Kapitel 4

STEFANS PERSPEKTIVE

Der Scotch brannte beim Hinuntergehen, aber ich schenkte mir trotzdem noch einen ein. Mein dritter? Vierter? Irgendwo zwischen dem Unterschreiben der Scheidungspapiere und dem Beobachten, wie Camille wegging, hatte ich den Überblick verloren.

Unser Hochzeitsfoto lag immer noch auf meinem Schreibtisch und verspottete mich. Camilles echtes Lächeln, meine abgelenkten Augen, die schon damals an ihr vorbeiblickten, immer auf der Suche nach Rose.

Rose.

Selbst ihr Name fühlte sich jetzt wie Verrat an.

Mein Telefon leuchtete auf mit einer weiteren Nachricht von ihr: „Liebling, hör auf zu trinken und komm rüber. Wir sollten feiern.“

Feiern. Als hätten wir nicht gerade jemanden zerstört, der uns geliebt hat. Jemanden, der mir drei Jahre lang eine Hingabe geschenkt hat, die ich nie verdient habe.

Die Erinnerung traf mich wie ein Schlag in den Magen.

„Stefan?“ Camilles Stimme war klein, unsicher. „Habe ich etwas falsch gemacht?“

Ich blickte von meinem Laptop auf, genervt von der Unterbrechung. Sie stand in der Tür meines Arbeitszimmers zu Hause und hielt einen Teller mit etwas, das unglaublich gut roch.

„Ich habe die Pasta gemacht, die du erwähnt hast. Die mit Trüffeln?“ Ihre Augen waren hoffnungsvoll. „Rose hat mir das Rezept gegeben...“

Natürlich hatte sie das. Rose hatte diese Pasta für mich in Rom gemacht, vor Jahren. Damals, als wir... was auch immer wir waren.

„Ich bin beschäftigt.“ Ich sah nicht einmal auf den Teller. „Lass es einfach hier.“

„Oh.“ Eine Pause. „Es ist nur, du hast die ganze Woche spät gearbeitet, und ich dachte...“

„Camille.“ Meine Stimme scharf mit einer Wut, die eigentlich nicht für sie bestimmt war. „Ich sagte, ich bin beschäftigt.“

Sie ließ den Teller stehen und verschwand, wie immer leise. Die Pasta blieb bis zum Morgen unberührt, eine perfekte Nachbildung einer Erinnerung, die einer anderen Frau gehörte.

Ich schleuderte mein Glas gegen die Wand und beobachtete, wie Kristall zerbrach, wie das Leben, das ich auf Lügen aufgebaut hatte.

Gott, ich war grausam gewesen. Nicht nur am Ende, sondern während unserer gesamten Ehe. Jedes verpasste Abendessen, jeder vergessene Jahrestag, jedes Mal, wenn ich die Arbeit ihr vorgezogen hatte, alles Ausreden, um die Schuld zu vermeiden, dass ich ihre Schwester wollte.

Mein Telefon summte erneut. Diesmal war es meine Mutter.

„Liebling, ich habe gerade von Rose gehört. Geht es dir gut? Brauchst du etwas? Ich habe immer gesagt, Camille passt nicht zu unserer Familie...“

Ich stellte das Telefon stumm und erinnerte mich an einen weiteren Moment, den ich zu vergessen versucht hatte.

„Sie bemüht sich so sehr, Stefan.“ Roses Stimme war sanft, als sie mir einen weiteren Drink einschenkte. Wir waren allein in meinem Büro nach einem weiteren katastrophalen Familienessen. „Vielleicht, wenn du ihr mehr Anleitung geben würdest...“

„Wie du es getan hast?“ Ich konnte die Bitterkeit in meiner Stimme nicht verbergen. „Ihr alle Wege beigebracht hast, perfekt zu sein?“

Roses Lachen war musikalisch, geübt. Alles an ihr war geübt. „Sagst du, dass du mich lieber unperfekt gehabt hättest?“

Die Luft zwischen uns knisterte mit unausgesprochener Geschichte. Vier Jahre Leidenschaft und Pläne, beendet durch ihre plötzliche Abreise nach London. Oder so hatte sie behauptet.

„Warum bist du wirklich gegangen?“ Die Frage rutschte mir heraus, gefärbt von Whiskey und alten Schmerzen.

„Du weißt warum.“ Sie berührte meine Wange, vertraut und verboten. „Camille brauchte eine Chance auf Glück. Wir haben beide zugestimmt...“

Hatten wir? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Alles aus dieser Zeit fühlte sich verschwommen an, manipuliert. Wie das Anschauen eines Stücks, bei dem ich meine Zeilen vergessen hatte.

„Sie liebt dich“, flüsterte Rose, jetzt zu nah. „Mehr als ich es je könnte.“

Aber ihre Augen sagten etwas anderes. Das hatten sie immer.

Eine weitere Erinnerung tauchte auf, dieses Mal von letzter Woche. Der Moment, in dem sich alles änderte.

„Ich habe dein Lieblingsfrühstück gemacht.“ Camilles Lächeln war strahlend, echt. Immer so verdammt echt. „Herzlichen Glückwunsch zum Jahrestag.“

Die Scheidungspapiere brannten in meiner Aktentasche, Roses Parfüm lingerte noch an meinen Kleidern von unserem nächtlichen „Treffen“.

„Ich kann nicht.“ Ich schnappte mir meine Schlüssel und vermied ihren Blick. „Frühes Meeting.“

„Oh.“ Ihre Stimme brach leicht. „Bist du zum Abendessen zu Hause? Ich dachte, wir könnten...“

„Warte nicht auf mich.“

Ich verbrachte den Abend mit Rose und plante, wie ich ihr die Nachricht überbringen sollte. Sie trug das gleiche Parfüm, das sie damals in Rom getragen hatte, vor all den Jahren.

„Es ist auf diese Weise freundlicher“, sagte sie und strich mir durchs Haar. „Ein sauberer Schnitt. Camille wird es irgendwann verstehen.“

Würde sie das? Der Blick in ihren Augen, als sie Roses Foto gesehen hatte...

Meine Bürotür öffnete sich und riss mich aus der Erinnerung. Mutter stand dort, perfekt frisiert selbst um Mitternacht.

„Wirklich, Liebling. Alleine im Dunkeln trinken?“

„Nicht jetzt, Mutter.“

Sie klickte durch den Raum und betrachtete das zerbrochene Glas mit Missbilligung. „Rose macht sich Sorgen um dich. Wir alle tun das.“

„Sorgen?“ Ich lachte, hart und gebrochen. „So wie du dir all die Jahre Sorgen um Camille gemacht hast?“

„Dieses Mädchen war nie das Richtige für dich.“ Mutters Stimme verhärtete sich. „Rose hingegen...“

„Hör auf.“ Ich stand auf, unsicher. „Einfach... hör auf.“

„Stefan Rodriguez, du wirst nicht so mit mir sprechen. Ich habe dich besser erzogen...“

„Hast du?“ Die Worte explodierten aus mir. „Du hast mich zu was erzogen? Eine Frau, die mich liebte, hinzuhalten, während ich nach ihrer Schwester sehnte? Dir zuzuhören, wie du sie bei jeder Gelegenheit niedermachst?“

Mutter trat zurück, schockiert. In achtundzwanzig Jahren hatte ich nie meine Stimme gegen sie erhoben.

„Alles, was sie tat, war falsch, oder?“ Ich fuhr fort, der Scotch machte mich mutig. „Ihre Kleidung, ihre Manieren, ihr Kochen. Nichts war jemals gut genug. Aber Rose... Rose war perfekt.“

„Weil sie unsere Welt versteht! Sie...“

„Sie versteht Manipulation.“ Die Wahrheit traf mich wie ein Güterzug. „Sie hat uns alle gespielt. Dich, mich, Camille...“

„Sei nicht lächerlich.“ Mutter richtete ihre Designerjacke. „Rose liebt dich. Sie hat dich immer geliebt.“

Hat sie das? Oder liebte sie das Spiel mehr?

Ich erinnerte mich an die kalte Berechnung in ihren Augen, als sie unsere „zufälligen“ Treffen nach ihrer Rückkehr aus London inszenierte. Die Art, wie sie Camilles Unsicherheiten förderte, während sie die unterstützende Schwester spielte.

Selbst unser Wiedersehen vor zwei Monaten fühlte sich jetzt inszeniert an. Das Wohltätigkeitsgala, Camille zufällig „krank“, Rose in diesem Kleid, das ich in Rom geliebt hatte...

„Mutter.“ Ich sank zurück in meinen Stuhl, plötzlich erschöpft. „Bitte geh.“

„Stefan...“

„Geh. Sag Rose... sag ihr...“ Was? Dass es mir leid tut? Dass ich endlich durch ihre perfekte Maske sehe? Dass ich meine Ehe für eine Fantasie zerstört habe, die sie sorgfältig aufgebaut hat?

Mutter ging, ihre Enttäuschung hing in der Luft wie teures Parfüm. Wie Roses Parfüm. Wie all die künstlichen, manipulierten Stücke dieses Lebens, das ich gewählt hatte.

Mein Telefon leuchtete mit einer weiteren Nachricht auf. Wieder Rose: „Liebling, hör auf dramatisch zu sein. Komm nach Hause. Zu mir.“

Nach Hause.

Ich sah mich in meinem Büro um, auf das zerbrochene Glas und die verstreuten Papiere. Auf Camilles Hochzeitsfoto, ihr echtes Lächeln schien jetzt wie ein Vorwurf.

Was hatte ich getan?

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