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Alpha Nathans Perspektive

Sie strich sich erneut die lose blonde Haarsträhne hinter das Ohr, ihre Finger zitterten, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie mich überhaupt ansehen sollte. Ich stand wie erstarrt da, starrte sie viel zu lange schweigend an.

Ich bemerkte nicht einmal, dass mein Mund offen stand, bis sie ein kleines, nervöses Hüsteln von sich gab.

Ihre Stimme war sanft, fast entschuldigend, als hätte sie Angst, etwas falsch gemacht zu haben. „Alpha… Ich konnte nichts anderes zum Anziehen finden, also habe ich dieses Hemd von dir angezogen. Ist das in Ordnung? Es tut mir leid, wenn es dich stört. Ich ziehe es aus, wenn du willst.“

Ihre Worte holten mich wie ein Schlag ins Gesicht aus meiner Trance.

Ich schloss schnell den Mund und zwang mich zu atmen, aber je näher ich ihr kam, desto mehr zog sich meine Brust zusammen.

Das Leuchten ihrer blassen Haut im Licht blendete mich fast, und diese ungleichen Augen – eines golden wie Feuer, das andere blau wie der Ozean – zogen mich an, als würden sie eine Art Zauber wirken.

Ich war nicht der Typ Mann, der über Schönheit nachdachte, geschweige denn darüber sprach. Ich war ein Alpha, ein Kämpfer, ein Anführer. Aber in diesem Moment fühlte ich mich wie ein Poet, der Verse über ihr Gesicht, ihre Augen, ihre Präsenz schreiben wollte.

Ihr Gesicht zog mich an wie ein Magnet, und ich konnte nicht einmal den Blick auf die Länge ihrer nackten Beine unter meinem Hemd richten.

Meine Hand hob sich wie von selbst und strich sanft über ihre Wange. Meine Stimme kam rau, direkt aus meiner Brust, ohne nachzudenken. „Wie… wie kann jemand so schön sein? Wo hast du dich all die Zeit versteckt? Deine Haut ist weicher als Seide, und deine Augen—“

Sie unterbrach mich mit einem Seufzer, ihre Stimme scharf vor Schmerz. „Meine Augen sind hässlich. Das sagen die Leute, seit ich denken kann.“

Ich schüttelte so schnell den Kopf, dass es fast wehtat. Mit meinem Finger hob ich ihr Kinn, sodass sie keine andere Wahl hatte, als meinen Blick zu erwidern.

Ein Lächeln zog an meinen Lippen, das erste echte Lächeln seit Monaten. „Nein, Isabella. Nenn sie nie wieder hässlich. Sie sind nicht hässlich. Sie sind etwas Besonderes. Sie sind selten. Sie gehören dir. Ich könnte stundenlang in sie hineinsehen. Ehrlich gesagt, fühlt es sich an, als würde ich dich mein ganzes Leben lang kennen, nur indem ich in sie schaue. Sag mir, wer bist du wirklich? Was ist deine Geschichte?“

Für ein paar Sekunden verschwand alles andere. Ich vergaß, dass ich der Alpha war. Ich vergaß die Luna, die in einem anderen Haus auf mich wartete, an mich gebunden durch Pflicht.

Ich vergaß meinen Kummer, meine Wut, meine Verantwortung. Vor diesem Mädchen stehend, fühlte es sich an, als wäre ich in eine andere Welt getreten – eine, in der nichts anderes existierte als sie und ich.

Ihre Lippen formten ein schüchternes Lächeln, und ihre Wangen wurden rosa. „Ich bin Isabella“, flüsterte sie. „Und meine Geschichte… meine Geschichte ist hässlich. Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich nicht darüber reden. Ich will es nicht noch einmal durchleben. Alles, was du wissen musst, ist, dass ich von zu Hause weggelaufen bin. Meine Mutter hasste mich. Es war die Hölle. Ich will nie wieder zurück. Ich will einfach nur ein neues Leben.“

Langsam nickte ich und summte leise vor mich hin, während ich über ihre Worte nachdachte. „Okay. Aber wenn du ein neues Leben willst, wo? Was ist dein Plan? Du kannst nicht einfach ewig ohne Ziel herumlaufen. Also sag mir, Isabella, was kommt als Nächstes?“

Sie umarmte sich selbst, ihre Augen wanderten ab, als würde sie versuchen, ihre Zukunft im Dunkeln zu sehen. „Ich denke darüber nach, meinen Vater zu finden. Er ist ein Bärengestaltwandler. Ich habe ihn nie getroffen, aber vielleicht… vielleicht wird er mir helfen, wenn ich ihn finde. Vielleicht gibt er mir eine Chance. Also… ich bleibe heute Nacht hier, wenn es dir nichts ausmacht. Aber morgen früh werde ich das Rudel verlassen und weiter suchen.“

Ihre Worte stachen mir wie Messer in die Brust, eines nach dem anderen. Mein Wolf knurrte so laut in mir, dass ich mir auf die Innenseite der Wange beißen musste, um mich am Wandel zu hindern. „Nein!“ Das Wort schoss wie ein Befehl aus meinem Mund, scharf und aggressiv, lauter als beabsichtigt.

Selbst ich zuckte bei dem Klang zusammen. Der Gedanke, dass sie morgen früh gehen würde, fühlte sich an, als würde jemand etwas aus mir herausreißen. Das konnte ich nicht zulassen.

Ich schüttelte den Kopf, meine Stimme nahm einen strengen, befehlenden Ton an. „Nein, Isabella. Du gehst nicht. Nicht morgen. Nicht übermorgen. Niemals, es sei denn, ich sage es.“

Ihre Augen weiteten sich, und sie trat ein wenig zurück. Ihre Stimme zitterte vor Angst. „W-warum? Du wirst mich doch nicht hier einsperren, oder? Das würdest du nicht tun, oder? Bitte sag mir, dass du das nicht tun wirst.“

Ich lachte, aber es war nicht echt. Es war nervös, zittrig, weil die Wahrheit gefährlich war. Tief im Inneren wollte ich sie in diesem Haus einsperren und sie nie wieder gehen lassen. Dieser Gedanke machte mir mehr Angst als alles andere, und doch konnte ich ihn nicht leugnen.

Ich zwang mich zu einem Lächeln und trat näher, bis ich ihren Atem an meinen Lippen spüren konnte. „Nein, Isabella. Ich bin nicht so ein Mann. Ich bin kein Monster. Was ich meine, ist—warum musst du überhaupt gehen? Ich kann dir alles geben, was du brauchst. Erinnerst du dich nicht? Ich bin der Alpha. Es ist meine Pflicht, dich zu beschützen. Also bleib. Bleib in diesem Haus. Ich werde dir alles geben, was du willst. Du musst nicht mehr weglaufen.“

Ihre Lippen öffneten sich, und sie zögerte. „Aber… Alpha, ich will nicht von dir leben. Ich will nicht das Gefühl haben, dass ich stehle. Wenn ich bleibe, muss ich etwas tun. Ich muss arbeiten. Ich kann nicht einfach… eine Last für dich sein.“

Ich beugte mich näher zu ihr, mein Atem warm an ihrer Wange. Für einen erschreckenden Moment wollte ich sie fast küssen. Mein Wolf schrie in mir, verlangte es. Mein Herz hämmerte wie eine Trommel. Aber ich zwang mich, innezuhalten, mich zurückzuziehen, bevor ich die Kontrolle verlor.

Sie trat langsam zurück, ihre Augen musterten mein Gesicht, nicht mit Angst, sondern mit etwas Weicherem. Neugier. Vielleicht sogar Vertrauen. Schließlich nickte sie. „Danke, dass du es anbietest. Wirklich. Aber wenn ich bleibe, brauche ich einen Job. Ich brauche einen Grund, hier zu sein. Ich kann nicht einfach herumsitzen.“

Mein Verstand war leer. Sie war stur, entschlossen, und ich wusste, wenn ich zu sehr drängte, wäre sie bis zum Sonnenaufgang weg. Panik ließ mich handeln, bevor ich nachdachte.

Ich griff nach ihrem Arm, hielt ihn fest, aber sanft, und führte sie zum Sofa. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, als sie meine Hand auf ihrer Haut betrachtete, aber sie zog sich nicht zurück.

„Setz dich“, sagte ich bestimmt. „Wir müssen das besprechen. Hier ist der Deal – du bleibst vorerst hier. Vorübergehend. Du kümmerst dich um das Haus am See, während ich weg bin. Halte es sauber, halte es am Leben. Wenn ich zurückkomme, finde ich dir einen richtigen Job, einen, der zu dir passt. Wie klingt das?“

Sie lachte leise, der Klang wärmte meine Brust. „Ja. Das klingt fair. Danke, Alpha. Also… worüber möchtest du sprechen?“

Mein Wolf rührte sich unruhig, drängte mich, eine Grenze zu überschreiten, die ich nicht überschreiten sollte. Meine Augen verrieten mich, glitten über ihren Körper, verweilten auf der glatten Länge ihrer nackten Beine.

Hitze schoss so schnell durch mich, dass mir schwindelig wurde. Ich räusperte mich, versuchte wegzusehen, aber die Worte kamen heraus, bevor ich sie aufhalten konnte. „Bist du… bist du noch Jungfrau?“

Ihr Kopf schnellte zu mir, ihre Augen weit aufgerissen. „Was? Hast du das wirklich gerade gefragt?“

Ich fluchte leise, mein Gesicht brannte. Ich ließ meine Hände fallen, um mein Gesicht zu bedecken, und sprang auf, ging wie ein Verrückter auf und ab. Mein Körper verriet mich, zuckte vor Verlangen, das ich nicht kontrollieren konnte. „Vergiss, dass ich das gesagt habe“, murmelte ich. „Das war dumm.“

Verzweifelt, das Thema zu wechseln, platzte ich heraus: „Möchtest du etwas trinken? Tee? Saft? Bier? Was immer du willst, sag es einfach.“


Ich fühlte mich lächerlich. Wie ein Teenager, der zum ersten Mal unbeholfen mit einem Schwarm umgeht. Aber ich war kein Junge. Ich war Alpha Nathan, zweiundzwanzig Jahre alt, Anführer eines ganzen Rudels. Ein Mann, der bereits ein ungeborenes Kind begraben hatte.

Ein Mann mit einer Luna, die durch Blut und Tradition an ihn gebunden war. Ein Mann, der stark, ruhig und unerschütterlich sein sollte. Doch nichts davon zählte, denn vor Isabella verlor ich jegliche Kontrolle.

Und das Schlimmste daran? Ich hatte mich nie so gefühlt, nicht einmal mit meiner Luna. Sie sollte meine vorherbestimmte Gefährtin sein, diejenige, die von der Mondgöttin auserwählt wurde. Warum brannte dann mein ganzer Körper für Isabella? Warum schmerzte mein Herz bei dem Gedanken, dass sie gehen könnte? Warum fühlte ich, dass ich sterben würde, wenn sie wegginge?

Meine Stimme brach scharf hervor, härter als beabsichtigt. „Isabella, ich denke, du solltest jetzt ins Bett gehen.“ Ich klang wütend, aber in Wahrheit hatte ich Angst vor dem, was ich tun könnte, wenn sie noch näher bei mir bliebe.

Sie blinzelte verwirrt und machte dann einen langsamen Schritt auf mich zu, anstatt sich zu entfernen. Jeder Zentimeter, den sie näher kam, machte es schwerer zu atmen.

Mein Wolf kratzte an meiner Brust, flehte mich an, sie zu beanspruchen, sie in meine Arme zu ziehen. Ich ballte die Fäuste und wiederholte in meinem Kopf: Ich habe bereits eine Luna. Ich habe bereits eine Gefährtin. Ich kann das nicht tun. Ich darf das nicht tun.

Aber dann berührten ihre kleinen Finger sanft und zitternd meinen Rücken. Mein ganzer Körper erstarrte, mein Herz setzte einen Schlag aus.

Ihre Stimme kam als Flüstern heraus, zitternd, aber ehrlich. „Ich bin noch Jungfrau.“

Bevor ich überhaupt reagieren konnte, war sie schon an der Schlafzimmertür.

Meine Brust hob und senkte sich heftig, mein Wolf heulte, und bevor sie sich einschließen konnte, war ich da. Meine Hand schlug die Tür zu und schloss uns beide ein. Ich konnte nicht mehr dagegen ankämpfen. Was auch immer das war – Lust, Schicksal, Bestimmung – ich ertrank bereits darin.

Ihr Duft traf mich wie ein Sturm, erfüllte meine Lungen mit einer Süße, die meinen Kopf schwindeln ließ. Unsere Blicke trafen sich, golden und blau, und die ganze Welt verschwand. Nichts anderes zählte. Nur sie. Nur wir.

Mein Atem wurde unregelmäßig, ungleichmäßig. Sie blickte zum Fenster, ihre Lippen zitterten. „Der Vollmond… Ich werde heute Nacht achtzehn. Ich sollte heute Nacht meinen Gefährten treffen.“

Und dann geschah es. Mein Wolf heulte, roh und urwüchsig, brach mit einer Kraft aus mir heraus, die ich nicht zurückhalten konnte. Und sie heulte ebenfalls, ihre Stimme verschmolz perfekt mit meiner, als hätten unsere Seelen auf diesen Moment gewartet.

Ich taumelte, verblüfft. Mein Kopf drehte sich, mein Körper zitterte. „Zwei Gefährten? Ist das überhaupt möglich?“ flüsterte ich laut, nicht sicher, ob ich sie oder mich selbst fragte.

Ich lehnte mich näher, unfähig, mich zurückzuhalten. Ich drückte mein Gesicht an ihren Hals, atmete ihren Duft ein, als wäre er Sauerstoff, und schob sie sanft zurück aufs Bett. Mein Wolf knurrte tief in meiner Brust, laut und hungrig.

Ihre Stimme durchbrach die Stille, kam schnell heraus, voller Angst und Hoffnung zugleich. „Wir sind Gefährten? Sind wir wirklich Gefährten?“

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