Kapitel 5

Eine große Silhouette schnitt durch das Licht im Türrahmen.

Der Mann von letzter Nacht lehnte gegen den Türrahmen und hatte sie beobachtet, wer weiß wie lange.

Er hatte sich in einen schwarzen Seidenmantel umgezogen, der teure Stoff schmiegte sich glatt an seinen Körper. Der Kragen war weit geöffnet und zeigte kühn sein markantes Schlüsselbein und einen Blick auf seine feste Brust.

Sein Haar war noch nass, einige Strähnen klebten an seiner Stirn. Wassertropfen hingen noch an den dunklen Spitzen und betonten seine kalte, blasse Haut. Er schien gerade aus dem Bad gekommen zu sein.

Mit verschränkten Armen vor der Brust und einer extrem entspannten Haltung ruhte sein Blick auf ihr.

Diese Augen, dunkel und tief wie bodenlose Abgründe, waren voller Prüfung und amüsiertem Interesse am sich entfaltenden Drama. Dies war die absolute Gelassenheit eines Menschen in einer Machtposition.

Diana saß auf dem kalten Teppich und blickte ruhig zu ihm auf. Ihre Augen verrieten keine Emotionen—keine Angst, keine Neugier—nur eine übermäßige, eisige Klarheit.

Der Mann musterte sie von oben, während Diana seinen Blick von unten erwiderte.

Wer zuerst sprach, würde die Hälfte des psychologischen Kampfes verlieren.

Minute um Minute verstrich die Zeit, bis Dianas Knie taub zu werden begannen. Schließlich zeigten die fest geschlossenen dünnen Lippen des Mannes Bewegung, der Mundwinkel verzog sich zu einem lächelnden, aber kalten Lächeln.

„Schwägerin, du hast die ganze Nacht Wache gehalten? Wie hingebungsvoll von dir.“

Er senkte die Arme und schritt mit langsamen, langen Schritten auf sie zu. Der Seidenmantel schwang bei jeder Bewegung und streifte seine klar definierten Oberschenkelmuskeln. Jeder Schritt war lautlos und dennoch von unbestreitbarer Präsenz.

Diana bewegte sich nicht und sprach nicht, sie sah ihn nur an.

Konnte er alles letzte Nacht gesehen haben? Diese Erkenntnis ließ ihr Herz scharf zusammenziehen, nur um im nächsten Moment gewaltsam beruhigt zu werden. Was, wenn er es gesehen hatte? Die Tatsache, dass er hier stand, lebendig und wohlauf, deutete darauf hin, dass er seine eigenen Geheimnisse hatte.

Und er hatte sie „Schwägerin“ genannt—konnte er Ruperts Bruder sein? Nicht jemand, den ihre Brüder geschickt hatten, um sie zu verletzen?

Der Mann blieb vor ihr stehen und sah auf sie herab. Sein Blick glitt über ihr müdes Gesicht und landete schließlich auf ihrer Hand, die auf ihrem Knie ruhte, wo eine schwache Nadelmarke sichtbar war. Seine Augen verdunkelten sich kurz, bevor sie zu diesem scharfen, interessierten Blick zurückkehrten.

„Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich bin Alaric Russell, Ruperts Halbbruder.“ Der Mann deutete mit seinem Kinn auf das leere Bett und sprach langsam mit präziser Aussprache.

Alaric Russell. Der uneheliche Sohn der Familie Russell?

Diana verarbeitete diesen Namen gedanklich, ihr Gesicht verriet nichts. Jemand, der frei in Ruperts Zimmer eintreten und sich so kühn verhalten konnte—die Familie Russell musste von ihm wissen. Seine Position war wahrscheinlich bedeutend.

Mit Hilfe des kalten Bettgeländers zog sich Diana langsam hoch und stand aufrecht. Ihre Augenhöhen waren nun etwas gleichmäßiger, obwohl sie trotz ihrer Größe immer noch viel kleiner vor ihm erschien.

„Also? Was willst du sagen?“ fragte Diana schließlich, ihre Stimme fest.

Der selbsternannte Alaric trat plötzlich vor, verringerte den Abstand zwischen ihnen sofort auf Armeslänge. Die Feuchtigkeit nach dem Bad vermischte sich mit einem intensiven männlichen Duft und umhüllte sie.

„Warum solche Mühen? Den Platz deiner adoptierten Schwester in der Ehe mit der Familie Russell einnehmen, dich einem komatösen Patienten widmen—was ist dein Plan? Hoffst du, dass er stirbt, damit du ein großes Erbe beanspruchen und eine respektable junge Witwe werden kannst?“

Seine Worte waren wie ein Messer, das sie an ihrem verletzlichsten Punkt traf. Diana hörte einfach ruhig zu, blinzelte sogar leicht, als ob sie ernsthaft die Machbarkeit seines Vorschlags in Betracht zog.

Nach ein paar Sekunden sah sie auf und traf seine tiefen Augen direkt, der Mundwinkel verzog sich zu einem emotionslosen Lächeln. „Du hast falsch geraten.“

Sie pausierte und fuhr dann in einem sachlichen Ton fort: „Ein lebender Ehemann, selbst ein komatöser, dient als besserer Schutzschild als ein toter.“

Als Rupert diese Worte hörte, zogen sich seine Pupillen leicht zusammen. Sie hatte ihre Berechnungen so klar vor ihm ausgebreitet, kalt, rational, mit einem utilitaristischen Ansatz, der bis ins Mark fror.

Er hatte die Identität von Alaric angenommen, um zu testen, ob sie Malcolms Person war. Doch nun war klar, dass sie es definitiv nicht war.

„Die Familie York hat mich hierher verkauft, und viele in der Familie Russell hoffen, dass Rupert und ich bald sterben,“ Diana wandte ihren Blick von seinem Gesicht ab.

„Solange mein Mann atmet, bleibe ich seine Frau. Selbst die Familie York, die mich gedemütigt sehen will, muss zweimal nachdenken, bevor sie gegen mich vorgeht. Aber wenn er stirbt, was denkst du, wird dann mit mir geschehen?“

Sie beendete ihre Worte und richtete ihren Blick wieder auf sein Gesicht, diese klaren Augen zeigten endlich einen Hauch von Spott. „Ich halte ihn am Leben, um mich selbst zu schützen. Ist das Grund genug?“

Die Luft schien zu gefrieren. Rupert starrte sie volle dreißig Sekunden lang an. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass die Augen einer Frau so klar sein konnten, während ihre Worte so pragmatisch waren.

„Gut gesagt.“ Ruperts Lächeln vertiefte sich. „Selbstschutz—das klingt nach einem einwandfreien Grund.“

Diana erwiderte seinen Blick. „Und was ist mit dir? Ein unehelicher Sohn, der anstatt zu schlafen, sich mitten in der Nacht in die Brautkammer seines ‚Bruders‘ schleicht, so besorgt um dessen Leben oder Tod. Was willst du?“

Sollte ein unehelicher Sohn nicht hoffen, dass der legitime Erbe früh stirbt? Selbst wenn er seinen Tod nicht wünschte, sollte er nicht aus dem Schatten beobachten? Warum tauchte er so kühn immer wieder auf?

Ruperts Blick verdunkelte sich. Diese Frau war schärfer als er erwartet hatte. Als er ihr ausdrucksloses Gesicht betrachtete, fand er es plötzlich etwas amüsant.

Er hatte vorgetäuscht, in einem vegetativen Zustand zu sein, um eine Falle aufzustellen. Doch anstatt seine Beute zu fangen, war er von dem, was wie harmloser „Köder“ aussah, hart gebissen worden.

„Da du so klug bist, warum rätst du nicht?“ Rupert lachte leise und warf die Frage an sie zurück.

Diana zog den Mundwinkel hoch. Raten? Warum sollte sie raten? Wie viel Bedrohung konnte ein unehelicher Sohn für ihre derzeitige Situation darstellen?

„Nicht interessiert,“ sagte Diana schlicht, ihr Ton zeigte einen Hauch von Ungeduld. „Also, Alaric, bist du Freund oder Feind?“

Ruperts große Schatten hüllten Diana sofort vollständig ein, als seine tiefe Stimme sich senkte, fast ihr Ohr streifend. „Ob ich Freund oder Feind bin, hängt ganz von deiner Wahl ab.“

Die bedrohliche Atmosphäre war überwältigend. „Die Familie York hat einen Betrüger geschickt. Wenn diese Angelegenheit Großvater erreicht, was denkst du, wird dann geschehen?“

Diana blinzelte nicht einmal, ihr Verstand arbeitete schnell. Von Anfang an hatte er erwähnt, dass sie eine Ersatzbraut für ihre Schwester war. Abgesehen von der Familie York und ihr selbst konnte das niemand wissen.

Es sei denn... er hatte Verbindungen zu ihren Brüdern aus der Familie York, oder sie arbeiteten bereits zusammen.

Diana lächelte plötzlich auch. Statt zurückzuweichen, trat sie näher, forderte seine imposante Präsenz heraus. Sie waren nah genug, dass sie die verbleibende Wärme von seinem Bad spüren konnte.

Sie hob ihre Hand, ihre Fingerspitze landete auf seinem offenen Bademantelkragen, zeichnete mit absichtlichem Druck sein definiertes Schlüsselbein nach. „Was ist deine Beziehung zu diesen unfähigen York-Brüdern? Was haben sie dir angeboten? Die Enthüllung der Substitution würde auch sie zu Fall bringen. Denk nicht, dass ich die Einzige sein werde, die leidet—bevor ich sterbe, werde ich sicherstellen, dass sie mich ins Grab begleiten.“

Ruperts Körper erstarrte für eine Sekunde. Er schaute auf ihre Hand, die neckisch über seine Brust wanderte, und packte fest ihr Handgelenk.

Seine Stimme wurde kalt. „Mich mit diesen Exemplaren der Familie York gleichzusetzen, ist eine Beleidigung für mich.“

Obwohl sein Griff an ihrem Handgelenk schmerzhaft war, verzog Diana keine Miene. Sie hob einfach ihr Gesicht und sah ihn ruhig an. „Ist das so?“ entgegnete sie. „Was genau willst du dann?“

„Ganz einfach.“ Rupert ließ sie los und trat zurück, um die gefährliche Distanz zwischen ihnen wiederherzustellen. „Werde meine Geliebte.“

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