Kapitel 2 - Der Alpha

„Es gibt etwas an dem Verlust einer Mutter, das dauerhaft und unaussprechlich ist – eine Wunde, die niemals ganz heilen wird.“

  • Susan Wiggs

Neron

„Ich liebe dich, Neron.“

„Und ich liebe dich, mein Schatz“, flüsterte ich Odessa ins Ohr, während ich erneut tief in sie stieß. So ein kleiner Schelm war sie; rieb sich so früh am Morgen an mir und machte mich ganz verrückt. Ihre süßen Stöhnen und Lobesrufe entfachten das Feuer in mir. Meine Fäuste krallten sich in die Bettlaken. Leidenschaft und Hitze schossen durch jede Synapse meines Körpers. Mit ihrer Wärme, die meinen Schwanz umschloss, näherte ich mich meinem Orgasmus. Feuer schwoll in meinem Inneren an und stach tief in meine Leiste. Knurrend beanspruchte ich sie für mich in meinen letzten Stößen.  Die wunderschönen bernsteinfarbenen Augen meiner Liebe rollten nach hinten, offensichtlich kurz vor ihrem eigenen Orgasmus. Ihre scharfen Nägel bohrten sich in meinen Rücken und kratzten über meine nackte Haut, während sich ihr Gesicht in meinen Lieblingsausdruck verzerrte.

Das Gesicht reiner Ekstase.

Göttin, sie war so atemberaubend. Von den Haaren auf ihrem Kopf bis zu ihren niedlichen Zehen, ihre Schönheit und ihr erstaunlicher Körper gehörten ganz mir.

Es dauerte nicht lange, bis wir beide unseren Höhepunkt erreichten und langsam die Nachwehen unserer Begierde genossen, bis wir erschöpft auf mein Bett sanken. Die Sonne hatte gerade erst ihre blendenden Strahlen durch meine Vorhänge geworfen und den Beginn eines neuen Tages markiert. Ich zog die erschöpfte Odessa in meine Arme, drückte ihren Körper fest an meinen, während ihre kastanienbraunen Locken meine Haut kitzelten. Während ich nach Luft schnappte, nahm ich leichte Bewegungen im Rudelhaus wahr, die mir verrieten, dass meine Rudelmitglieder wach waren.

Ich schnaubte leise vor mich hin und fragte mich, ob jemand uns beim Höhepunkt unserer Leidenschaft gehört hatte. Werwolf-Ohren können alles aufschnappen.

Heute war der Tag meiner Alpha-Zeremonie. Endlich würde ich Alpha des Zircon Moon Rudels werden. Es war höchste Zeit, dass mein Vater sich von seinem Posten zurückzog und den Rest seiner Tage in Frieden lebte. Es war wirklich schade, dass meine Mutter nicht hier war, um beim Übergang zu helfen. Über Generationen hinweg war die Luna bei der heiligen Zeremonie anwesend gewesen. Dies war das erste Mal, dass wir unsere Luna nicht dabei haben würden. Sie wusste immer, wie sie meinen Vater und mich zu beruhigen konnte. Ruhe war in ihrer Aura verankert. Mein Herz schmerzte bei den letzten glücklichen Erinnerungen an meine verstorbene Mutter, ihr anmutiges Lächeln und ihre Worte reiner Liebe.

Ich wünschte, sie wäre hier, um zu sehen, wie ich das Amt übernehme, für das sie mich erzogen hatte. Sie und Nuria.

„Schatz?“ Meine Augen wanderten von der Decke zu Odessa, ihre Rehaugen voller Sorge. „Du bist so still geworden. Alles in Ordnung?“

Ich seufzte und verbannte meinen Schmerz. „Mir geht es gut. Du weißt, was heute für ein Tag ist, oder?“ Sie nickte. „Ich dachte nur daran, wie sehr meine Mutter es geliebt hätte, hier zu sein. So wie ich sie kannte, würde sie uns arme Kerle wahrscheinlich wegen der Dekorationen und des Essens herumkommandieren.“

„Ach was. Deine Mutter wäre stolz auf dich. Du bist ihr Sohn; du könntest sie niemals enttäuschen.“ Meine Dame antwortete mit einem tröstenden Lächeln. „Ich bin sicher, wenn sie noch hier wäre, wäre sie die erste, die dich anfeuert. Das weißt du. Und sobald du Alpha wirst...“ Ihre federleichten Finger zeichneten Kreise auf die Vertiefungen meiner Brust. „Werde ich deine Luna, und alles wird sich fügen.“

Es gab einen weiteren Schlag in meinem Herzen. Nicht schmerzhaft, sondern einer der Sinnlosigkeit. Tief im Inneren wusste ich, dass Odessa nicht meine wahre Luna sein konnte. Sie war nicht meine wahre Gefährtin, denn dieser gehörte der Luna-Titel rechtmäßig zu. Meine Dame hatte nicht gerade den besten Ruf im Rudel, aufgrund ihrer gelegentlichen kleinlichen Einstellung und ihres überheblichen Verhaltens, aber das war mir egal. Sie war mit mir durch dick und dünn gegangen, und ich empfand viel Liebe für sie. Na und, wenn sie das Training nicht mochte oder sich nicht gerne die Hände schmutzig machte? Sie war in meinen Augen mehr als perfekt.

Ich küsste ihre Stirn, sanft und keusch. „Schatz. Ich würde es nicht anders haben wollen.“

„Natürlich würdest du das sagen, Idiot“, rumorte mein Wolf aus den Tiefen meines Geistes. Das war jetzt unsere Routine, wann immer ich mit Odessa schlief. Er zog sich zurück, kam aber danach zurück, um mich zu tadeln, wenn ich fertig war. Ich verstand nie, was sein Problem mit Odessa oder ihrer Wölfin, Ariel, war. „Sie gehört nicht zu uns. Du kannst weiter um den Gedanken herumtanzen, dass diese Frau unsere Luna ist, aber ich werde auf unsere WAHRE Gefährtin warten.“

„Bist du dir sicher, Onyx?“

„Ja. Mach, was zum Teufel du willst. Komm nicht zu mir angeheult, wenn dir das alles auf die Füße fällt.“ Damit zog sich Onyx wieder zurück. Mit einem Stöhnen rollte ich aus dem Bett, um mich für den Tag fertig zu machen, und verließ widerwillig Odessas Wärme. Ich musste die letzten Details des Ereignisses mit meinem Vater besprechen und meinen Anzug bügeln lassen. Summend dachte ich daran, was mein Wolf mir gesagt hatte. Würde er für immer auf irgendein zufälliges Mädchen warten, anstatt zu erkennen, dass wir eine großartige Frau direkt neben uns haben?

Das ganze Gefährten-Sache war erbärmlich. Nachdem ich gesehen hatte, wie mein Vater an seiner gebrochenen Gefährtenbindung zerbrach, lehnte ich den Wunsch ab, eine wahre Gefährtin zu haben. Wenn mein Gefährte jemals sterben würde, wer auch immer sie war, wollte ich nicht in dieselbe Dunkelheit fallen, in die mein Vater gefallen war. Ihn fallen zu sehen war schwer, aber ihn aus diesem Abgrund herauszuholen war noch schwieriger. Ich fühlte mich wie Sisyphus, der den Felsen den Berg hinaufbewegt, aber jedes Mal, wenn ich nahe dem Gipfel war, rollte er auf mich zurück. Alkoholismus und Depression waren brutal für sein Gehirn und seinen Körper. Beta Steven musste seine Aufgaben für gute sechs Monate übernehmen, bevor mein Vater wieder fit genug war, um Alpha zu sein. Ich hatte Mom und Nuria verloren, ich konnte ihn nicht auch noch verlieren.

Hinter mir hörte ich das Rascheln meiner Bettlaken. Warme Arme umschlangen meine Taille und ein sanfter Kuss pflanzte sich über meinem Rudelzeichen, und schickte Schauer über meinen Rücken. „Raina und ich werden den ganzen Tag damit beschäftigt sein, uns auf deine Zeremonie vorzubereiten. Wirst du dich benehmen, während ich weg bin?“

Ich kicherte und hob eine ihrer Hände zu meinen Lippen. „Keine Versprechen.“

„Du bist so ein schlauer Fuchs.“

„Schuldig im Sinne der Anklage.“

Als ich schließlich Odessas verlockenden Händen entkommen war, hatten bereits mehr Mitglieder des Rudels ihren Tag begonnen. Der köstliche Duft des Frühstücks stieg in die Luft und lockte mich in Richtung Küche. An einem normalen Tag war die volle Küche überfüllt mit hungrigen Werwölfen, die über die Kunstwerke sabberten, die die Omegas für den Morgen gezaubert hatten. Sie hörten nie auf, mich mit ihrem kulinarischen Wissen und ihrer Meisterschaft am Schneidebrett zu beeindrucken.

Das Rudel blieb nie hungrig. Hervorragendes Essen plus volle Bäuche bedeuteten glückliche Wölfe.

Es musste ein altmodisches Frühstück sein heute Morgen. Der Duft von Speck trieb mich in den Wahnsinn. Onyx tauchte auf und heulte nach Nahrung, was mich zur Weißglut brachte. Ich verdrehte die Augen. Er hatte die Energie, mich dafür zu tadeln, dass ich mit Odessa geschlafen hatte, und doch ließ er sich leicht von einem Stück Speck verführen? Ich konnte nicht anders, als bei dem Gedanken zu lachen. Er war ein Alpha, aber selbst Alphas konnten dem Speck nicht widerstehen!

Doch als ein bestimmter Duft meine Nase traf, verdarb er mir den Morgen. Ein gemischter Duft von frischen Erdbeeren, Honig und Vanille. Ein Duft, der mich an die Tropen erinnerte. Es war nicht einmal ein unangenehmer Duft. Tatsächlich ließ der Duft mich gut fühlen. Er ließ Onyx sich lebendig fühlen und brachte ihn dazu, sich unkontrolliert zu regen.

Es machte mich wütend.

Das Problem war nicht der Duft selbst, sondern, wem er gehörte. Dieser Duft tat Dinge mit mir, wunderbare Dinge, wie jeden Nerv in meinem Körper mit einer angenehmen Hitze zu entfachen. Er drang bis in mein Innerstes vor und weckte meine Begierden, als wäre er Benzin für ein Streichholz. Der süßeste Duft, den ich je gerochen hatte, gehörte dem wertlosen Köter, der die Marmorböden der Versammlungshalle polierte und aussah, als würde sie bei der Arbeit gleich zusammenbrechen, als ich durch das Glas der Tür spähte.

Nur in einen abgetragenen grauen Stofffetzen gekleidet, den man ein Kleid nennen könnte, war leicht zu erkennen, wie unterernährt sie war. Ihre Knochen standen an vielen Stellen hervor und sie hatte kaum Fett an den Stellen, wo eine Dame welches haben sollte. Ich würde sie nicht einmal mehr als Dame bezeichnen. Die Locken in ihrem Haar hingen an einem seidenen Faden und ihre blassbraune Haut war übersät mit blauen Flecken, Striemen und Schnitten, abgesehen von der offensichtlichen rissigen Haut an den Fußsohlen.

Das jämmerliche Ding litt. Gut so.

Nach all dem Mist, den sie diesem Rudel und meiner Familie angetan hatte, verdiente sie jeden blauen Fleck an diesem gebrechlichen Körper. Siewar der Grund, warum ich keine Mutter oder Schwester mehr hatte, und ich sorgte dafür, dass sie sich daran erinnerte, jedes Mal, wenn ich in die Kerker ging. Die Sklavinsollte froh sein, dass sie noch lebte, um diese verdammten Böden zu polieren. Aber ich muss sagen, sie hatte hervorragende Arbeit beim Reinigen geleistet. Sie war doch zu etwas nütze.

Aber tief in meinem Inneren war da dieses winzige Stückchen Reue. Bedauern. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Sklavin verdiente die Behandlung nicht, die sie bekam. Ich hatte mich einst sehr um sie gekümmert. Sehr viel sogar. Aber ihr Schmerz war nicht annähernd vergleichbar mit dem Schmerz, den mein Vater und ich empfanden, als unsere Bindungen zu Mom und Nuria für immer zerbrachen. Es veränderte mein Leben für immer. Egal wie viel Schmerz wir ihr als Rudel zufügten, ich spürte den Verlust immer noch. Ich spürte immer noch dieses qualvolle Brennen tief in meiner Seele.

Ich konnte Onyx' Wimmern jedes Mal hören, wenn ich meine Hände auf ihn legte. Ich fragte ihn immer, was sein Problem sei, aber er antwortete mir nie. Ich nahm es als Zeichen, dass er nicht an den Bestrafungen teilnehmen wollte. Er musste sich irgendwann den Tatsachen stellen. Ohne Wenn und Aber.

Meine Augen fingen den Anblick eines leeren Tellers in der Ecke der Bühne ein. Er hatte eingetrocknete Essensflecken. Mein Körper begann plötzlich zu zittern, vor Wut zu vibrieren. Die Wut in meinem Körper kochte über wie ein ausgebrochener Vulkan. Hatte sie letzte Nacht wieder Essen gestohlen oder hatte jemand sie gefüttert? Wie oft muss ich noch klarstellen, dass dieses Stück Werwolf-Scheiße keine Nahrung verdient?

Ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Meine Wut hatte sie übernommen. In meinem Spiegelbild im Glas, das in die Versammlungshalle blickte, verwandelten sich meine ozeanblauen Augen in tiefes Schwarz. Als ich die Türen aufstieß, schrie die Sklavin und fiel auf seinen Hintern, kroch so weit weg wie möglich von mir. Als sie die Wand erreichte, wurde ihr endlich klar, dass es kein Entkommen gab.

„Es scheint, dass die dumme Sklavin nicht zuhören will. Sklaven existieren nur, um zu gehorchen, und du hast deine eine verdammte Regel gebrochen!“ Ich griff nach dem Teller und warf ihn auf seine zitternden Füße. Der scharfe Aufprall des Keramik zerbrach ihn in tausend Scherben, von denen einige in sein Fleisch eindrangen. Ugh, selbst der Geruch seines Blutes störte mich. „Hast du wieder Essen aus der Küche gestohlen? Bist du so ein verdammtes Tier?“

„Nein! Ich habe nicht—!“ Die Verzweiflung in seiner Stimme verschwand in dem Moment, als ich ihm eine Ohrfeige verpasste. Sein Wimmern zog an den Saiten meines Herzens, ließ mein Herz brennen. Ich schlug es erneut, aber mein Schmerz wurde nur schlimmer. Seine abwehrenden Hände schossen hoch, um sein Gesicht vor meinen Schlägen zu schützen, aber das hielt mich nicht auf. Sein Wimmern wuchs zu vollem Schluchzen, das in meinen Ohren dröhnte. Göttin, warum habe ich es nicht schon vor langer Zeit getötet?

„Lüg mich nicht an, Köter! Du kennst die Regeln. Du bekommst kein Essen, es sei denn, der Alpha oder ich sind großzügig!“ Mehrere Düfte strömten in den Raum, die Zuschauer beobachteten das Geschehen, aber mein Fokus lag auf dem zusammengekauerten Haufen vor mir. Eines hatte es richtig gemacht, es sollte mich niemals direkt in die Augen schauen oder den Kopf heben. „Sag mir die Wahrheit oder... nun, du kannst dir vorstellen, was als nächstes passiert.“

„Beruhig dich, Nero. Ich habe ihr das Essen gegeben.“

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