Kapitel Eins — Das Goldene Lamm

Dampf kräuselte sich um die Marmorwanne, während Rosenblätter träge über die Wasseroberfläche trieben. Eira saß regungslos da, den Rücken gerade, ihr langes Haar fiel ihr wie flüssiges Feuer über den Rücken. Das warme Wasser umspielte ihre Schlüsselbeine, ihre Haut war von der Hitze gerötet. Um sie herum bewegten sich drei Omegas lautlos, wuschen ihre Glieder mit nach Lavendel duftenden Tüchern und murmelten Segenssprüche, die sie reinigen sollten.

Sie hasste diesen Teil.

„Du wirst eine so strahlende Luna sein“, flüsterte eine Omega und strich ehrfürchtig über Eiras Handrücken. „Die Göttin selbst muss dich aus Mondlicht gemeißelt haben.“

Eira schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Eingeübt. Höflich. Leer.

Sie war dafür erzogen worden – verhätschelt, beschützt, versprochen. Die erste Tochter, die seit zwei Generationen unter einem Blutmond geboren wurde. Das Kind der Prophezeiung. Das Geschenk. Die zukünftige Luna des mächtigsten nördlichen Rudels.

Versprochen an Alder.

Den goldenen Sohn von Alpha Thorne. Perfekt in Haltung und Prinzipien. Er hatte einmal bei der Sommersonnenwende ihre Hand geküsst. Seine Lippen waren kalt gewesen, seine Augen noch kälter.

In sechs Tagen würde sie ihm gehören.

Die Omegas begannen, eine rituelle Hymne zu summen, deren sanfte Melodie ihr eine Gänsehaut verursachte. Sie blickte auf ihre Handgelenke hinab, blass und nackt, die bald von Alders Anspruch gezeichnet sein würden. Ein Teil von ihr wollte schreien. Ein anderer Teil – ein dunklerer, hungrigerer Teil – sehnte sich nach etwas völlig anderem. Etwas Wildem. Etwas Falschem.

Aber das war nicht erlaubt. Nicht für sie.

Also saß sie still da und ließ sie ihre Anbetung beenden.

Später in dieser Nacht, als die Gänge still und die Kerzen heruntergebrannt waren, stand Eira an ihrem Balkonfenster, das Mondlicht malte sie in Silber. Sie presste ihre Handflächen gegen das kalte Steingeländer und ließ ihren Atem in der Nachtluft zu Nebel werden.

Sie lief nicht weg. Das hatte sie nie getan. Sie war das brave Mädchen. Das Goldkind. Aber manchmal – nur manchmal – musste sie verschwinden. Sich davonschleichen, wenn niemand hinsah. Ungesehen sein.

Ihre Zimmertür blieb hinter ihr geschlossen. Niemand rührte sich. Niemand wachte.

Sie schlüpfte in einen einfachen Umhang, zog die Kapuze über den Kopf und schlich leise den verborgenen Dienstbotengang entlang, ihre nackten Füße machten kein Geräusch.

Draußen biss die Nachtluft in ihre Haut, scharf und rein. Der Duft von Kiefern und feuchter Erde füllte ihre Lungen und beruhigte sie. Unbemerkt überquerte sie den Rand des Dorfes und fand den schmalen Pfad, der in die Bäume führte. Ein Weg, den sie schon ein Dutzend Mal im Mondlicht gegangen war.

Nicht, um zu fliehen.

Um zu atmen.

Der Wald war ihre einzige Zuflucht. Der einzige Ort, an den ihr niemand folgte.

Sie bewegte sich langsam, ihre Finger strichen über die Rinde uralter Bäume, ihr Herzschlag verlangsamte sich mit jedem Schritt. Moos wuchs dicht an den Felsen, und kleine weiße Blumen blühten in geheimen Flecken wie das Flüstern des Waldes, das nur für sie bestimmt war.

Hier war sie nicht die zukünftige Luna.

Sie war einfach nur Eira.

Sie erreichte die Lichtung – einen kleinen Kreis aus weichem Gras, umgeben von Birken und Zedern. Ein Ort, den sie als Kind gefunden und von dem sie nie jemandem erzählt hatte. Mondlicht ergoss sich wie ein Segen durch die Lücken im Blätterdach und verwandelte die Luft in Silber.

Sie setzte sich in die Mitte des Grases und legte den Kopf in den Nacken, um die Sterne zu betrachten. Ihre Finger gruben sich in die Erde neben ihr. Leise flüsterte sie die Namen der Sternbilder.

In letzter Zeit verhielt sich ihr Körper seltsam. Heiß. Ruhelos. Sie redete sich ein, es seien die Nerven. Hochzeitsflattern. Aber es gab Momente – meist in ihren Träumen –, in denen sie keuchend aufwachte, die Oberschenkel aneinandergepresst, die Haut feucht vom Schweiß, und das Gefühl zurückblieb, dass jemand sie berührt hatte.

Jemand, den sie noch nie gesehen hatte.

Jemand, an den ihre Seele sich erinnerte, auch wenn ihr Verstand es nicht tat.

Vor Wochen schon hatte sie aufgehört, der Priesterin von diesen Träumen zu erzählen.

Jetzt hielt sie sie in sich verschlossen. Heilig. Beschämend.

Ihre Finger krallten sich um einen kleinen Stein neben ihrem Knie, um sich zu erden. Der Wind drehte sich.

Sie hielt inne.

Ihr stockte der Atem, nicht aus Angst – sondern wegen dieses seltsamen, summenden Gefühls. Als hätte etwas Uraltes ihre Rippen gestreift. Als hätte etwas direkt hinter den Bäumen die Augen geöffnet.

Sie schüttelte es ab. Redete sich ein, es sei nichts. Nur der Wind. Nur die Nacht.

Aber trotzdem ging sie nicht. Sie blieb. Bis der Mond hoch am Himmel stand und die Kälte ihr bis in die Knochen gekrochen war. Erst dann erhob sie sich, strich die Blätter von ihrem Umhang und kehrte leise nach Hause zurück.

Unwissend, dass sich weit jenseits der Bäume etwas geregt hatte.

Etwas Altes.

Etwas Wartendes.

Zurück in ihren Gemächern zündete Eira eine einzelne Kerze an und setzte sich an ihren Schminktisch, wo sie in den Spiegel starrte. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Pupillen von der Berührung des Waldes noch immer geweitet. Sie presste die Finger auf ihre Lippen, als könnte sie dort eine Antwort finden, im Zittern ihres Atems oder der Trockenheit ihres Mundes.

Sie verstand nicht, was mit ihr geschah. Die Priesterin hatte von heiligen Vereinigungen gesprochen, davon, eins mit ihrem Gefährten zu werden, von Hingabe. Aber nichts davon passte zu dem, was sie fühlte.

Was sie fühlte, war Hunger.

Nicht nach Alder.

Nicht nach Sicherheit oder Status oder der Zukunft, die man ihr versprochen hatte.

Sondern nach etwas Ungezähmtem. Nach etwas, das sie zugrunde richten würde, bevor es sie rettete.

Sie strich sich eine lose Haarsträhne hinter das Ohr und flüsterte einen Namen, den sie nicht kannte.

Noch nicht.

Aber ihre Knochen kannten ihn. Ihr Blut kannte ihn.

Und der Wald, still und beobachtend, kannte ihn auch.

Eira schlief nicht. Sie lag auf der Seite im Bett, die dünnen Leinenlaken um ihre Beine verheddert, ihre Haut prickelte vor Erinnerung. Sie spürte noch immer das Gras unter ihren Knien, das Rauschen der Bäume über ihr, den Puls der Erde gegen ihre Handflächen. Die Stille hier – zwischen Steinmauern und geschnitzten Decken – fühlte sich im Vergleich dazu wie ein Käfig an.

Eine einzelne Motte flatterte gegen das Glas ihres Schlafzimmerfensters. Sie starrte sie an, wie gebannt. Fasziniert davon, wie sie sich nach dem Licht sehnte. Zerbrechlich. Verzweifelt. Tollkühn.

Sie kannte diese Art von Sehnsucht.

Als sie schließlich die Augen schloss, träumte sie wieder. Aber dieses Mal war der Traum klarer. Kein gesichtsloser Schatten. Kein vager Schmerz.

Er war da.

Ein Mann, der auf der Lichtung stand, die sie so liebte. Groß. Mit nacktem Oberkörper. Der Schein des Mondlichts zeichnete seinen Körper in Silber nach. Seine Augen leuchteten nicht, aber sie hielten ihren Blick fest, als würden sie brennen. Er sagte nichts. Streckte nur die Hand nach ihr aus.

Und sie ging zu ihm.

Sie wachte auf, die Lippen geöffnet, während ein leiser Laut ihrer Kehle entwich. Kein Name. Kein Wort.

Ein Wimmern.

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