Zwei

ARIADNES PERSPEKTIVE

Die kalten Steinwände der Mondstein-Zitadelle erhoben sich wie eine Festung der Verzweiflung, ihre mächtige Präsenz drückte auf mich herab, als würde das Gewicht des gesamten Werwolfreiches auf meinen Schultern lasten. Jeder Schritt, den ich hinter den Wachen machte, hallte in den gewölbten Hallen wider, das Geräusch wurde von der bedrückenden Stille verschluckt.

Sie hatten mir alles Vertraute genommen: meinen Namen, mein Zuhause, meine Freiheit. Selbst die Luft hier fühlte sich fremd an, schwer vom Geruch nach Wolfsgeruch und Gefahr. Doch ich klammerte mich an einen Gedanken, einen Funken Hoffnung, der gegen die erstickende Dunkelheit brannte: Elira lebt noch.

Die Wachen drängten mich vorwärts, ihre Krallen streiften meine Haut, eine stumme Erinnerung daran, was sie tun könnten, wenn ich aus der Reihe tanzen würde. Mein Gesicht blieb ausdruckslos, aber in mir tobte mein Puls wie ein donnerndes Trommeln aus Angst und Wut.

Vor uns öffneten sich die massiven Türen zum Thronsaal mit einem Knarren und gaben eine Kammer frei, die in Schatten und Mondlicht getaucht war. Die Luft drinnen war kälter, schärfer, als ob der Raum selbst vor Angst vor dem Mann auf dem Thron erstarrt wäre.

König Magnus.

Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, ein Bein lässig über die Armlehne gelegt, doch seine Präsenz erfüllte den Raum wie ein Sturm, der kurz davor war, loszubrechen. Seine bernsteinfarbenen Augen brannten durch die Dunkelheit, durchdringend und unerbittlich, und fixierten mich in dem Moment, als ich eintrat. Mein Atem stockte, aber ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten.

„Lasst uns allein“, befahl er, seine Stimme ein tiefes Grollen, das mir Schauer über den Rücken jagte.

Die Wachen zögerten, warfen einander Blicke zu. Selbst sie schienen unwillig, mich mit ihm allein zu lassen. Dieser kleine, flüchtige Moment geteilter Angst sagte mir alles, was ich über den Bestienkönig wissen musste. Er war mehr als ihr Herrscher; er war ihr Peiniger, ihr Räuber.

„Habt ihr mich nicht gehört?“ knurrte Magnus, seine Stimme schnitt durch die Luft wie eine Klinge.

Die Wachen beeilten sich, zu gehorchen, und verließen den Raum ohne ein weiteres Wort. Die Türen schlugen hinter ihnen zu und ließen mich allein mit dem Mann, der meine Welt in die Knie gezwungen hatte.

Magnus erhob sich von seinem Thron, jeder Schritt war bedacht, gemessen, raubtierhaft. Seine riesige Gestalt warf einen langen Schatten, der das Licht zu verschlucken schien, und als er den Abstand zwischen uns verringerte, kämpfte ich gegen den Drang, zurückzuweichen.

„Du hast einen Todeswunsch, nicht wahr?“ fragte er, sein Ton fast gesprächig, als ob wir über das Wetter und nicht über meinen bevorstehenden Untergang sprechen würden.

Ich schluckte schwer. „Ich habe es dir schon einmal gesagt. Ich werde alles tun, um meine Schwester zu beschützen.“

Seine Lippen verzogen sich zu einem langsamen, bedrohlichen Lächeln. „Und was lässt dich glauben, dass du jemanden beschützen kannst? Du bist nichts weiter als ein Mensch, ein schwaches, zerbrechliches Wesen, das vorgibt, stark zu sein.“

Ich ballte die Fäuste, die Nägel gruben sich in meine Handflächen. „Schwach? Vielleicht. Aber ich bin lieber zerbrechlich und kämpfe für das, was ich liebe, als ein Biest zu sein, das alles zerstört, was ihm in den Weg kommt.“

Das Lächeln verschwand, ersetzt durch ein Aufblitzen von etwas Dunklerem, Kälterem. Er war jetzt so nah, dass ich die goldenen Sprenkel in seinen bernsteinfarbenen Augen sehen konnte, die feine Narbe, die sich über seinen Kiefer zog.

„Vorsicht,“ warnte er, seine Stimme ein gefährliches Flüstern. „Deine kühne Zunge wird dich nicht vor mir retten.“

„Ich brauche keine Rettung“, entgegnete ich, obwohl meine Stimme zitterte. „Und wenn du denkst, ich werde mich dir beugen wie dein Volk, liegst du falsch.“

Seine Augen verengten sich, und einen Moment lang dachte ich, er könnte mich schlagen. Stattdessen griff er aus, seine Hand packte mein Kinn in einem eisernen Griff. Seine Krallen stachen in meine Haut, eine grausame Erinnerung daran, wozu er fähig war.

„Du bist entweder unglaublich mutig oder unglaublich dumm“, sagte er und neigte meinen Kopf, um mich zu zwingen, ihn anzusehen. „Aber verwechsle mein Interesse nicht mit Gnade. Du lebst, weil ich es zulasse. Widersetz dich mir noch einmal, und ich werde dich bereuen lassen.“

Mein Herz hämmerte in meiner Brust, aber ich weigerte mich, ihm meine Angst zu zeigen. „Tu dein Schlimmstes.“

Der Mundwinkel zuckte, als ob er von meinem Trotz amüsiert wäre, aber sein Griff wurde fester. „Oh, kleines Menschlein, du hast keine Ahnung, wie mein Schlimmstes aussieht.“

Er ließ mich mit einem Stoß los, und ich stolperte zurück, fing mich gerade noch, bevor ich fiel. Magnus drehte sich um, seine Bewegungen fließend und unbeeindruckt, als er zu seinem Thron zurückkehrte.

„Sag mir“, sagte er, als er sich setzte. „Warum riskierst du alles für deine Schwester? Was macht sie wertvoller als dein eigenes Leben?“

Die Frage erwischte mich unvorbereitet, und für einen Moment schwieg ich. Erinnerungen an Eliras Lachen, ihr sanftes Lächeln, blitzten vor meinem inneren Auge auf.

„Sie ist meine Familie“, sagte ich schließlich. „Die einzige Familie, die ich noch habe. Das würdest du nicht verstehen.“

Magnus lehnte sich vor, stützte seine Ellbogen auf seine Knie. „Du denkst, ich verstehe keine Loyalität?“

„Ich denke, du verstehst keine Liebe“, entgegnete ich.

Der Raum wurde totenstill. Magnus' Ausdruck verdüsterte sich, und die Luft wurde schwerer, erfüllt von einer bedrückenden Spannung, die auf meiner Brust lastete.

„Du maßt dir an, mich zu kennen?“ sagte er, seine Stimme tief und gefährlich.

Ich zögerte, der Druck seines Blicks drohte, mich zu erdrücken. Aber ich konnte nicht aufhören. „Ich weiß, was ich sehe. Einen Mann, der durch Angst herrscht, weil er zu viel Angst hat, jemanden nah an sich heranzulassen. Einen Mann, der seinen Schmerz hinter Grausamkeit verbirgt.“

Sein Lachen war scharf, bitter. „Und welchen Schmerz sollte ein Wesen wie ich haben, Mensch? Erleuchte mich.“

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Er testete mich, wartete darauf, dass ich stolperte, dass ich ins Straucheln geriet.

„Ich weiß es nicht“, gab ich zu, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Aber ich erkenne Schmerz, wenn ich ihn sehe. Er ist in deinen Augen. Er ist in der Art, wie dein Volk dich fürchtet.“

Magnus' Ausdruck verhärtete sich, und er erhob sich erneut von seinem Thron. Der Raum zwischen uns schien zu schrumpfen, die Luft knisterte vor Spannung.

„Du hältst dich für klug, nicht wahr?“ sagte er, sein Ton trügerisch ruhig. „Aber Klugheit wird dich hier nicht retten. Sie wird auch deine Schwester nicht retten.“

Die Erwähnung von Elira ließ eine Welle der Wut durch mich schießen. „Wenn du ihr etwas antust—“

„Was dann?“ unterbrach er, seine Stimme scharf wie eine Peitsche. „Du wirst gegen mich kämpfen? Mich töten? Du könntest keinen Tag in dieser Zitadelle überleben ohne meinen Schutz.“

Ich hasste, dass er recht hatte. Hasste die Macht, die er über mich, über Elira hatte. Aber ich weigerte mich, ihm diese Schwäche zu zeigen.

„Du machst mir keine Angst“, log ich, meine Stimme fest.

Magnus trat näher, sein Schatten fiel wie ein dunkles Omen über mich. „Dann sollte ich das vielleicht.“

Er streckte die Hand aus, seine Krallen strichen über die Seite meines Halses...

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