kapitel 4
Kamilla musterte Damon, der vor ihr stand. Sie rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her und verschränkte ihre Hände ineinander.
Der kleine Tisch vor ihr trug einen leeren Teller. Kamilla hätte nichts gegessen, wenn sie nicht fast vor Hunger gestorben wäre.
Sie konnte immer noch nicht glauben, wie der König sie einfach so entlassen hatte! Als wäre sie nichts weiter als ein Fussel auf seinem Mantel. Er hatte mit der Hand gewinkt und Damon gesagt, er solle sie „wegbringen“.
Hah! Kamilla schnaubte. Die Frechheit! Sobald sie die Gelegenheit bekam, würde sie ihm die Fledermausflügel abschlagen!
„Den König in Gedanken zu verfluchen, wird dir nicht helfen“, sagte Damon.
Kamilla blickte überrascht auf. „Du… du kannst Gedanken lesen?“
Oh nein. Jetzt hatte sie nicht einmal mehr die Privatsphäre ihrer Gedanken? Was war das für eine Welt?!
Damon lächelte schief. „Nein, aber ich kann definitiv Gesichtsausdrücke lesen, und deiner ist mörderisch.“
Kamilla lehnte sich erleichtert zurück. Sie konnte sie alle verfluchen, so viel sie wollte. Gott sei Dank für kleine Gnaden.
„Vielleicht solltest du das akzeptieren“, sagte Damon leise. „Kämpfe nicht gegen Viktor, es wird dir nichts als Schmerz bringen. Akzeptiere es, akzeptiere ihn.“
Sie schnaubte und verschränkte die Arme. „Vergiss es!“
Damon seufzte und steckte die Hände in die Taschen.
Kamilla blickte zu ihm auf. „Warum seufzt du?“ fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Ich bin diejenige, die gefangen gehalten wird. Ich weiß nicht einmal, wie es meiner Mutter geht! Sie weiß nicht einmal, dass ich entführt wurde!“
Er wiegte sich nur auf den Fersen, während Kamilla stöhnte und sich auf dem großen Sofa zu einer Kugel zusammenrollte.
„Sie wird nie wissen, wo meine Knochen begraben sein werden!“ flüsterte sie, kreidebleich.
Damon neigte den Kopf. „Deine Knochen? Hast du vor zu sterben?“
Sie richtete sich hastig auf und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Nein, aber ich glaube nicht, dass dein kostbarer König mir eine Wahl lassen wird, bevor er mich seinem Haustierdrachen zum Fraß vorwirft!“
Der Raum verdunkelte sich. Kamilla schnappte erschrocken nach Luft. Mist. Er war hier. Sie spürte ihn.
„Der einzige Haustierdrache, den ich im Moment habe“, sagte Viktor, „bist du.“
Kamilla wollte eine Erwiderung hervorstossen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Er tauchte aus dem Nichts auf, seine große, muskulöse Gestalt in einen schwarzen Anzug gekleidet.
Damon neigte automatisch den Kopf in eine kleine Verbeugung.
Sie starrte Viktor an und hoffte vage, dass ihr Mund wenigstens geschlossen war. Seine Anzugjacke hing offen, ein schwarzes Baumwollhemd bedeckte seine Brust. Sie starrte auf den freiliegenden Teil der Brust am dreieckigen Ausschnitt des Hemdes, als Viktor auf sie zuschritt und mit den Fingern vor ihrem Gesicht schnippte.
Kamilla zuckte zusammen, erschrocken. Sie blickte scharf zu ihm auf. Verdammt, sie war beim Starren erwischt worden. Oh, die Peinlichkeit.
„Noch ein bisschen länger und du hättest vielleicht gesabbert“, stellte Viktor kühl fest.
Kamilla machte sich nicht einmal die Mühe, das Zucken ihrer Lippen zu unterdrücken. „Wann lässt du mich endlich gehen?“ forderte sie.
Wut blitzte in seinen Augen auf, aber Viktor fing sich schnell wieder.
„Zwing mich nicht, mich zu wiederholen“, sagte er mit einer Stimme, so dunkel und gefährlich wie die Mitternacht. Kamilla zitterte. „Das hier ist dein Zuhause und du wirst es nicht verlassen. Frag mich das noch einmal, und ich schwöre, ich hänge dich von der Hexenklippe.“
Kamilla schnappte nach Luft. „Mich hängen?“ Ihre Hände wanderten zu ihrem Hals und sie schluckte. „Also hast du doch vor, mich zu töten.“
Viktor rollte mit den Augen. „Ich werde dich nicht töten. Aber ich verspreche dir, in dem Moment, in dem du dich am scharfen Ende der Hexenklippe an deiner Unterwäsche baumelnd wiederfindest, wirst du dir wünschen, tot zu sein.“
Sie kauerte sich in das Sofa und starrte ihn wütend an. Sie hasste das. Sie hasste es leidenschaftlich! Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, das in der Schule herumgeschubst wurde, umgeben von Mobbern, die sie beschimpften, sie einen Alien nannten, eine Hexe, besessen wegen ihrer blassen Haut und ihrer leuchtend grünen Augen.
Kamilla schloss die Augen und schluckte. Sie hatte nie zu den Menschen gepasst. Kein Wunder.
„Verbanne diese Gedanken sofort“, befahl Viktor plötzlich.
Kamilla öffnete die Augen und sah zu ihm auf. Oh nein.
„Scheiße. Du kannst Gedanken lesen, oder? Als Vampirkönig und so?“
Viktor sah gelangweilt aus. „Ich kann deine Energie spüren, Kleine. Einschließlich des deprimierenden Mülls, den du gerade in deinen kleinen Kopf gelassen hast. Solange wir verbunden sind, sorge dafür, dass du solche Gedanken aus deinem Geist fernhältst, verstanden?“
Kamilla konnte es nicht fassen! „Ich habe Gedankenfreiheit—“
„Ja, sicher“, wischte Viktor ihre Worte weg, als wären sie nicht mehr wert als ein totes Blatt. Kamilla biss sich wütend auf die Lippe. „Wir brechen in einer Stunde auf, geh und mach dich bereit.“
Sie blinzelte. „Was? W-wohin…? Ich habe nichts! Deine Handlanger—“
„Du wirst in deine Gemächer gebracht, wo alles für dich vorbereitet ist.“ Er lächelte langsam und Kamilla dachte, sie hätte sich selbst vor Bewunderung seufzen hören. Obwohl sie hoffte, dass sie das verdammt nochmal nicht getan hatte! „Wenn du dich beschwerst, kämpfst oder deine Diener terrorisierst, werde ich nicht zögern, dich von der Hexenklippe zu hängen.“
Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand vor ihren Augen.
Kamilla schnaubte. „Benutzt ihr hier eigentlich keine Türen?!“
Die Luft war geladen mit Elektrizität. Oder vielleicht war Kamilla einfach kurz davor, wegen des engen Korsetts um ihre Brust ohnmächtig zu werden.
Ihr Körper war in ein langes, schwarzes Kleid gehüllt, so sexy und provokant, wie ein schwarzes Kleid nur sein konnte.
Sie hatte nicht geglaubt, dass es wirklich sie war, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, als die beiden Dienerinnen mit ihr fertig waren. Sie sah aus... wie eine Frau. Eine starke, gefährliche Frau. Kamilla ließ ihre Lippen zu einem Lächeln formen, das scharlachrote Rot war atemberaubend gegen ihre blasse Haut. Ihr Haar fiel in dicken, verführerischen Locken über ihren Rücken.
Sie sah aus wie eine Mischung aus Schneewittchen und der bösen Stiefmutter, beides in einer Person.
Sie blickte zurück, als die große schwarze Kutsche davonfuhr. Kamilla schüttelte erneut ungläubig den Kopf. Sie konnte nicht fassen, dass sie im Onyx-Königreich keine Autos benutzten. Wer benutzte heutzutage keine Autos?!
Vor ihr stand ein gigantisches, elegantes Herrenhaus, dessen Kristallfenster von innen in goldenem Licht erstrahlten. Es gab ein Summen von Gesprächen, Musik und klirrenden Gläsern. Kamilla schluckte. Das würde schrecklich werden. Sie wollte nicht auf einen verdammten Ball!
Die Türen öffneten sich und Damon stand dort, umwerfend aussehend in einem tief burgunderroten Anzug.
Er verbeugte sich. „Du siehst umwerfend aus, Kamilla.“
Sie rollte selbstbewusst mit den Augen. Er nahm ihre Hand und führte sie die Treppe hinauf in die atemberaubende Halle.
In dem Moment, als sie in der Tür erschien, verstummte der riesige Raum. Kamilla starrte auf die Menge der Gäste, die meisten trugen Schwarz oder Kastanienbraun, Rot oder Marineblau. Sie waren alle wunderschöne Menschen. Atemberaubend, wirklich.
„Wo ist der König?“ murmelte Kamilla flach. Als sie keine Antwort erhielt, blickte sie zur Seite, aber Damon war nicht da.
Er war verschwunden. Kamillas Herz schlug in Panik schneller. Wie konnte er sie allein lassen, wenn sie diese Leute nicht kannte?!
Sie holte tief Luft und nach einer vollen Minute machte sie einen zitternden Schritt weiter in den Raum hinein.
Sie spürte all ihre Blicke auf sich, wie sie sie neugierig musterten. Die Aufmerksamkeit war erdrückend und Kamilla wollte nichts mehr, als sich umzudrehen und hinauszurennen. Sie schluckte, ihre Hände ballten sich zu Fäusten an ihren Seiten, während sie weiter in den Raum ging.
„Das ist die Königin?“ hörte sie ein spöttisches Flüstern, bevor jemand kicherte.
„Sieht verängstigt aus, nicht wahr? Sie wird es nie schaffen.“
Kamilla blieb stehen. Das musste sie sich nicht anhören. Sie musste ihre Spott und Verachtung nicht akzeptieren.
Gerade als sie beschlossen hatte, sich auf dem Absatz umzudrehen und hinauszugehen, erschien er.
Wie in einem Traum tauchte er vor ihr auf, ging auf sie zu aus einem Wirbel dunkler Energie.
„Viktor.“
Kamilla registrierte nicht einmal die Ruhe, die ihr Herz erfüllte. Seine Augen leuchteten grün, als er ihr Aussehen betrachtete und die dramatische Veränderung studierte.
Mit einem verheerend schönen Lächeln nahm er ihre Hand.
„Kamilla.“
Sie starrte ihn an und er wandte sich dem Raum zu. In einem Moment hatten sie sich bewegt. Kamilla schnappte nach Luft, als sie auf ihre Füße blickte, die nun fest auf der Vorderbühne standen.
Sie starrte auf die zwei goldenen Throne auf der schwarzen Bühne.
Wie echte Throne!
Die Menge murmelte, und Viktor brachte sie mit einer erhobenen Hand zum Schweigen.
Stille legte sich über den Raum und alle Augen richteten sich auf sie. Kamillas Herz pochte. Was würden diese Vampire mit ihr machen?
Er sah sie an. „Onyx“, sagte er. „Begrüßt eure Königin. Kamilla.“
Kamilla starrte schockiert, als jede Person im Ballsaal ihr das Haupt neigte. „Unsere Königin“, war der einstimmige Gruß.
Viktor nahm ihre Hand und, während er ihren Blick hielt, küsste er sie. Ihre Fingerspitzen kribbelten und der Rest ihres Körpers folgte. Als er seinen Kopf hob, leuchteten seine Augen so intensiv, dass Kamilla es in ihren eigenen fühlte.
Schnell wieder zu sich kommend, zog sie ihre Hand aus seiner und beobachtete, wie er schmunzelte.
In wenigen Momenten ging die Feier weiter, aber Kamilla entging nicht, dass alle Augen auf ihr blieben.
Sie blieb hinter Viktor, vor Angst fast gelähmt, und nickte leise, als die Leute sie begrüßten. Was würde jetzt passieren? Da das ganze Königreich von ihr wusste, würden sie sie alle jagen, wenn sie weglief? Ein Stöhnen entfuhr ihr und sie schloss frustriert die Augen. Allein der Gedanke, auf der Flucht vor einem ganzen Königreich von Vampiren zu sein, war erschöpfend.
Sie hätte sich weigern sollen, mitzukommen.
Plötzlich veränderte sich die Luft. Kamilla fröstelte.
„Warum sieht eine so schöne Königin so traurig aus?“
Kamilla versteifte sich. Die Stimme gehörte einem Fremden. Langsam drehte sie sich um. Das Erste, was ihr auffiel, waren seine Augen. Sie waren bizarr. Pechschwarz. Und tief, als würden sie eine ganze Galaxie enthalten. Der Mann war wieder einmal erschreckend gutaussehend. Kamilla wusste nicht, was sie tun sollte, also hob sie die Hand und winkte unbeholfen.
Er lachte. „Lassen Sie mich mich vorstellen“, sagte er und verbeugte sich. Kamilla nutzte die Gelegenheit, um zurück zu Viktor zu schauen, aber er war nicht da. Sie schluckte. Der Mann erhob sich. Das Schwarz seiner Augen schien zu wirbeln und Kamilla konnte nicht anders, als hineinzustarren. Er lächelte ein teuflisch gutaussehendes Lächeln und sie schauderte. „Mein Name ist Rogan.“
Kamilla nickte. „F-freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Der Mann neigte den Kopf, sein goldblondes Haar fiel über eine Augenbraue.
„Tatsächlich?“
Kamilla runzelte die Stirn. „Wie bitte?“
„Ich sagte, 'tatsächlich?'“ Kamilla konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Er grinste. „Oh, kleine Kamilla, so weit weg von zu Hause. Gefangen in Onyx, gefangen mit einem Vampir.“
Kamilla machte einen Schritt von dem Fremden weg, aber er kam nur näher. „Ich denke, ich sollte gehen—“
„Vielleicht sollten Sie das nicht.“ Er lächelte. „Was, wenn ich sagte, dass... ich Sie hier rausbringen könnte?“



















































































