Kapitel 2
Emily blickte instinktiv auf und traf auf Michaels tintenschwarze Augen.
Der Kristallleuchter über ihnen spiegelte sich in seinen Augen und schuf die Illusion eines kunstvoll gestalteten Abgrunds mit einer fast magnetischen Anziehungskraft, die einen dazu einlud, näher zu treten.
Emily kam fast augenblicklich wieder zu sich und senkte die Hand, die ihren Magen umklammert hatte. „Ich habe zu viel Alkohol getrunken. Mein Magen tut ein bisschen weh.“
Michael lehnte sich gegen das Sofa zurück, seine schmalen Augen leicht zusammengekniffen, während er Emily musterte.
Ihr Gesicht war außergewöhnlich schön – eine klassische ovale Form mit taufrischen mandelförmigen Augen, die aufgrund des Alkohols, den sie gerade hatte trinken müssen, eine leichte Röte in den Augenwinkeln trugen.
Sie wirkte völlig verletzlich.
Emilys Auftreten war rein und unschuldig, was einen krassen Kontrast zur chaotischen Umgebung des Clubs bildete. Es gab ein tiefes Gefühl der Entfremdung.
Sie gehörte nicht hierher.
Michael zog seinen prüfenden Blick zurück und nahm sein Handy, um eine Nachricht zu tippen. „Wenn es dir nicht gut geht, geh und ruh dich aus.“
Emily sah Michael überrascht an. „Meine Schicht ist noch nicht vorbei.“
„Solange ich hier bin, wer würde es wagen, etwas zu sagen?“ Michaels Blick war kalt, seine einfachen Worte trugen eine überwältigende Autorität.
Emily ballte leise ihre Faust.
Was Michael sagte, war wahr.
Als absoluter Herrscher der Wilson Group hatte er die vollständige Kontrolle über dieses Wirtschaftsimperium.
Der Club, in dem sie arbeitete, erzielte jede Nacht Umsätze in sechsstelliger Höhe, doch Michael konnte den Manager mit nur einem Wort dazu bringen, das gesamte Etablissement für ihn zu räumen. Jeder fürchtete sich davor, diesen Mann zu verärgern.
Emily biss sich auf die Lippe. „In Ordnung.“
Bezahlt zu werden, um sich auszuruhen, war kein alltägliches Ereignis.
Sie setzte sich auf einen nahegelegenen Stuhl.
In diesem Moment erhob sich Michael plötzlich und verließ den Raum. Als er zurückkam, stellte er mehrere Schachteln mit Magenmedikamenten vor Emily.
Emily starrte ungläubig, ihr Verstand schien nicht zu begreifen, was gerade geschah.
Michael hatte tatsächlich jemanden geschickt, um ihr Magenmedizin zu kaufen.
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so etwas wie Wärme erlebt hatte, seit dem Niedergang ihrer Familie.
Dabei waren sie nicht einmal Freunde – selbst vor dem Bankrott ihrer Familie hatten sie sich nur einmal bei einem formellen Anlass gesehen.
„Nimm es“, sagte Michael, als er Emilys ungläubigen Ausdruck sah. Er schob ihr einfach die Medizin in die Arme.
Sein Handy klingelte plötzlich. Nachdem er die Anrufer-ID überprüft hatte, nahm er ab und ging nach draußen.
Emily blieb einen Moment lang wie betäubt, bevor sie endlich zu sich kam. Sie nahm die Medizin und ging nach draußen, um sich bedanken zu wollen.
Doch auf der Straße sah sie einen teuren Rolls-Royce dort geparkt.
Eine Frau in einem weißen Kleid hatte den Rücken zu Emily und sagte etwas zu Michael.
Das Gespräch zwischen ihnen schien nicht angenehm zu sein.
Aus dieser Entfernung konnte Emily nicht hören, was sie sagten, sie sah nur Michael, der unter der Straßenlaterne stand, mit einer Zigarette, die hellrot zwischen seinen Fingern glühte.
Michael drehte sich um und stieg in sein eigenes Auto.
Die Frau stampfte frustriert mit dem Fuß, bevor sie ebenfalls in ihr Auto stieg und davonfuhr.
Emily umklammerte die Magenmedizin fest.
Sie wusste, wer diese Frau war.
Caitlin Rand, sie war Michaels Verlobte.
Es wurde gemunkelt, dass ihre Ehe von den Familien arrangiert worden war, mit einer Verlobungszeremonie, die erst kürzlich stattgefunden hatte.
Emily senkte ihren Blick, ihre langen, dichten Wimpern verbargen die Emotionen in ihren Augen.
Sie schleppte ihren erschöpften Körper zurück zu der temporären Wohnung, die sie gemietet hatte, goss sich ein Glas kaltes Wasser ein und hatte gerade die Medizin geschluckt, als ihr Telefon erneut klingelte.
Es war ihre Tante.
„Emily, bist du jetzt von der Arbeit zurück? Ich muss dir etwas sagen.“
Emily antwortete flach: „Was ist los?“
„Kündige den Job im Club. Ich habe einen passenden Mann für dich gefunden und bereits sein Geld angenommen.“ Der Ton ihrer Tante war befehlend.
„Du triffst ihn morgen, ziehst zu ihm und holst sofort den Trauschein. Er ist zwar etwas älter, aber er weiß, wie er sich um dich kümmern muss. Ich werde mich besser fühlen, wenn du bei ihm bist.“
Emilys Augen wurden sofort kalt. „Du versuchst, mich für Geld an einen alten Mann zu verkaufen?“
„Mach es nicht so dramatisch! Ich denke nur an dich! Deine Familie ist bankrott gegangen, dein Vater hat sich das Leben genommen und deine Mutter liegt immer noch im Krankenhaus. Glaubst du, du kannst die Arztrechnungen nur durch den Verkauf von Getränken bezahlen?“
Ihre Tante lachte kalt. „Ich habe den besten Weg für dich arrangiert! Wir sind Familie – ich würde dir nicht schaden.“
„Gib das Geld zurück. Ich weigere mich absolut. Ich bin von der Arbeit erschöpft, also lege ich jetzt auf.“ Emily wartete nicht auf die Antwort ihrer Tante, bevor sie das Gespräch beendete.
Sie rieb ihren immer noch schmerzenden Magen und blickte sich in der heruntergekommenen Wohnung um.
Nach dem Untergang ihrer Familie war ihr Leben von einem Moment auf den anderen aus dem Himmel in die Hölle gestürzt.
Die Firma wurde beschlagnahmt und die verbleibenden Vermögenswerte unter den Verwandten aufgeteilt.
Auch wenn ihr Onkel die Vormundschaft übernommen hatte, bedeutete sein schwacher Charakter, dass ihre Tante sie ständig schikanierte.
Im Sommer konnte sie nur verdorbene Reste essen und musste im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen.
Das erste, was sie tat, als sie Geld verdiente, war, aus diesem Haus auszuziehen, wobei der Rest ihres Lohns direkt auf das Krankenhauskonto ging.
Sie saß auf dem Boden und lehnte sich gegen die Wand, ihre Augen voller Erschöpfung. Das Leben vor ihr schien pechschwarz zu sein, als ob unzählige unsichtbare Hände sie hinunterziehen und in den Abgrund reißen wollten. Sie konnte sich bereits vorstellen, was aus ihrer Zukunft werden würde.
Emilys Blick fiel auf die Magenmedizin auf dem Tisch.
Langsam schloss sie die Augen.
Am nächsten Tag ging Emily wie gewohnt zur Arbeit. Kaum stieg sie aus ihrem Auto, versperrte ihr plötzlich ein übergewichtiger, schmieriger Mann den Weg.
Er sah fast fünfzig aus, mit einem kahlen Kopf und gelben Zähnen, die beim Sprechen sichtbar wurden. „Also bist du Emily! Deine Tante hat nicht gelogen – du bist wirklich schön.“
Emily trat zurück und starrte ihn kalt an. „Wer sind Sie?“
Der Mann erklärte frech: „Ich bin dein Ehemann! Deine Tante hat es dir doch schon gesagt – du bist jetzt meine Frau, es fehlt nur noch der Trauschein. Lass uns das gleich erledigen.“
Während er sprach, griff er nach Emily.
Emily kämpfte heftig und versuchte, sich zu befreien. „Lassen Sie mich los! Das ist Entführung – das ist illegal!“
Der ältere Mann grinste höhnisch. „Deine Tante hat mein Geld angenommen. Du gehörst mir!“
Emilys Augen blitzten entschlossen auf. Sie trat ihm heftig zwischen die Beine und biss in sein Handgelenk. „Autsch!“
Der Mann schrie vor Schmerz auf. Emily versuchte zu fliehen, aber er packte sie an den Haaren. „Du kleine Schlampe! Anscheinend war ich zu nett zu dir!“































































































