Kapitel 4
„In Ordnung.“ Gavin Davis zögerte nur einen kurzen Moment am anderen Ende der Leitung, bevor er zustimmte.
Emily steckte Michaels Visitenkarte sorgfältig in ihr Portemonnaie.
Sie hatte vor, zu ihrer kleinen Wohnung zurückzukehren, aber auf dem Weg dorthin klingelte ihr Telefon mit einem Anruf von ihrer Tante.
„Emily, komm sofort zu uns nach Hause“, befahl Susan Price, ihre eisige Stimme trug einen unverkennbaren Hauch von Autorität.
Emily atmete tief durch.
Sie konnte ohne ihre Augen zu schließen erraten, dass ihre Tante sie zu einer Konfrontation rief.
Die etwas schwache Stimme ihres Onkels drang aus dem Hintergrund. „Emmy, bitte komm einfach vorbei, okay?“
In Emilys Augen spiegelten sich komplexe Emotionen. „In Ordnung.“
Für ihren Onkel Richard Harrison – den einzigen Menschen, der sie nicht verlassen hatte, als das Familienvermögen zusammenbrach, den einzigen, der ihr Freundlichkeit gezeigt hatte – ließ Emily ihre Entschlossenheit nach.
Kaum hatte Emily an die Tür geklopft, wurde sie mit einem Schwall von Anschuldigungen empfangen.
„Was hast du Robert angetan?“ Susan stand vor ihr, die Hände in die Hüften gestemmt, und strahlte Feindseligkeit aus.
Also hieß dieser fette, widerliche Mann Robert?
Emily starrte sie kalt an, sagte jedoch nichts.
Ihr Onkel und ihre Cousine Olivia Harrison saßen auf dem Sofa – Richard sah unbehaglich aus, Olivia genoss das Spektakel sichtlich.
„Robert ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der Millionen wert ist! Als er von dir hörte, bot er sofort eine großzügige Summe an. Das zeigt, wie sehr er dich mag!“ Susan zeigte mit dem Finger auf Emily. „Aber anstatt ordentlich mit ihm nach Hause zu gehen, hast du ihn angegriffen!“
„Weißt du, dass Robert jetzt wegen dir im Krankenhaus liegt?!“
Emily runzelte die Stirn. War Michael wirklich so gründlich gewesen?
Eigentlich klang das ziemlich befriedigend.
Olivia mischte sich mit gespielter Besorgnis ein: „Emily, wie konntest du so gewalttätig sein? Du bist ein Mädchen – wer wird dich nach so etwas noch heiraten?“
„Robert schien ziemlich passend für dich. Du bist schließlich keine Harrison-Erbin mehr, weißt du. Du solltest nehmen, was du bekommen kannst, solange dich noch jemand will.“ Olivias Stimme triefte vor Spott.
Richard funkelte seine Tochter an. „Olivia, rede nicht so über Emily!“
„Aber ich sage doch nur die Wahrheit!“ protestierte Olivia.
Emily lächelte kalt, ihre Stimme war scharf wie Eis. „Du machst dir so große Sorgen um meine Heiratsaussichten – warum heiratest du ihn nicht selbst?“
„Warum sollte ich jemanden wie...“ begann Olivia, bis sie Emilys verächtlichen Blick auffing.
„Was? Du findest ihn für dich selbst ungeeignet, aber für mich völlig in Ordnung?“ Emilys Worte trafen ins Schwarze.
Olivia und Susan konnten sie nur hinter verschlossenen Türen schikanieren, ohne jemals ihre wahren Farben öffentlich zu zeigen.
Schließlich hatten sie einen beträchtlichen Teil des Harrison-Vermögens beansprucht, indem sie vorgaben, sich um Emily zu kümmern.
„Tante Susan, du hast den Familienältesten erzählt, dass du dich um mich kümmern würdest, und so hast du diesen Teil des Erbes gesichert. Ich frage mich, was sie denken würden, wenn sie wüssten, wie du dich wirklich um mich ‚kümmerst‘?“ fragte Emily spitz.
Obwohl die Ältesten der Familie Harrison Emily nicht wirklich halfen, hatten sie doch Angst, dass sie obdachlos enden würde, was den Ruf der gesamten Familie Harrison weiter schädigen würde.
Als sie das hörte, erbleichte Susans Gesicht augenblicklich.
Dieser Teil des Erbes war hart erkämpft, und sie wollte ihn auf keinen Fall zurückgeben!
„Olivia, sei still“, schnauzte Susan ihre Tochter an, die unzufrieden schmollte.
„Wie auch immer, du hast Robert angegriffen, und dafür übernehme ich keine Verantwortung. Du kommst mit mir ins Krankenhaus und entschuldigst dich ordentlich!“
„Sobald Robert dir verzeiht, wirst du ihn wie geplant heiraten.“
Susan trug einen schmerzverzerrten Ausdruck im Gesicht. „Ich laufe herum und versuche, deine Fehler zu beheben. Alles, was ich tue, ist zu deinem Besten!“
Emily verzog die Lippen verächtlich. „Zu meinem Besten? Oder hast du Angst, dass du die versprochene Barzahlung nicht bekommst?“
„Du!“ Susan war wütend und überlegte bereits, wie sie Emily dazu bringen könnte, nachzugeben.
Doch dann klingelte ihr Telefon.
Susan hielt ihr Telefon und schaute wiederholt zwischen diesem und Emily hin und her, mit einem zunehmend seltsamen Ausdruck im Gesicht.
Als sie das Gespräch beendete, war die Feindseligkeit in ihren Augen verschwunden.
„Emily, warum hast du mir nicht gesagt, dass... dass Michael sich um Robert gekümmert hat!“
„Was?“ Olivia sprang sofort vom Sofa auf.
„Mama, was hast du gesagt? Michael! Der Erbe der Wilson-Familie!“
Susans Gesicht erhellte sich plötzlich vor Freude, als sie Emilys Hand liebevoll ergriff. „Emily, Liebes, hast du seine Kontaktdaten bekommen?“
Emily senkte die Augen, ihr Gesicht ausdruckslos, strahlte eine distanzierte Kälte aus. „Keine Kontaktdaten.“
Susan sah völlig enttäuscht aus. „Emily, was hast du dir dabei gedacht! Wenn sich eine solche Gelegenheit bietet, solltest du sie ergreifen – wenn nicht für dich, dann wenigstens für Olivia!“
Also das war ihr Plan.
Olivia's Wangen röteten sich vor Aufregung. Sie begann bereits, sich ein Leben als Michaels Frau auszumalen.
Michael – der alleinige Herrscher des Wilson-Finanzimperiums.
Sie trat vor und nahm Emilys Arm. „Emily, meine Mutter will nur, dass du mich Mr. Wilson vorstellst. Hilf uns, die Verbindung herzustellen.“
„Genau, genau.“ Susan nickte begeistert. „Bei einer so perfekten Gelegenheit solltest du Olivia helfen, ihn kennenzulernen.“
Emily fand die ganze Situation düster amüsant.
Ohne zu zögern, lehnte sie ab. „Nicht möglich.“
Ihre drei kalten Worte ließen die Lächeln der Frauen sofort verschwinden.
„Du wirst nicht helfen?“ Susans Ausdruck verhärtete sich. „In diesem Fall brauchen einige Dinge keinen Platz mehr in diesem Haus.“
Sie zeigte Emily ihr Telefon, und Emilys Gesicht veränderte sich sofort.
Der Bildschirm zeigte ein Foto des antiken Armbands ihres Vaters.
Sie hatte überall nach diesem Armband gesucht, nachdem ihr Vater gestorben war.
„Gib mir mein Armband zurück.“ Emily bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten, ihre Augen blitzten vor Zorn. „Du hast mir gesagt, dass du dieses Armband nie gesehen hast!“
Richard stand schockiert auf. „Susan, du... du hast Emilys Erbstück genommen?“
Susan wies ihren Mann verächtlich ab. „Es ist sowieso nicht viel wert. Emily, wenn du hilfst, Olivia Mr. Wilson vorzustellen, gebe ich es dir zurück. Wenn nicht, erwarte nicht, dieses Armband jemals wiederzusehen.“
Emilys Knöchel wurden blass vor Anspannung.
Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass das Armband sie ihr Leben lang beschützen würde, doch jetzt war es das Druckmittel ihrer Tante geworden.
Sie kannte Susans Charakter – einmal gedroht, würde sie es durchziehen. Wenn Emily heute ablehnte, würde ihr einziges Andenken an ihren Vater wahrscheinlich für immer verschwinden.
„In Ordnung.“
Ihre Stimme klang so leblos wie stehendes Wasser. Susan entspannte sich sofort, ihr Gesicht verzog sich vor Freude. „So ist es besser! Warum die Dinge schwer machen?“
Emily hielt ihre Augen auf Susans Tasche gerichtet. „Kann ich jetzt mein Armband haben?“
„Was soll die Eile?“ Susan trat zurück. „Nachdem du das Treffen für Olivia mit Mr. Wilson arrangiert hast, gebe ich es dir natürlich.“
Emily senkte die Augen und verbarg das kalte Aufblitzen in ihnen.
Sie wandte sich zur Tür, ihr Rücken war gerade wie ein Pfeil, wie ein wildes Gras, das hartnäckig im strengen Winter wächst.
Am Straßenrand stehend, zögerte sie einen Moment, bevor sie eine Nachricht an die Nummer auf der Visitenkarte schickte.
Emily: [Herr Wilson, ich habe noch Ihre Jacke. Wann wäre es Ihnen recht, wenn ich sie Ihnen zurückbringe?]































































































