte.

Außer, sie hatte seit fast vierundzwanzig Stunden nichts gegessen. Trotzdem musste sie auf etwas trippen. Sie stand in einem seltsamen, dschungelartigen Wald und starrte einen Katzenmann an. Als hätte jemand eine Wildkatze und einen attraktiven Bodybuilder genommen und sie zusammengefügt, und das war das Ergebnis. Irgendwie hatte er eine wilde Anziehungskraft, und sie lobte ihre Fantasie dafür, dass sie sich ein Szenario ausgedacht hatte, das definitiv nicht dazu führen würde, dass sie in Erinnerungen an Brian zurückfiel. Eine seltsame Fantasie, sicher, aber da sie im letzten Monat nichts als wütende, schmerzhafte Träume gehabt hatte, würde sie es nehmen. Sie war kurz davor, auf ihn zuzugehen, vielleicht eine Hand über den hervorstehenden Brustmuskel zu streichen, der aus dieser seltsam aussehenden Weste hervorlugte, aber ein Erinnerungsfetzen ließ sie innehalten. Es war seine Stimme und der seltsame Akzent, mit dem er sprach, der ihr seltsam vertraut vorkam, und es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, warum.

"Du hast etwas mit mir gemacht. Ich war am Laufen und du hast eine Art Waffe auf mich gerichtet und jetzt..." Mia sah sich um und bemerkte weitere Frauen in der Nähe.

"Ja, du bist eine der Auserwählten. Es ist wichtig, dass du jetzt isst. Wir müssen bald weiter, der Wald ist nachts nicht sicher."

Sie warf einen Blick auf die anderen Frauen. Sie waren jung, vielleicht sogar jünger als sie selbst. Zwei mit dunklem Haar und olivfarbener Haut kauerten nebeneinander, ihre Augen glasig und weit aufgerissen. Sie sahen aus, als könnten sie Schwestern sein. Eine Blonde saß mit geradem Rücken da, ihre Hände zitterten, als sie etwas zu ihren Lippen hob und einen Bissen nahm. Die letzte war ein blasses kleines Ding, das auf dem Boden kauerte, die Arme um die Knie geschlungen und der kastanienbraune Bob hing ihr ins Gesicht. Ein Teller mit Essen lag unberührt vor ihr auf dem Boden.

"Ausgewählt wofür? Ich weiß nicht einmal, wo ich bin. Entweder bin ich total high oder das ist irgendein aufwendiger Streich..."

Der blonde Mann neigte den Kopf und Mia bemerkte die anderen zum ersten Mal. Männer, sechs an der Zahl, alle mit ähnlichen katzenartigen Merkmalen, wenn auch mit unterschiedlichen Markierungen. Zwei hatten verschiedene Arten von Streifen, und mindestens einer hatte die rosettenartigen Flecken eines Leoparden. Sie sahen alle so aus, als würden sie kleine Autos zum Spaß stemmen, und sie trugen alle die gleiche Kombination aus Weste und Hose. Vielleicht war es eine Uniform.

Einer von ihnen, eine schlankere, dunklere Version des Blonden, aber mit kleineren Flecken und zwei langen schwarzen Streifen unter den Augen wie Tränenspuren, trat mit einem Teller in der Hand auf sie zu. Als er näher kam, bemerkte sie, dass es nicht genau ein Teller war, sondern eine Holzplatte, glatt und poliert. Darauf lag etwas, das wie eine grobe Form von Brot und eine Art Frucht in Stücken aussah. Der Mann blieb in sicherer Entfernung von ihr stehen und hielt die Platte wie ein Opfer dar.

Mia warf einen Blick darauf und richtete dann ihren Blick wieder auf den Blonden. Das war keine lustige Fantasie mehr.

"Bring mich nach Hause."

Er schüttelte leicht den Kopf, sein Gesicht ausdruckslos. "Das hier ist jetzt dein Zuhause. Unsere Welt, Callaphria. Es wäre gut, wenn du deine Vergangenheit vergisst."

Etwas an der Endgültigkeit seiner Worte nahm ihr die Taubheit, das Gefühl, dass das alles eine Illusion war. Das war zu real, zu detailliert, um ein Traum zu sein. Das surreale Gefühl wurde bald durch Panik ersetzt.

"Du wirst mich nach Hause bringen! Du kannst mich nicht einfach entführen und erwarten, dass ich mit dir gehe, wohin du willst!" Am Ende ihrer Erklärung hatte ihre Stimme fast einen schrillen Ton angenommen, aber das war ihr egal.

"Sei still, Frau," knurrte der Mann mit den Tränenspuren und der Platte. "Es gibt Gefahren im Wald. Es ist besser, wenn sie uns nicht hören."

Mia öffnete den Mund, um zu schreien. Der blonde Katzenmann war in einem Augenblick an ihrer Seite. Wie war es überhaupt möglich, dass er sich so schnell bewegt hatte? Mit schnellen, effizienten Bewegungen legte er eine Hand auf ihren Mund und zog sie gegen seine sehr solide Brust. Er legte einen Finger an ihre Schläfe, genau an die Stelle, die er berührt hatte, bevor sie im Flusstal ohnmächtig geworden war.

Plötzlich war all ihr Mut aufgebraucht. Sein Griff fühlte sich sehr real an, und der leichte Schmerz, den er verursachte, als er sie gegen sich drückte, ließ die Angst durch sie zittern.

"Fühlst du das?" fragte er, seine glatte Stimme angespannt. Sein Finger rieb an etwas, einem Knoten direkt unter ihrem Haaransatz. "Das ist ein Neurotransmitter. Für den Moment ist er direkt unter deiner Haut implantiert. Er ermöglicht es dir, zu verstehen, was wir dir sagen, was ein wesentlicher Teil deiner Sicherheit ist. Er ermöglicht es mir auch, dein Bewusstsein zu unterdrücken, wenn du uns zu sehr zur Last fällst. Wenn du schreist oder in deiner Panik auch nur deine Stimme erhebst, wirst du uns alle möglichen Schwierigkeiten bereiten, und es könnte sein, dass meine Männer und ich nicht in der Lage sein werden, dich zu schützen. Jetzt hast du eine sehr einfache Wahl. Du kannst meinen Befehlen gehorchen und dich darauf vorbereiten, die Tagesreise auf deinen eigenen zwei Füßen zu machen, oder ich kann dich bewusstlos schlagen und einer von uns wird dich nach Virkaith tragen. So oder so, es ist Zeit für uns aufzubrechen. Ich brauche deine Antwort."

Langsam nahm er seine Hand weg und gab Mia die Erlaubnis zu sprechen. Terror durchströmte sie, aber sie hatte wenig Wahl. Sie hatte nicht vor, seinen Befehlen zu gehorchen, aber wieder bewusstlos geschlagen zu werden, war keine Option.

Nach einem Moment nahm er seine Hand ganz weg und trat zurück. Erleichterung mischte sich mit der kühleren Luft, die ihre Haut streichelte, wo seine Präsenz gewesen war.

"Gut," nickte er und ging zurück zu dem Platz, an dem er gestanden hatte.

Wie in einem sehr seltsamen Traum beobachtete sie, wie sich die Weste über seiner Brust bewegte, sich wie schwarzes Öl über seine Haut floss, bis sie wie eine Rüstung aussah, die in einem Science-Fiction-Film eine Hauptrolle hätte spielen können. Eine böse aussehende Klinge schmolz aus dem rechten Unterarm und glitt in seine Hand.

Das war so gar nicht gut.

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