Kapitel 2: Der Mann im Café
Isla erwachte vor dem Morgengrauen, das Haus hallte noch von den Formen ihrer unruhigen Träume wider. Sie hatte auf dem Sofa unter Ruths alter Decke geschlafen, zu unruhig, um die Treppe zu ihrem Kinderzimmer hinaufzusteigen. Jeder Knarren und Seufzer des alten Hauses hatte sich wie ein Flüstern angefühlt. Als das erste blasse Licht durch die Spitzenvorhänge schlüpfte, hatte sie sich entschieden: Sie brauchte frische Luft. Sie brauchte Kaffee, stärker als der, den sie verschüttet hatte. Und sie brauchte Antworten, die sie nicht zugeben wollte, dass sie suchte.
Sie zog Jeans an, einen alten marineblauen Pullover und band ihr Haar zu einem niedrigen Knoten zusammen, der nichts von seiner Wildheit verbarg — genau wie ihre Gedanken. Die Lilie von der Verandastufe stand jetzt in einer angeschlagenen Tasse auf dem Kaminsims, ihre Blütenblätter halb geöffnet, zerbrechlich und doch unmöglich zu ignorieren. Isla starrte sie an, während sie ihre Stiefel anzog. Sie sagte sich, es sei ihr egal, wer sie dort gelassen hatte. Dass es keine Rolle spielte, ob es er war. Sie war nur aus einem Grund hier — um die Tür endgültig zu schließen.
Draußen war der Morgen kühl, die Luft frisch mit verbleibendem Nebel. Der Garten zu ihrer Linken schien sie zu beobachten, als sie den Pfad entlangging. Sie hielt am Tor inne und strich mit den Fingerspitzen über die abblätternde Farbe. Es quietschte genauso wie letzte Nacht, als der Schatten verschwand. Sie zog den Riegel sanft und ließ ihn hinter sich zuschlagen. Bleib geschlossen, befahl sie ihm stumm.
Die Hauptstraße fühlte sich zu wach an für die frühe Stunde. Ladenbesitzer hoben die Metallrollläden, und der Duft von frisch gebackenem Brot aus der Bäckerei an der Ecke vermischte sich mit frischem Regen. Sie fragte sich, ob jemand sie erkennen würde. Ob ihr Name hier noch Gewicht hatte — Isla Cross, das Mädchen, das weggelaufen und weg geblieben war.
Als sie die Tür zu Lily’s Café aufdrückte, erklang das vertraute Glockenläuten, ein Geräusch, das ihren Magen mit Erinnerungen zusammenzog. Der Ort roch nach Zimt, starkem schwarzen Kaffee und etwas Süßem, das sie nicht benennen konnte. Wärme umhüllte ihre Schultern, tröstlicher, als sie zugeben wollte.
Und da war er — Jonas Hale, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, dunkles Haar etwas länger als vor einem Jahrzehnt, Bartschatten an seinem Kiefer. Er stand hinter der Theke und hantierte mit der Espressomaschine, als wäre sie ein alter Freund. Sie fragte sich, ob er gespürt hatte, dass sie ihn beobachtete, denn bevor sie so tun konnte, als ob sie es nicht tat, schaute er auf. Ihre Blicke trafen sich, wie sie es immer getan hatten — wie ein Funke, der keine Erlaubnis brauchte.
„Du bist früh auf“, sagte er, seine Stimme tief, warm — ärgerlich ruhig.
„Konnte nicht schlafen“, log sie. Sie trat an die Theke und zwang ihre Hände in die Taschen, damit er nicht sah, wie sie zitterten.
„Großes altes Haus zu ruhig für dich?“ neckte er, aber hinter seinem Lächeln war etwas Weicheres. Er griff nach einer Tasse und füllte sie, ohne zu fragen, wie sie ihren Kaffee mochte. Er erinnerte sich noch. Schwarz, ohne Zucker. Immer bitter, immer stark.
„Tu das nicht“, sagte Isla.
Er hob eine Augenbraue und schob die Tasse über das abgenutzte Holz. „Was tun?“
„So tun, als sei das normal.“ Sie umklammerte die Wärme trotzdem.
Jonas lehnte sich vor, die Unterarme auf die Theke gestützt. „Es ist normal. Du bist zurück, du trinkst meinen Kaffee. Es ist genau so, wie es sein sollte.“
„Du weißt nicht, warum ich hier bin.“
Er schenkte ihr dieses schiefe Halblächeln, das sie einst zu allem Ja sagen ließ – zum heimlichen Ausgehen nach der Sperrstunde, zum Eingravieren ihrer Namen in das Gartentor, zum Träumen, die für Greenridge zu groß waren. „Natürlich. Ruths Haus. Der Garten. Du bist hier, um die Geister zu begraben.“
Isla zuckte zusammen, wie beiläufig er das sagte. Sie wandte sich ab und betrachtete stattdessen die Regale hinter ihm – Teegläser, alte Fotos, die an die Pinnwand geheftet waren, eine rissige Keramikvase, die mit getrocknetem Lavendel überquoll. Lavendel, Lilien, immer Blumen, dachte sie. Er änderte sich nie.
„Wer hat sie dagelassen?“ fragte sie leise.
Er neigte den Kopf. „Was dagelassen?“
„Die Lilien“, drängte sie. „Auf dem Kaminsims. Auf der Veranda. Sie waren nicht da, als ich nach der Beerdigung das Haus abgeschlossen habe.“
Jonas zuckte nicht zusammen. „Vielleicht Ruths Geist.“
Sie warf ihm einen Blick zu. „Ich meine es ernst.“
„Ich auch.“ Er lehnte sich zurück und trommelte mit den Fingern auf die Theke. „Der Garten ist zu dieser Jahreszeit wild. Lilien tauchen auf, wo sie wollen.“
Islas Lachen war scharf. „Sie tauchen nicht in Einmachgläsern auf, mit Bändern gebunden.“
Jonas schwieg einen langen Moment. Die Café-Tür öffnete sich hinter ihr, eine Böe von morgendlichem Geplauder und der Geruch von feuchtem Pflaster drang herein, begleitet von einem Paar älterer Frauen. Jonas begrüßte sie mit diesem entspannten Lächeln, schenkte ihnen Kaffee ein und reichte ihnen in braunes Papier gewickelte Scones. Isla beobachtete ihn – die Art, wie er sich bewegte, ruhig und geübt, so vertraut, dass ihr Herz schmerzte.
Als die Frauen sich in die Eckbank setzten, wandte sich Jonas wieder ihr zu. „Vielleicht solltest du öfter ins Café kommen. Weniger Zeit allein in diesem großen Haus verbringen.“
„Ich bleibe nicht“, erwiderte sie, vielleicht zu schnell.
„Richtig“, sagte er sanft, aber in seinen Augen lag etwas Wissendes. „Das hast du schon vorher gesagt.“
Bevor sie kontern konnte, klingelte die Glocke über der Tür erneut. Jonas’ Augen huschten über ihre Schulter, und sein Ausdruck änderte sich – amüsiert, aber wachsam.
Sie drehte sich um. Ein Mädchen stand in der Tür, nicht älter als sechzehn oder siebzehn, trug einen übergroßen Hoodie und hielt etwas hinter ihrem Rücken. Ihre Augen wanderten von Isla zu Jonas und wieder zurück.
„Hey, Ellie“, sagte Jonas, seine Stimme sanfter als Isla erwartet hatte.
Das Mädchen schlurfte nach vorne und hob die Hand. Eine Lilie, weiß und zitternd in ihrem Griff, der Stiel mit einem ausgefransten roten Band umwickelt – genau wie die, die Isla letzte Nacht gefunden hatte.
„Das war wieder auf den Stufen“, murmelte Ellie. „Am Gartenzaun. Ich dachte – ich wollte nicht, dass der Wind sie ruiniert.“
Jonas dankte ihr leise und nahm die Blume wie ein Geheimnis. Ellie verschwand ohne ein weiteres Wort, die Glocke hinter ihr klingelte wie nervöses Lachen.
Isla starrte auf die Lilie in seiner Hand. „Wieder? Also weißt du doch etwas.“
Jonas antwortete nicht sofort. Er legte die Lilie auf die Theke zwischen ihnen, die Blütenblätter weit und perfekt, mit Nebeltropfen, die am grünen Stiel hafteten.
„Manche Dinge bleiben nicht begraben, Isla“, sagte er mit leiser Stimme. „Manche Wurzeln gehen tiefer, als du denkst.“
Sie wollte fragen, was das bedeutete, wollte die Wahrheit verlangen – aber die Worte blieben ihr im Hals stecken, als die Tür sich wieder öffnete. Diesmal trat niemand ein. Die Glocke klingelte und klingelte, gefangen in einem Luftzug, der sie bis ins Mark frösteln ließ.
Draußen, auf der anderen Straßenseite, stand eine Gestalt halb verborgen hinter der alten Eiche nahe der Bushaltestelle. Zu weit entfernt, um klar zu sehen, aber Isla konnte schwören, dass sie beobachtet wurde. Und in der Hand der Gestalt – unverkennbar im grauen Morgengrauen – war eine weitere Lilie.
Frisch. Wartend.































































































































































































