Kapitel 9 Zweifel
Im Weston General Hospital strömte die Abendsonne durch die bodentiefen Fenster in den Besucherbereich.
Atticus Finch hatte gerade eine Sitzung mit einem Kind beendet und saß nun im Aufenthaltsraum am Fenster, nippte an seinem Kaffee und trug seinen weißen Kittel.
Er schlug beiläufig die Patientenakte auf, um sich auf den nächsten Termin vorzubereiten, als er eine vertraute Gestalt an der Tür erblickte.
„Hey, Mr. Thorne, auch hier für eine Untersuchung?“ Er hob eine Augenbraue und lächelte, während er Killian zuwinkte.
Killian stand an der Tür, ignorierte den Scherz und ging hinein, um sich ihm gegenüber hinzusetzen.
„Wie läuft's?“
„Was, du interessierst dich plötzlich für mich?“ Atticus nahm einen Schluck Kaffee. „Jeder hat seine Probleme, besonders Kinder in diesem Alter. Ich habe gerade einen neuen Fall übernommen. Ein kleines Mädchen, das gerade angekommen ist, ziemlich besonders. Autismus, schwere Sprachstörungen, starke Berührungsaversion und abnormale Angstreaktionen.“
Er blätterte zur vorläufigen Aufzeichnungsseite. „Aber ihre Familie ist gut. Ihre Mutter ist immer bei ihr, und der Vormund scheint ziemlich professionell zu sein. Weißt du, das Schlimmste sind Eltern, die denken, ihre Kinder seien in Ordnung.“
Killians Augen verdunkelten sich. „Wie heißt sie?“
„Der Name der Patientin ist Zoe. Ein schöner Name.“
„Nachname Voss?“
Atticus hob eine Augenbraue. „Hast du meine Akten durchgesehen?“
Killian antwortete nicht, fragte nur leise: „Wie heißt ihre Mutter?“
Atticus sah ihn an und antwortete nicht sofort.
„Das sind geschützte Informationen. Das kann ich dir nicht sagen,“ sagte er direkt.
„Ich verstehe.“ Killian nickte, drängte nicht weiter.
Er konnte etwas aus Atticus' Tonfall herauslesen.
Das war nicht die Art von Familienfall, die Atticus normalerweise interessierte, aber seine Einschätzung von Lena trug einen subtilen Hauch von Bewunderung.
Killian senkte die Augen, und ein Name tauchte plötzlich in seinem Kopf auf.
Lena.
Aus irgendeinem Grund, als dieser Name erschien, setzte sein Herz einen Schlag aus.
Wie ein Windhauch, der eine Staubschicht aufwirbelte und etwas darunter freilegte.
Er sammelte sich schnell und stand auf.
„Ich habe ein Meeting. Wir sehen uns später,“ sagte er.
Im Flur vor Atticus' Büro war es Stoßzeit für Termine, mit Krankenschwestern, die geschäftig umherliefen, und mehreren Familienmitgliedern, die gegenüber der Apotheke auf ihre Reihe warteten.
Als Killian den Aufenthaltsraum verließ, sah er die vertraute Gestalt am Fenster der Medikamentenberatung.
Lena richtete Zoes Maske, eine Hand auf dem Rücken des Kindes, die andere reichte das Rezept hinüber.
Killian hielt inne.
Er trat nicht sofort näher, sondern blieb etwa zwei Meter entfernt bei einem Selbstbedienungsautomaten stehen und beobachtete.
Er konnte fühlen, wie sein Herz unerklärlich schneller schlug.
Lena war gerade fertig und wollte mit Zoe auf dem Arm gehen.
„Miss.“
Seine Stimme war gerade laut genug, damit sie ihn hören konnte.
Lena drehte sich um, ihr Blick ruhig, erkannte ihn sofort, zeigte aber keine Reaktion.
„Brauchen Sie etwas?“ fragte sie, ihr Tonfall gefasst.
„Ihre Haarspange.“ Er reichte ihr eine silberne Haarspange, kunstvoll mit Rankenmustern graviert. „Sie ist am Medikamentenfenster heruntergefallen.“
Lena, die Zoe mit einem Arm hielt, nahm die Haarspange mit der freien Hand, ihre Finger verweilten einen Moment auf dem Muster.
„Danke.“ Sie steckte die Haarspange wieder in ihr Haar, die Bewegung geübt.
Zoe bewegte sich plötzlich und vergrub ihr Gesicht in Lenas Schulter.
Killians Blick fiel auf den Nacken von Zoe.
Dort war ein schwacher roter Fleck, geformt wie ein halbes Ahornblatt.
„Hat sie Fieber? Brauchst du Hilfe?“ fragte Killian, deutlich besorgt.
„Nur eine Erkältung“, erwiderte Lena abweisend.
Killian zog ein goldgeprägtes Visitenkartenetui aus seiner Anzugtasche und reichte ihr eine Karte. „Ich kenne einen hervorragenden Kinderarzt.“
Lena warf einen Blick auf die Karte, nahm sie aber nicht.
Unter dem goldgeprägten Namen stand eine private Nummer.
„Nicht nötig, aber danke für das Angebot, Mr. Thorne.“
Damit ging sie an ihm vorbei, Zoe in den Armen.
Die Karte schwebte einen Moment in der Luft, bevor Killian sie langsam zurückzog und wieder in das Etui steckte.
Er blieb stehen, folgte ihr nicht, sondern warf einen Blick auf seine Armbanduhr, wobei sein Daumen still den Rand des Zifferblatts rieb.
Killian wusste sehr wohl, dass ihn seit Jahren niemand mehr so abgewiesen hatte.
Er drehte sich um und verließ den Anmeldebereich, während er seine Assistentin anrief.
„Erkundige dich nach einem Kind namens Zoe.“
„Zoe?“ Die Assistentin zögerte.
„Psychiatrische Klinik, in letzter Zeit häufig im Cloudbridge Hospital.“ Killian hielt inne. „Und dann erkundige dich nach einer Frau namens Lena.“
„Was hast du gesagt?“
Unterdessen in einer Suite eines privaten Clubs knallte Isabella ihr Saftglas auf den Tisch, ihre Stimme wurde scharf.
Die Assistentin stand neben ihr, den Kopf gesenkt, und reichte ihr ein Tablet. „Mr. Thorne war heute im Krankenhaus und hat diese Frau getroffen.“
„Getroffen?“ Isabella hob langsam die Augen, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. „Redest du von einem Zufall oder einer Verabredung?“
Die Assistentin schwieg, wagte nicht zu antworten.
Isabella blickte auf die Schnappschüsse.
Ecke des Flurs, Wartebereich, Eingang, das Licht war etwas wackelig, aber die beiden standen nicht zu nah, doch auch nicht zu weit auseinander.
Killian neigte leicht den Kopf, und Lena, die das Kind hielt, war ausdruckslos.
Ihr Blick verweilte, ihr Ton verächtlich. „Sie weiß wirklich, wie man sich einen Ort aussucht. Krankenhaus, Kind, eine rührselige Geschichte! Sie spielt ihre Rolle ziemlich gut. Ich wusste es. In letzter Zeit wird er kälter zu mir. Es stellt sich heraus, dass jemand besser schauspielern kann als ich.“
Isabella warf das Tablet auf das Sofa, ihre Finger trommelten auf die Armlehne, ein kaltes Glitzern in ihren Augen.
Sie kannte Lena nicht.
Nie den Namen gehört, noch sich die Mühe gemacht, den Hintergrund zu überprüfen.
Aber sie wusste: Dieser Typ war am gefährlichsten.
Still, unauffällig, vorgaukelnd, nichts zu wollen, und doch auftauchend, wo sie nicht sollten, um Killians Aufmerksamkeit zu erregen.
„Finde heraus, wie es um das Kind steht.“ Ihre Stimme war sanft, aber trug eine unbestreitbare Bedrohung in sich. „Da Killian so interessiert an ihr ist... geben wir ihnen ein wenig Hilfe.“
Die Assistentin zögerte. „Was meinst du?“
Isabella kicherte, als würde sie einen Witz erzählen. „Arrangiere einen kleinen Unfall. Krankenhäuser sind die einfachsten Orte, an denen Dinge schiefgehen können, nicht wahr?“
Sie stand auf, ging zum bodentiefen Fenster, ihre Figur groß und schlank, wie eine schöne, aber giftige Ranke.
„Viele Menschen, Kreuzinfektionen, psychischer Stress, rutschige Treppen, Medikamentenreaktionen... welches davon kann nicht als schwache Konstitution verstanden werden?“
Sie hielt inne, ihre Stimme sanft. „Wenn sie sich um ihr Kind sorgt, sollte sie sich von Killian fernhalten.“
Die Assistentin schluckte, ihre Stimme angespannt. „Was, wenn Mr. Thorne es herausfindet?“
„Und wenn schon?“ Isabellas Ton änderte sich, plötzlich sanft. „Ich verlange von niemandem, ihr zu schaden.“
„Ich erinnere sie nur daran, sich nicht mit Dingen einzulassen, die sie nichts angehen.“ Sie drehte sich um und lächelte die Assistentin an. „Denke daran, halte es sauber, hinterlasse keine Spuren.“


















































