Kapitel 5
Emily hätte beinahe verzweifelt Alexanders Namen herausgeschrien.
Der körperliche Schmerz ihrer Krankheit und Sophies Demütigung hatten sie fast vergessen lassen, dass dieser Mann die wahre Quelle all ihres Leidens war.
Sie brauchte verzweifelt eine Umarmung, nur einen Moment der Fürsorge.
Aber Alexanders Ton war eisiger als je zuvor. „Emily, bist du mit diesem Drama fertig?“
Diese Worte rissen Emily sofort in die Realität zurück.
Sie starrte Alexander verständnislos an. „Welches Drama meinst du?“
Als die Vernunft allmählich zurückkehrte, richtete sich Emily instinktiv auf.
Obwohl es ihr Schmerzen bereitete, weigerte sie sich, vor Alexander schwach zu erscheinen.
Vielleicht waren ihre anfänglichen Motive, ihn zu heiraten, nicht ganz rein, aber jetzt konnte Emily sich selbst mit gutem Gewissen ins Gesicht schauen.
Alexanders Gesichtsausdruck blieb unbewegt, seine tiefbraunen Augen wie bodenlose Abgründe, die Emily in ihren Bann zogen.
„Warum hast du Sophie Ärger gemacht?“ Sein Tonfall trug einen kaum wahrnehmbaren Hauch von Erwartung.
Aber Emily konnte es nicht erkennen.
Allein die Worte „Ärger gemacht“ reichten aus, um ihre Wut zu entfachen.
Alexander hatte sie gezwungen, Sophie zu verteidigen, und als sie ging, hatte Sophie sich in einem Konferenzraum im Obergeschoss versteckt und sich geweigert, herunterzukommen, was dazu führte, dass Emily zusammenbrach.
Und jetzt war sie irgendwie die Unruhestifterin?
„Alexander, glaubst du automatisch alles, was Sophie sagt?“ sagte Emily kühl.
Alexander sah enttäuscht aus.
Er stand auf, überragte Emily. „Sie hat mich überhaupt nicht über dich informiert. Aber du, Emily – dieser sogenannte ‚Internet-Troll‘ war jemand, den du angeheuert hast, oder?“
Eine weitere unbegründete Anschuldigung wurde ihr vor die Füße gelegt.
Emily lachte bitter. „Alexander, ich würde niemals zu solchen manipulativen Taktiken greifen. Du denkst zu wenig von mir! Wenn Sophie bei diesem Fall nicht kooperieren will, such dir einen anderen Anwalt!“
Nachdem sie gesprochen hatte, zog sich Emily unter ihre Decke zurück.
Sie atmete den schwachen Geruch von Desinfektionsmittel ein, ihre Augen wurden allmählich rot, aber sie biss sich fest auf die Lippe, um nicht hörbar zu weinen.
Erst nach einer Weile hörte sie Schritte.
Alexander war gegangen.
Er hatte nicht nach ihrer Krankheit gefragt, hatte sie nur beschuldigt. Als er nicht die Antwort bekam, die er wollte, ging er einfach.
Emily setzte sich langsam auf und berührte unbewusst ihr Schlüsselbein.
Dort war eine Narbe – eine Narbe, die sie einst drei Monate im Krankenhaus gehalten hatte, eine Narbe, die sie sich zugezogen hatte, um Alexander zu schützen.
Jetzt begann sie, es zu bereuen.
War dieser Mann all die Jahre der heimlichen Liebe wirklich wert gewesen?
Es war bereits dunkel, als Emily nach Hause kam.
Sie schaltete das Licht ein und erschrak, als sie Daniel im Wohnzimmer sitzen sah.
„Daniel, warum sitzt du im Dunkeln?“ Sie bemühte sich, ihre Unbehaglichkeit zu verbergen und fröhlich zu klingen.
Daniel hob langsam den Kopf, sein Gesicht besorgt.
Emily setzte sich neben ihn und tat leicht.
„Warum siehst du so zerrissen aus? Hast du dir schon eine Freundin gesucht?“ Ihre erzwungene Fröhlichkeit machte es Daniel nur schwerer, zu sprechen.
Schließlich tätschelte er einfach ihren Kopf. „Sei nicht albern. Wer würde jetzt schon jemanden wie mich wollen?“
Emily presste die Lippen zusammen, plötzlich ernst. „Daniel, ich verspreche, ich werde deinen Namen reinwaschen. Das werde ich!“
Nach diesem feierlichen Versprechen ging Emily in die Küche und machte zwei Teller Pasta.
Nach dem Essen zogen sie sich jeweils in ihre Zimmer zurück.
Emilys Handy piepte mehrmals.
In der Annahme, es könnte eine Antwort auf ihre Bewerbungen sein, schaute sie eifrig nach, nur um Alexanders Namen zu sehen.
Alexander: [Du wirst Sophies Situation richtig handhaben. Hör auf, Spielchen zu spielen.]
Alexander: [Du kennst die Konsequenzen, wenn du es nicht tust.]
Die kalten Textnachrichten – Emily konnte sich fast Alexanders Gesichtsausdruck vorstellen, als er sie tippte.
Ein metallischer Geschmack stieg ihr in den Hals. Emily rannte ins Badezimmer und erbrach Blut in die Toilette.
Tränen strömten ihr über das Gesicht. Sie konnte nicht sagen, ob es physiologische Tränen vor Schmerz waren oder ob sie tatsächlich weinte.
In diesem Moment öffnete Daniel die Tür.
Emily versuchte instinktiv, die Toilette zu spülen, verfehlte aber den Knopf. In Panik schlug sie den Toilettendeckel zu.
„Daniel?“ Sie sah ihn ängstlich an, unsicher, ob er das Blut gesehen hatte.
Daniels Gesicht war aschfahl.
Er starrte Emily direkt an, seine Lippen zitterten. „Emily.“
Emily war sich fast sicher, dass er das Blut gesehen hatte – sonst würde er nicht so erschüttert aussehen.
Sie schüttelte hilflos den Kopf, wollte etwas Beruhigendes sagen, als Daniel ihr Handgelenk packte. „Emily, du musst Sophie helfen.“
Emily dachte, ihre Ohren müssten ihr einen Streich spielen.
Warum sollte ausgerechnet Daniel so etwas Absurdes sagen?
„Daniel, wovon redest du?“ fragte Emily.
Daniel sah sie flehend an. „Ich sage, du musst Sophie helfen! Ich habe online gesehen, dass sie Gerüchte verbreiten, sie sei eine Ehebrecherin und habe die ursprüngliche Frau zum Zusammenbruch gebracht! Emily, ich wurde schon einmal von Alexander hereingelegt – ich weiß, wie rücksichtslos er sein kann. Wenn du nicht tust, was er sagt, wer weiß, was er mit dem Kinderheim machen wird! Denk an Nancy!“
Er begann stockend zu sprechen, gewann aber an Schwung und hielt schließlich Emilys schlankes Handgelenk fest, versuchte, seine Entschlossenheit durch den körperlichen Kontakt zu vermitteln.
Aber Emily spürte nur Schmerz.
Sie riss ihre Hand mit Gewalt los und sah Daniel seltsam an. „Daniel, du hast die Nachrichten online gesehen? Hast du die Fotos gesehen?“
Daniel antwortete ohne zu zögern. „Die Fotos müssen gefälscht sein.“
Emily war sprachlos.
Sie wollte ihn fragen, ob er nicht erkennen konnte, dass die Person, die auf dem Boden zusammengebrochen war, sie selbst war.
Wenn Fremde es nicht erkennen konnten, sollte dann nicht jemand, der mit ihr aufgewachsen war, sie erkennen?
„Daniel…“ Emily versuchte, etwas zu sagen, aber sobald sie den Mund öffnete, wurde ihr übel und sie öffnete den Toilettendeckel, um sich erneut zu übergeben.
Daniel versuchte, sich ihr zu nähern und ihr den Rücken zu tätscheln, aber sie hielt ihn auf.
„Bleib zurück! Geh einfach… raus. Ich werde darüber nachdenken, was du gesagt hast.“
Nachdem sie sich erneut übergeben hatte, spülte Emily das Blut weg und ging, um sich das Gesicht zu waschen.
Sie hob ihr nasses Gesicht zum Spiegel. Die Frau, die ihr entgegenstarrte, war totenbleich, ihre Augen blutunterlaufen, das Blut färbte noch immer ihre Lippen – sie sah fast aus wie ein Geist.
Emily schenkte sich selbst ein bitteres Lächeln.
Anscheinend kümmerten sich diejenigen, von denen sie dachte, dass sie sich um sie sorgten, nicht so sehr, wie sie geglaubt hatte.
Nachdem sie zehn Minuten damit verbracht hatte, das Badezimmer zu reinigen, trat Emily heraus und fand Daniel draußen wartend mit einer Tasse Ingwertee.
Sie runzelte die Stirn. „Was ist das?“
Daniel drückte ihr den Tee in die Hände. „Selbstgemachter Ingwertee. Er hat früher deine Erkältungen geheilt, als wir Kinder waren. Probier es – sieh, ob sich meine Fähigkeiten nach drei Jahren verbessert haben!“
Sein Ton war so beiläufig, als ob die Szene im Badezimmer nie passiert wäre.
Emily senkte den Blick auf die Tasse Ingwertee, schwieg lange.
Daniel beobachtete sie hartnäckig.
Schließlich seufzte Emily und trank den Ingwertee in einem Zug. „Ja, er schmeckt immer noch gut.“









































































































































