Kapitel 4: Wer war sie in dieser Nacht?
Alexanders Perspektive
Ich bin Alexander Claflin, und einmal hatte ich die perfekte Familie. Mein Vater, Richard, war ein verdammtes Genie, charmant wie die Hölle. Meine Mutter, Camilla, war eine Erscheinung – wunderschön und freundlich bis zur Selbstaufgabe. Und meine kleine Schwester, Freya… sie war meine Welt. Diese großen grünen Augen, die wilden Locken, die hüpften, während sie hinter mir herwatschelte und „Lexy“ murmelte, weil sie meinen Namen nicht richtig sagen konnte. Reine Magie.
Aber nichts Perfektes überlebt in dieser beschissenen Welt.
Ich war acht, als alles den Bach runterging. Über Nacht schrien die Schlagzeilen: „CLAFLIN-ERBE MIT STRIPPERIN ERWISCHT“, „RICHARD CLAFLINS DOPPELLEBEN“. Die Mediengeier stürmten herbei, die Kameras blitzten vor unseren Toren, Reporter brüllten einen Jungen an, der nicht verstand, warum das Gesicht seines Vaters überall war. An diesem Abend waren Mom und Freya einkaufen, während ich beim Klavierunterricht festsaß. Sie kamen zurück, Freya schlief im Auto, und Mom – von den Nachrichten erschüttert – stürmte ins Haus, vergaß, dass meine Schwester noch auf dem Rücksitz war. Der Streit mit Dad war nuklear. Moms Augen waren rot vom Weinen, Dad schwor, dass er reingelegt wurde.
„Das ist eine Falle, Camilla“, knurrte er, die Stimme rau. „Ich schwöre bei Christus, ich habe es nicht getan.“
Mom glaubte ihm nicht. Warum sollte sie auch? Die Fotos sahen echt aus – Dad mit irgendeiner blonden Schlampe auf seinem Schoß, seine Hand dort, wo sie nicht sein sollte. Sie rissen sich eine Stunde lang gegenseitig in Stücke, während ich oben auf der Treppe versteckt zusah, wie mein Leben wie billiges Glas zerbrach.
Dann, wütend bis zur Unvernunft, schnappte sich Dad Moms Autoschlüssel und stürmte hinaus. Das Auto, in dem die vierjährige Freya noch schlief. Zwei Stunden später rief die Polizei an. Unfall. Dads Körper wurde aus dem brennenden Wrack gezogen, aber Freya… sie war einfach weg.
Das Feuer war so intensiv, dass man annahm, nichts habe überlebt. Keine DNA, keine Überreste. Nichts. Später fanden wir heraus, dass die Verkehrskameras auf dieser Straße manipuliert worden waren. Jemand hatte alle Beweise gelöscht – ob Freya vor der Explosion gerettet wurde oder überhaupt im Auto war.
Die Trauer zerstörte, was von uns übrig war. Mom, die in Schuldgefühlen ertrank, konnte nicht im Claflin-Anwesen bleiben. Sie zog sich zurück und lebte im selbst auferlegten Exil, während ich von meinem Großvater und einer Parade von Kindermädchen großgezogen wurde.
„Alexander, Liebling!“ Moms Gesicht leuchtete auf, als ich mit einem Strauß rosa Rosen – ihren Lieblingsblumen – vor ihrem bescheidenen Vorstadthaus vorfuhr. Sie hatte sich vor Jahren für diese ruhige Gegend entschieden, um den Geistern unserer Vergangenheit zu entkommen.
Sie umarmte mich fest, ihr Jasminparfüm warf mich in die Nostalgie zurück. Trotz des ganzen Claflin-Reichtums fühlte sich dieser Laden mehr wie Zuhause an als mein weitläufiges Anwesen je konnte. „Du siehst beschissen aus“, sagte sie und führte mich mit einem neckenden Lächeln ins Haus. „Wie geht’s der neuen Frau? Ich habe sie immer noch nicht kennengelernt.“
Das Wort „Frau“ ließ mir die Galle hochkommen. „Sie ist genau das, was man von einer Familie erwarten würde, die ihre Tochter für Ansehen verkauft. Ihre Eltern haben sie praktisch für hundert Millionen verpackt.“
„Alexander“, tadelte Mom sanft, ihr Ton war liebevoll, aber bestimmt. „Ich weiß, dein Großvater hat diese Verbindung arrangiert, als du… unwohl warst. James wollte nur einen Erben sichern, als du in diesem schrecklichen Zustand warst. Ich weiß, es ist schwer, aber vielleicht…“
„Vielleicht was?“ fuhr ich sie an, eine Augenbraue hochziehend. „Ich sollte dankbar sein, dass irgendeine Familie bereit war, ihre Tochter an einen angeblich vegetativen Mann zu verschachern?“
Sie seufzte, ihre Augen voller Mitleid. „Seit Vivian gegangen ist—“
„Nicht“, schnitt ich ihr das Wort ab, meine Stimme scharf wie eine Klinge. „Sag nicht den Namen dieser Frau.“
Mutter griff nach meiner Hand, ihre Berührung sanft, aber eindringlich. „Alex, ich weiß, dass sie dir das Herz gebrochen hat, als sie dich in deiner tiefsten Krise verlassen hat. Aber seitdem hast du dich in den Aufbau eines Imperiums vergraben. Dein Herz ist fest verschlossen.“
Ich riss meine Hand weg und tigerte wie ein gefangenes Tier im Raum umher. „Meine Priorität liegt nicht auf Romantik, Mom. Es geht darum, Claflins Zukunft zu sichern und Freya zu finden.“
Beim Erwähnen meiner Schwester verzog sich ihr Gesicht, Trauer überkam sie. Sie stand auf und driftete zum Fenster, die Arme wie einen Schutzschild um sich geschlungen.
„Ich vermisse sie jeden verdammten Tag“, flüsterte sie, ihre Stimme brach. „Wenn ich nicht so emotional gewesen wäre, wenn ich daran gedacht hätte, dass sie im Auto war...“
Ich trat hinter sie, legte meine Hände auf ihre Schultern und versuchte, sie zu beruhigen. „Es war nicht deine Schuld. Und ich muss dir etwas sagen.“ Ich drehte sie zu mir um, mein Ton war hart. „Dads Skandal war Bullshit. Die Fotos, die Zeugenaussagen – alles wurde von Robert und dieser giftigen Schlampe, die er geheiratet hat, inszeniert.“
Ihr Atem stockte, Tränen liefen über ihre Wangen, als ihre Augen sich weiteten. „Ich habe es vermutet... über die Jahre passten die Puzzleteile nie zusammen. Richard hatte seine Fehler, aber er liebte uns leidenschaftlich. Er hätte niemals...“ Sie bedeckte ihren Mund, ihre Finger zitterten. „Und ich habe ihn in dieser Nacht weggeschickt. Wenn ich nur zugehört hätte—“
„Das liegt nicht an dir“, sagte ich, meine Stimme fest wie Stahl. „Es liegt an diesen verräterischen Bastarden. Ihr erbärmlicher Ehrgeiz hat unsere Familie zerstört. Und ich habe sie endlich zur Rechenschaft gezogen.“
Ihr Kopf schnellte hoch, ihre Augen suchten die meinen. „Was hast du getan, Alex?“
Ich legte alles offen – mein vorgetäuschtes Koma, wie ich Robert und Victoria in ihren Machenschaften ertappt hatte, und Großvater, der mir die Zügel der Macht übergab. Mit jedem Wort strafften sich ihre Schultern, als ob sie eine jahrzehntealte Last abschüttelte.
„Ich werde Freya finden“, schwor ich, meine Stimme leise und entschlossen. „Sie ist irgendwo da draußen. Ich fühle es.“
Mutter nickte, wischte sich die Tränen weg, ein Funken Hoffnung in ihren Augen.
Zurück auf meinem Anwesen stand Eric steif in meinem Arbeitszimmer und überreichte mir einen dicken Ordner. „Alles über Nora Frost, Sir. Columbia-Absolventin, 1,68 Meter groß, Körbchengröße C, Hüftumfang—“
Ich warf ihm einen Blick zu, der töten könnte. Was ist das, ein verdammter Katalog?
„Weiter im Text“, räusperte er sich, „einziges Kind der Familie Frost, eine ernsthafte College-Beziehung...“
Ich schlug die Akte zu. Diese geldgierige Schlampe war meine Zeit nicht wert. Es gab wichtigere Dinge zu erledigen. „In der Nacht zuvor, nachdem ich das Gegenmittel genommen und die Vergiftung untersucht hatte“, sagte ich und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, „hatte die Substanz... Nebenwirkungen. Aphrodisierende Wirkungen.“
Eric zuckte nicht einmal, immer der Profi.
„Ich landete bei Vibe. Da war eine Frau – im Dunkeln konnte ich ihr Gesicht nicht sehen. Wir... naja, du weißt schon. Ich musste schnell zurück zum Anwesen, um vorzutäuschen, krank zu sein, also bin ich abgehauen, ohne einen guten Blick auf sie zu werfen. Finde heraus, wer sie war.“
„Ja, Sir“, nickte Eric und ging.
Allein starrte ich auf Noras Akte auf meinem Schreibtisch. Was für ein Chaos. Eine lieblose Ehe mit einer verdammten Schmarotzerin. Aber meine Gedanken drifteten zur Nacht zuvor bei Vibe. Die Erinnerung traf hart – ihre heiße Haut unter meinen Händen, wie sie sich auf diesem Bett gegen mich aufbog. Ich hatte sie festgehalten, ihr Atem stockte, als ich in sie stieß, ihr enger Körper sich um meinen Schwanz schloss.
Es war roh, verzweifelt, nichts zurückgehalten. Anders als alles mit Vivian. Nachdem diese Schlampe gegangen war, hatte ich das Interesse an Frauen, an Sex verloren.
Aber die Nacht zuvor... sie brannte sich in mich ein. Ich konnte es nicht abschütteln – wie ihr Körper sich mit meinem bewegte, die leisen Stöhnen, die ich immer noch in meinem Kopf höre. Wer auch immer sie war, sie hatte etwas in mir aufgebrochen, und ich musste wissen, warum zur Hölle es sich so verdammt unvergesslich anfühlte.
